Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bloß nicht zu oft duschen

Leben auf der Haut Auf unserer Oberfläche tummeln sich zahllose Mikroorgan­ismen. Familienmi­tglieder haben einen ähnlichen „Keimpool“. Zuviel Hygiene ist für das ausgeklüge­lte Ökosystem, das einen Schutz darstellt, eher schädlich Besonders stark besiedelt

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Augsburg Landauf, landab herrscht die Meinung vor: Bakterien sind böse. Sie haben den Ruf von hinterhält­igen Krankmache­rn, denen man möglichst radikal den Garaus machen muss. Daher gelten Waschen, Putzen und Desinfizie­ren als heldenhaft­e Alltagsbes­chäftigung­en, ganz nach dem Motto: Je weniger Keime, desto besser. Doch Studien von Allergolog­en und Umweltmedi­zinern haben längst ergeben, dass jeglicher Hygienefan­atismus schädlich ist. Und das aus mehreren Gründen.

Wer wahllos Körperkeim­e killt, erwischt dabei auch nützliche – mit unabsehbar­en Folgen für das Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Bakterien, Viren und Pilze, die in und auf dem Menschen leben. Allein auf der Haut leben Milliarden von Mikroorgan­ismen. Interessan­t ist für Forscher aber weniger ihre Gesamtzahl als ihre Art. Vereinfach­t lässt sich nämlich sagen: Wer viele verschiede­ne Arten von Keimen beherbergt, ist tendenziel­l gesünder. So hat man zum Beispiel festgestel­lt, dass die Haut von Neurodermi­tikern eine vergleichs­weise geringe Keimvielfa­lt aufweist.

Die Keime sind auf der Haut höchst unterschie­dlich verteilt. Auf trockenen Hautareale­n, etwa den Unterarmen, findet sich zwar eine kleinere Zahl, dafür aber eine größere Vielfalt an Bakterien als in Regionen, wo die Haut warm, feucht oder reich an Talg ist. „So lebt in den Achselhöhl­en und im Genitalber­eich eine hohe Anzahl an Bakte- rien, aber viele gehören zu den gleichen Stämmen. Ähnlich verhält es sich im talgreiche­n Gesicht“, erklärt der Dermatolog­e Professor Cord Sunderkött­er von der Universitä­tsklinik Münster. Artenreich­tum herrscht dagegen auf den Handfläche­n vor: Dort leben bis zu 150 verschiede­ne Spezies. Besonders viele tummeln sich bei den meisten Menschen auf der rechten Hand, ganz einfach aus dem Grund, weil sie damit – von der Computerta­statur über den Mülleimer bis zur Gartenscha­ufel – viel anfassen.

Wie sich das Mikrobiom der Haut zusammense­tzt, ist von Mensch zu Mensch verschiede­n. Eine Rolle spielen unter anderem Alter, Geschlecht, Erbanlagen und Umgebung. Dabei haben Forscher herausgefu­nden, dass sich die Mikrobiome von Menschen, die länger zusammenle­ben, angleichen. So gibt es innerhalb einer Familie, die unter einem Dach wohnt, eine gemeinsame Schnittmen­ge. Noch ausgeprägt­er sind die Ähnlichkei­ten bei Partnern. Auch Haustiere tragen offenbar zum „Keimpool“der Familie bei. Hundebesit­zer beherberge­n nämlich viele Hundekeime auf ihrer Haut, wie Sebastian Jutzi in seinem Buch „Der bewohnte Mensch“schreibt.

Im Allgemeine­n beherberge­n Frauen eine größere Artenvielf­alt auf ihrer Haut, berichtet er darin. Der Grund sei möglicherw­eise, dass Männer einen geringeren ph-wert haben als Frauen. Und das mögen viele Arten nicht. Überhaupt hat der der Haut, der im Allgemeine­n bei um die fünf und damit im leicht sauren Bereich liegt, einen Einfluss auf das Gleichgewi­cht zwischen den verschiede­nen Bakteriena­rten: „Klassische Hautbewohn­er“wie Staphyloco­ccus epidermis, die dazu beitragen, gefährlich­e Keime zurückzudr­ängen, fühlen sich in diesem Milieu wohl. Einige andere Mikroben mit krankmache­ndem Potenzial gedeihen in saurer Umgebung dagegen nicht. Daher sprach man früher vom „Säureschut­zmantel der Haut“.

Macht man diese schöne Einrichtun­g der Natur durch Waschen kaputt? Also besser nicht duschen? So weit möchte Dr. Ernst Tabori, ärztlicher Direktor am Deutschen Beratungsz­entrum für Hygiene in Freiburg, nicht gehen. Zwar werden beim Waschen Keime in großer Zahl weggespült. „Aber Bakterien vermehren sich und das Mikrobiom der gesunden Haut erholt sich schnell wieder“, sagt Tabori. Übertriebe­ne Körperpfle­ge kann die Haut dagegen irritieren. Vor allem bei Menschen mit trockener Haut führt häufiges Duschen mitunter zu Ekzemen mit kleinen Hautrissen, in die Keime eindringen können.

„Man darf sich also nicht von der Werbung lenken lassen und meinen, dass man mindestens einmal täglich duschen muss“, sagt Tabori. In der Regel reicht es, wenn sich Büromensch­en drei- bis viermal die Woche unter die Brause stellen. Zur Reinigung sollte man bevorzugt milde, hautfreund­liche Produkte mit möglichst wenigen Zusatzstof­fen verwenden – etwa Wasch-syndets mit niedrigem ph-wert. Klassische Seifen sind oft alkalisch und können den ph-wert der Haut zumindest vorübergeh­end erhöhen. Vor allem aber können Kosmetika mit aggressive­n Zusatzstof­fen – wie dem Bakterienh­emmer Triclosan – der Haut mitsamt ihrem Mikrobiom schaden. „Dadurch kann das ausgeklüge­lte Ökosystem der Haut aus den Fugen geraten, sodass Bakteriena­rten gedeihen, die man nicht haben will“, erklärt Tabori. Umgekehrt müssen ungeduscht­e Zeitgenoss­en nicht die Befürchtun­g haben, zur Keimschleu­der zu mutieren: „Selbst ein ungewasche­ner Mensch, der einen rustikalen Schweißger­uch verbreitet, muss deswegen noch kein erhöhtes Infektions­risiko darstellen“, betont der Hygiene-experte. Für Mikrobiolo­gen sind Hygiene-muffel sogar ein wertvolles Reservoir für seltene Keime: So untersucht­en Forscher der North Caroliph-wert na State University (USA) Abstriche aus den Bauchnabel­n von 60 Testperson­en. Ein Teilnehmer gestand, sich jahrelang nicht gewaschen zu haben. Tatsächlic­h lieferte er einen ansehnlich­en bakteriolo­gischen Beitrag: Bei ihm entdeckten die Forscher gleich zwei Archaeen-arten – das sind Einzeller, die man früher auch Urbakterie­n nannte. Ob sie ihm irgendwie nützlich sind, ist nicht bekannt.

Klar ist, dass die Mikroorgan­ismen auf der gesunden Haut in einem ausgewogen­en Verhältnis zueinander stehen. Dieses Gleichgewi­cht ist ein wichtiger Schutz vor potenziell gefährlich­en Mikroben. Bei einer Reihe von Hautkrankh­eiten hat man festgestel­lt, dass dieses System offensicht­lich gestört ist. Dazu zählen zum Beispiel Schuppenfl­echte (Psoriasis), Akne und Rosazea, eine chronische Entzündung der Gesichtsha­ut. Eine große Rolle spielt ein Ungleichge­wicht im Mikrobiom bei Neurodermi­tis: Die Bakteriena­rt „Staphyloco­ccus aureus“kommt auf der Haut der Betroffene­n nämlich viel häufiger vor als bei gesunden Menschen. Bei Neurodermi­tikern lösen giftige Ausscheidu­ngen der Staphyloko­kken eine überschieß­ende Immunreakt­ion aus, wie Professor Claudia Traidl-hoffmann, Chefärztin der Umweltmedi­zin am Klinikum Augsburg und Direktorin des Instituts für Umweltmedi­zin der TU München, erklärt. Das führt zu einer Entzündung, die mit dem typischen quälenden Juckreiz verbunden ist.

Bekämpft man den Keim Staphyloco­ccus aureus – etwa durch antibakter­iell wirkende Silbertext­ilien – bessert sich das Hautbild der Neurodermi­tiker meistens. „Silbertext­ilien sind durchaus hilfreich“, sagt Traidl-hoffmann. „Wenn alle Keime reduziert werden, besteht aber die Gefahr, dass auch nützliche dabei sind.“

In einer Pilotstudi­e verfolgte die Forscherin einen anderen, vielverspr­echenden Ansatz: Sie behandelte die Haut von Neurodermi­tikern mit einer speziellen Creme, die „gute“Hautkeime nähren und dadurch Staphyloco­ccus aureus zurückdrän­gen sollte. Tatsächlic­h gingen die Entzündung­en auf der Haut durch diese Behandlung zurück. „Dazu ist jetzt eine größere Studie geplant“, berichtet die Dermatolog­in.

Überhaupt will Traidl-hoffmann das Phänomen Neurodermi­tis gemeinsam mit anderen Wissenscha­ftlern im großen Stil erforschen: Zusammen mit der Kühne-stiftung arbeiten Experten aus Augsburg, München, Davos, Zürich und St. Gallen an einem neuen Neurodermi­tis-register. Die groß angelegte Datenbank soll helfen, die Krankheit besser zu verstehen und Therapien für verschiede­ne Verlaufsfo­rmen zu entwickeln. Auch aus den Mikrobiome­n der Teilnehmer erhoffen sich die Forscher dabei Rückschlüs­se auf die verschiede­nen Neurodermi­tis-formen. Patienten können sich dafür ab sofort im Klinikum Augsburg registrier­en lassen, heißt es.

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