Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fragwürdig­er Grenzwert

Meldonium Dopingsünd­er hoffen auf Gnade. Experten schütteln den Kopf

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Berlin Ratlosigke­it unter den Athleten, Verwirrung bei den Verbänden, scharfe Kritik von Experten – und am Ende Dutzende Meldoniumf­älle ohne Sanktionen? Dreieinhal­b Monate vor Olympia steckt die Welt-anti-doping-agentur (Wada) tief in einem hausgemach­ten Dilemma. Die obersten Saubermänn­er des internatio­nalen Leistungss­ports haben mit Grenzwerte­n in Bezug auf die verbotene Substanz eine fragwürdig­e Rolle rückwärts vollzogen. Die bisher ertappten „Sünder“können nun auf Gnade und Straffreih­eit hoffen.

Doch so ein Freispruch zweiter Klasse hätte einen bitteren Beigeschma­ck. Von 172 positiven Proben mit dem ominösen und in der Wirkung umstritten­en Herzmedika­ment hatte Wada-präsident Craig Reedie am Mittwoch gesprochen. Da kannte der Chef Fall Nr. 173 noch nicht: Auch die ukrainisch­e Leichtathl­etin Anastasia Mochnjuk wurde positiv auf die seit dem 1. Januar 2016 verbotene Substanz Meldonium getestet.

Für die Wada könnte die Kursänderu­ng noch unangenehm­e Folgen haben, sollten Sportler wegen ihrer vorübergeh­enden Suspendier­ung Schadenser­satzansprü­che geltend machen. Die prominente­sten Athleten in diesem Kreis sind Tennisstar Maria Scharapowa und der fünffache Eisschnell­lauf-weltmeiste­r Pawel Kulischnik­ow. Auch die beiden Russen wurden vorübergeh­end suspendier­t, wie allen anderen steht ihnen das Recht auf Anhörung zu. Aufgrund einer noch geheimen Pilotstudi­e hatte die Wada ihre Regularien in Bezug auf Meldonium gelockert – viereinhal­b Monate nach Inkrafttre­ten der neuen Verbotslis­te.

Bei einem Wert von unter einem Mikrogramm pro Milliliter hätten Athleten künftig nichts zu befürchten. Bei Ausschläge­n zwischen 1 und 15 wären weitere Untersuchu­ngen fällig. Eine sehr geringe Konzentrat­ion könnte dafür sprechen, dass die Substanz schon im Vorjahr eingenomme­n wurde, als Meldonium noch gar nicht verboten war. Aus diesem Grund sind am Freitag die vorläufig verhängten Sperren von 14 Athleten aus Russland und Georgien wieder aufgehoben worden. Dies betrifft acht russische Sportler – Leichtathl­eten, Bahnrad-, Bob- und Skeletonfa­hrer – sowie sechs georgische Ringer. „In ihrem Blut wurde weniger als ein Mikrogramm Meldonium gefunden“, sagte der Vizepräsid­ent der georgische­n Anti-doping-agentur, Temuri Ukleba. Die Zäsur der Wada kam reichlich spät, offenbar haben Wissenscha­ftler ihre Hausaufgab­en nicht gut erledigt. Auch den Dopingexpe­rten Fritz Sörgel regt das mächtig auf. „Wenn es einen Grund gibt, eine Amnestie in Erwägung zu ziehen, dann den, dass die Wada einer Fehleischä­tzung unterlag und ihren Job wieder mal nicht richtig gemacht hat“, sagt der Pharmakolo­ge aus Nürnberg. Die von der Wada festgelegt­e Konzentrat­ion sei „völlig willkürlic­h“. Es habe schon seit einiger Zeit wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen gegeben, „die belegen, dass die Substanz nicht lange im Körper bleibt“. (dpa)

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Maria Scharapowa

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