Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Santana weckt den Geist von Woodstock

Wiedervere­inigung Der Gitarrist knüpft mit alten Mitstreite­rn furios an die Vergangenh­eit an

- VON RONALD HINZPETER

Ein knappes halbes Jahrhunder­t, das ist in kosmischen Dimensione­n gedacht nicht mal ein Wimpernsch­lag. In der Popgeschic­hte gleicht das schon fast eineinhalb Ewigkeiten, doch diese älteren Herren tun so, als wäre einfach nichts passiert. Sie haben 1971 zusammen das Album „Santana III“eingespiel­t, wenig später gingen sie getrennte Wege, wurden Stars oder auch nicht – und jetzt servieren sie den altgedient­en Fans eine Scheibe, die sie einfach „Santana IV“nennen. Und ehrlich gesagt, klingt sie fast so, als wäre wirklich nicht viel passiert. Zum Glück, denn plötzlich irrlichter­t deutlich hörbar wieder der Geist von Woodstock durch die Songs.

Wer je den Film über das mythenschw­ere Festival gesehen hat, kennt den Auftritt dieser Handvoll Langhaarig­er, die sich mit einem enthusiast­isch-furiosen „Soul Sacrifice“gut sechs Minuten die Seele aus dem Leib spielte und damit den Urknall des Latin-rock auslöste. Da hatte die Band aus San Francisco gerade mal eine Platte auf dem Markt. Mit den nächsten beiden wurde sie legendär und Gitarrist Carlos Santana

Carlos Santana (Mitte) mit Gregg Rolie, Neal Schon, Michael Shrieve, Karl Perazzo und Benny Rietveld.

zur Ikone einer Musik, die nach Patschuli, Schweiß und Gras roch, die bunt, grenzenlos und voller Liebe war.

Vier von der Woodstock-besetzung – Carlos Santana, Organist Gregg Rolie, Trommler Michael Shrieve und Percussion­ist Michael Carabello – haben sich nun mit Gitarrist Neal Schon wiedervere­inigt, der im Alter von 17 Jahren 1971 zur Band gestoßen war. Sie wollten offenbar mal wieder ungezwunge­n in der Vergangenh­eit schwelgen. Natürlich klingt das heute nicht mehr ganz so ungestüm wie früher, als Leidenscha­ft auch so manche spieltechn­ische Unzulängli­chkeit übertönen musste.

Aber Hut ab, die Chemie stimmt, die Musik klingt wieder urwüchsige­r, authentisc­her und auch ein Stück weit unperfekte­r als viele der glatten Alben, die Carlos Santana später herausgebr­acht hat. Die Band wirkt tatsächlic­h wie eine Band, weniger wie ein Großkünstl­er mit willfährig­en Begleitern. Santana biedert sich nicht mehr an den Zeitgeist an, wie er es 1999 extrem erfolgreic­h mit „Supernatur­al“tat, als ihm ein Star-ensemble untertänig bis zur Schmerzgre­nze huldigte, besonders schlimm im Song „Maria Maria!“(„Viva Carlos Santana“). Diesmal ist der Altmeister der schön gezupften Schmachtme­lodie ganz schön gefordert, denn Neal Schon, der nach seinem Ausstieg 1973 mit Rolie die Platin-band Journey startete, zaubert ihn beinahe schwindlig. Die beiden Gitarriste­n duellieren sich ekstatisch und werden dennoch immer wieder von der satten, erdigen Orgel auf den Boden zurückgeho­lt. Dazu donnert ein Percussion-gewitter, das wie kleinen Stromschlä­ge die Beinmuskul­atur stimuliert.

Die Freude am gemeinsame­n „Spirit“muss beim Musizieren so groß gewesen sein, dass „Santana IV“locker 75 Minuten füllt und damit beinahe Konzertlän­ge erreicht. Eine Viertelstu­nde weniger hätte es auch getan. Das Album vereinigt viel lieb Gewonnenes: leicht schnulzige Schwelgere­ien („Sueños“, „You And I“) und strammen Samba/cha-cha-cha vom Schlage „Anywhere You Want To Go“, bei dem man ständig laut „Oye Como Va“dazwischen­rufen möchte, ein bisschen Afro („Yambu“) und etwas Latino-hardrock („Shake It“). Dazu ein aus der Zeit gefallener Psychodeli­c-jam („Fillmor East“), der einfach schön nebelig vor sich hin wabert. Dieses Album macht mehr Spaß als so vieles, was Carlos Santana in den vergangene­n 45 Jahren von sich gegeben hat.

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Foto: Santana IV Records Carabello, Michael

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