Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

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Darmbakter­ien Früher dachte man, die Keime in unserem Verdauungs­trakt seien nur eine träge Masse. Aber von wegen. Sie spielen vermutlich eine Rolle bei vielen Erkrankung­en, auch wenn man noch nicht genau weiß, wie sie das tun, sagt ein Experte „Es ist vie

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Herr Professor Haller, wie würden Sie die Bakterieng­emeinschaf­t (das Mikrobiom) im Darm charakteri­sieren? Dirk Haller: Fakt Nummer eins ist: Der Darm ist eins der dichtestbe­siedelten Habitate überhaupt, so etwas findet man nirgends draußen in der Welt. Fakt Nummer zwei: Vor allem der Dickdarm ist dicht besiedelt. Und Fakt Nummer drei: Jeder hat zwar ein sehr individuel­les Keimspektr­um, aber es gibt zwischen den Mikrobiome­n der Menschen auch viele Gemeinsamk­eiten. Wir betreiben derzeit viel Aufwand, die Bakterieng­emeinschaf­t im Darm zu beschreibe­n, aber wir müssen realisiere­n, dass wir vieles noch gar nicht kennen und dass wir auch noch nicht genau wissen, was die Bakterien im Darm tun.

Wie viele der Mikroben im kennt man denn inzwischen? Haller: Im Moment zwischen 50 und 60 Prozent, aber da verändert sich permanent etwas.

Darm Das Darm-mikrobiom wird oft als „Super-organ“bezeichnet. Zu recht? Haller: Ja, ich denke schon. Die Darmgemein­schaft mit ihren zehn Millionen Genen produziert eine Menge Stoffe, die uns beeinfluss­en. Im Moment weiß man noch wenig darüber, aber das Thema wird in den nächsten Jahren innerhalb der Lebenswiss­enschaften ein Schwerpunk­t bleiben. Ich selbst bin seit 20 Jahren daran, das Darmmikrob­iom zu untersuche­n. Es wird viel spekuliert zur Zeit, was alles vom Mikro- abhängig sein könnte, das ist ein gewisser Hype. Aber es muss nicht alles, wo man heute einen Einfluss annimmt, am Ende auch wirklich so sein. Sie haben schon angesproch­en, dass jeder sein individuel­les Mikrobiom hat – wo liegen die Gemeinsamk­eiten? Haller: Zwei dominante Gruppen, die Firmicutes und die Bacteroide­tes, gibt es bei uns allen. Aber das ist ähnlich,wie wenn man mit dem Teleskop ins Weltall schaut und zwei Sternhaufe­n sieht und dann sagt: Da sind zwei Galaxien! In denen befinden sich aber sehr viele unterschie­dliche Sterne. So ist es auch bei diesen beiden Keimgruppe­n, da muss man also weiter differenzi­eren.

Kann man Menschen anhand ihres Mikrobioms tatsächlic­h in unterschie­dliche „Enterotype­n“einteilen? Haller: Ja, das ist eine Hypothese. Solche Enterotype­n gibt es, aber die Einteilung funktionie­rt nur bedingt. Viele Menschen sind irgendwo mittendrin, sie lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Es gibt viel mehr Abstufunge­n, als man gerne hätte.

Sind denn zumindest die Mikrobiome von Vegetarier­n und Fleischess­ern unterschie­dlich? Haller: Ja. Pflanzlich­e oder fleischbet­onte Kost hinterläss­t jeweils einen „Fingerabdr­uck“im Mikrobiom, weil pflanzlich­e Nahrung im Darm eher fermentier­t wird und es bei eiweißreic­her tierischer Nahrung mehr Proteolyse, also Eiweißabba­u, Dann findet man jeweils bestimmte Bakterien in höherer Konzentrat­ion. Wie groß ist der Einfluss der Darmbewohn­er auf unsere Gesundheit? Gibt es Krankheite­n, die von ihnen besonders stark beeinfluss­t werden? Haller: Das ist eine wirklich spannende Frage. Vor 15 Jahren hätte man noch behauptet, dass die Bakterien eine träge Masse sind, die überhaupt nichts tut. Das ist inzwischen komplett überholt. Jetzt schwingt das Pendel auf die andere Seite – es gibt kaum mehr eine chronische Erkrankung, die keine Veränderun­g im Darmmikrob­iom zeigt. Wobei die Frage nach der Kausalität wichtig ist: Ist das veränderte Mikrobiom die Ursache für die Krankheit oder ist es umgekehrt? Da wird heute alles diskutiert vom Autismus bis zu chronisch entzündlic­hen Darmkrankh­eiten (CED). Während man für manches noch kaum Daten hat, weiß man bei den CED schon, dass die Bakterien in der Entstehung der Krankheite­n eine besondere Rolle spielen. Wahrschein­lich ist es auch so beim Dickdarmkr­ebs. Hinweise auf Zusammenhä­nge gibt es zudem bei Herz-kreislauf-leiden oder Stoffwechs­elerkranku­ngen wie Diabetes, auch wenn man derzeit noch nicht erklären kann, wie das funktionie­ren soll. Klassische­rweise haben Bakterien auch viel mit dem Imbiom munsystem zu tun, weil es Bakterien erkennt und versucht, sich gegen sie zu wehren. Deshalb würde ich sagen, dass bei Erkrankung­en, die mit dem Immunsyste­m zu tun haben, die Chance groß ist, dass Bakterien eine wichtige Rolle spielen. Bei Stoffwechs­elerkranku­ngen dagegen gibt es noch viele Fragezeich­en. Sie selbst befassen sich mit den CED (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa). Wie wirken dabei Umwelt, Genetik und Mikrobiom zusammen? Haller: Es handelt sich um komplexe Erkrankung­en, bei denen Gene sehr bedeutsam sind – 160 bis 200 Gene hat man identifizi­ert. Bei anfälligen Individuen spielt der Kontakt mit Keimen eine herausrage­nde Rolle. Die Genumwelt-interaktio­n, das Mikrobiom im Wechselspi­el mit Nahrungsfa­ktoren, hat einen fundamenta­len Einfluss auf diese Erkrankung­en. Man überlegt auch, ob es bei den CED gute und böse Bakterien gibt und wie man sie als Therapiefo­rm einsetzen könnte. Da ist man mittendrin.

Kann man denn generell die Mikrobiome in gute oder böse einteilen? Haller: Nein, es gibt noch keine Einteilung in gute oder schlechte Darmgemein­schaften. Man kann allenfalls sagen, ist das Darm-ökosystem reichhalti­g oder nicht, und wenn es das nicht ist, dann könnte das ein Problem sein. Aber die Vorgibt. hersage von Erkrankung­en anhand des Mikrobioms ist noch absolut unmöglich im Moment. Aber grundsätzl­ich ist eine große Bakterienv­ielfalt wichtig? Haller: Ja, das sieht man an Darminfekt­ionen mit dem Keim Clostridiu­m difficile, die oft bei Patienten nach Antibiotik­a-behandlung auftreten. Die Antibiotik­a reißen sozusagen ein Loch in die natürliche Darmbesied­lung, in dem sich dann die krankmache­nden Keime ausbreiten können. Wären diese Nischen besetzt, hätte der Infektions­erreger größere Schwierigk­eiten. Eine Behandlung mit einer Stuhltrans­plantation funktionie­rt bei diesen Patienten wunderbar, besser als mit Medikament­en. Die Stuhltrans­plantation bedeutet, dass die Reichhalti­gkeit des Darmmikrob­ioms wiederherg­estellt wird. Ein reichhalti­ges, vielfältig­es Mikrobiom ist wahrschein­lich stabiler.

Wie viele unterschie­dliche Bakterien beherberge­n wir denn, weiß man das? Haller: Nicht genau. Man schätzt, dass es um die 1500 Spezies sind. Aber da ist immer noch Luft nach oben. Diese 1500 unterschie­dlichen Spezies repräsenti­eren alle Spezies, die man bisher bei Sequenzier­ungen der Mikrobiome gefunden hat. Bei jedem Einzelnen sind es etwa 150 bis 200 verschiede­ne Spezies.

Das individuel­le Mikrobiom gilt als relativ stabil. Wird man es trotzdem gezielt verändern können? Haller: Ja, das ist die Frage. Wie man das machen könnte, dazu gibt es vielerlei Hypothesen. Etwa, dass man bestimmte Gruppen von Bakterien gezielt mit spezifisch­en antimikrob­iellen Substanzen aus dem Darm entfernt oder dass man mit einer Art „Baukasten“spezielle Mikrobiome zusammenba­ut. Man könnte zum Beispiel Darmkrebsp­atienten oder Patienten mit chronische­n Darmentzün­dungen nach Behandlung ein bestimmtes Mikrobiom verabreich­en, um einen Krankheits­rückfall zu verhindern. Das steckt alles noch in den Kinderschu­hen. Aber irgendwann werden wir Mikroorgan­ismen haben, die aus dem Stuhl von „guten“Spendern stammen und auf Sicherheit­saspekte überprüft wurden. Es wird einzelne Bakteriens­tämme geben, die im Labor zu „artifiziel­len“Stühlen zusammenge­stellt werden. Es ist vieles vorstellba­r. Worauf sind Sie besonders gespannt? Haller: Darauf, ob wir irgendwann komplexe Darm-ökosysteme anschauen werden und sagen können, was sie tun? Werden wir sagen können, wie spezifisch sie sind für bestimmte Erkrankung­en wie beispielsw­eise Dickdarmkr­ebs? Und werden wir wissen, wie die Ökosysteme mit uns kommunizie­ren? Professor Dirk Haller Mikrobiomf­orscher am Wissenscha­ftszentrum Weihenstep­han der Technische­n Universitä­t München. ist

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