Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das Darmmikrobiom – wer unseren Verdauungstrakt bewohnt
Der Darminhalt kommuniziert mit unserem Gehirn
Darmflora war früher die Rede, heute wird die Vielfalt unserer Darmbewohner „Darmmikrobiom“oder auch „Darmmikrobiota“genannt. Sie bietet reichlich Anlass zum Staunen:
● Ökosystem Der Darm beherbergt Billionen Bakterien – mehr, als unser Körper Zellen hat. In jedem Gramm Darminhalt leben mehr Mikroben als Menschen auf der Erde. Das Mikrobiom stellt ein riesiges Ökosystem innerhalb des Körpers dar. Die meisten Mikroben leben im Dickdarm.
● Genetische Vielfalt Das Mikrobiom im Verdauungstrakt umfasst hundert mal mehr Gene, als der menschliche Körper hat. Die Gesamtheit dieser Gene wird „Metagenom“genannt. Die Entschlüsselung des Mikrobiom-metagenoms ist eine dem humanen Ge- vergleichbare internationale Anstrengung.
● Superorgan Als Superorgan wird das Mikrobiom von Forschern oft bezeichnet. Es ist wichtig nicht nur für die Darmgesundheit, sondern zum Beispiel auch für ein optimal funktionierendes Immunsystem. Und sogar für die Gesundheit unseres Gehirns: So wird untersucht, welche Auswirkungen das Darmmikrobiom auf Gehirnfunktionen hat. Laut Deutscher Gesellschaft für Neurologie wird ein Zusammenhang zwischen Darmmikrobiom und zahlreichen Erkrankungen des Zentralvon nervensystems wie Alzheimer, Multiple Sklerose oder Schlaganfall vermutet. Es wird zudem angenommen, dass auch Übergewicht oder Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes vom Darmmikrobiom beeinflusst werden.
● Besiedlung Die Darmmikrobiota des Menschen entwickelt sich in den ersten Lebensjahren, informiert die DGMIM (Deutsche Gesellschaft für Mukosale Immunologie und Mikrobiom). Der Verdauungstrakt des Ungeborenen ist demnach im Mutterleib steril (keimfrei), die bakterielle Besiedlung beginnt bei der Geburt. Einen besondenom-projekt ren Einfluss auf die Besiedlung hat die Nahrung, heißt es. Ob ein Kind gestillt oder mit Flaschennahrung gefüttert wird, lässt sich an der Darmmikrobiota erkennen. Der Darm gestillter Kinder wird hauptsächlich von milchsäureproduzierenden Bakterien bevölkert, die zu einem sauren Darmmilieu führen, in dem sich Krankheitserreger schlecht ansiedeln können.
● Enterotypen Laut DGMIM lassen sich beim Menschen drei Enterotypen (Darmtypen) erkennen: der Bacteroides-, der Prevotella- und der Ruminokokken-dominierte Typ. Die unterschiedlichen Bakterien haben spezifische Eigenschaften und Fähigkeiten. Bakterien der Gattung Bacteroides etwa können vor allem die Vitamine C, B2, Pantothensäure und Biotin herstellen. Prevotella dagegen überwiegend Vitamin B1 und Folsäure.
● Funktionen Zu den Funktionen des Mikrobioms zählen die Unterstützung der Verdauung, die Entwicklung des Immunsystems und der Schutz gegen Krankheitserreger.
● Stuhltransplantation Bei Stuhltransplantationen wird das Darmmikrobiom gesunder Menschen auf Kranke übertragen. Das funktioniert derzeit bei schweren Infektionen mit dem Keim „Clostridium difficile“, zu denen es nach einer Antibiotika-therapie kommen kann. Ob die Stuhltransplantation auch eine Option für andere Erkrankungen sein könnte, ist noch offen.
● Probiotika Probiotika (Zubereitungen mit lebensfähigen Mikroorganismen wie etwa Bifidobakterien oder Lactgobazillen) sind grundsätzlich in der Lage, eine aus dem Gleichgewicht geratenes Darmmikrobiom wieder in die Balance zu bringen, verlautete vom jüngsten „Gut Mikrobiota for Health World Summit“Anfang März in Miami. Sie hätten unter anderem die Fähigkeit, die Darmbarriere zu stärken, um krankmachende Mikroorganismen von der Blutbahn fernzuhalten. Manche Probiotika hätten eine entzündungshemmende Wirkung, andere milderten Symptome wie Blähungen oder Bauchschmerzen. Allerdings müssten noch viele Dinge geklärt werden, heißt es, damit Probiotika ihre ganze Bandbreite an Möglichkeiten entfalten könnten. Viele Studien zu Probiotika beruhten auf nur kleinen Teilnehmerzahlen. Umstritten sei zudem, welche Dosierungen bei Probiotika zu empfehlen seien. (shs)