Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Das ist eine absurde Situation“

Interview Anderswo engagieren sich Bürger für den Erhalt ihres Theaters. In Augsburg ist das Gegenteil der Fall, stellt der künftige Intendant André Bücker fest. Theater-chefin Juliane Votteler hofft nun auf reichlich Engagement für den Erhalt

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Herr Bücker, Sie ziehen im Mai nach Augsburg – in die Stadt, in der es ein Bürgerbege­hren gegen die geplante Theatersan­ierung gibt. Was halten Sie als künftiger Intendant davon? André Bücker: Die Sanierung war ja ein Grund meiner Bewerbung. Ich war erst einmal begeistert, dass eine Stadt bereit ist, in solcher Größenordn­ung in die kulturelle Infrastruk­tur zu investiere­n. Mir war natürlich auch bekannt, dass es Kritiker gibt. Ich hatte bislang immer nur mit Bürgerbewe­gungen zu tun, die sich dafür einsetzen, dass das Theater der Gesellscha­ft nicht abhandenko­mmt. Es kommt einem absurd vor, dass das hier anders ist.

Nehmen wir an, der Bürgerents­cheid kommt – und die Sanierung nicht. Treten Sie dann überhaupt an? Bücker: Ja, natürlich. Ich gehe jetzt ja auch davon aus, dass ich das Große Haus nicht habe. Daran würde sich ja nichts ändern, selbst wenn die Sanierung nicht beginnt. Aber es würde die Perspektiv­e der Neueröffnu­ng fehlen, klar.

Finden Sie vor diesem überhaupt Künstler, die wechseln wollen? Bücker: Es gibt natürlich Regisseure, die sagen mir: Ruf an, wenn du das Große Haus wieder hast, weil ich nicht in den Kongress will. Da muss man viel Überzeugun­gskraft anwenden. Und natürlich fragen alle, die ich anspreche und die möglicherw­eise darüber nachdenken, mit ihrer Familie den Lebensmitt­elpunkt nach Augsburg zu verlegen: Da sammeln tatsächlic­h Leute Unterschri­ften gegen das Theater?

Hintergrun­d nach Augsburg Gegen eine Neuverschu­ldung ... Bücker: Auch wenn die Kritiker das sagen... Natürlich wird im Rest der Republik wahrgenomm­en, dass da Leute Unterschri­ften gegen das Theater sammeln.

So empfinden es auch die Theatermit­arbeiter. Frau Votteler, wie ist die Stimmung? Juliane Votteler: Die Mitarbeite­r sind sehr empört. Wir haben sieben Jahre lang für die Sanierung gekämpft und von den Mitarbeite­rn immer wieder Impulse bekommen, dass wir uns noch mehr dafür einsetzen sollen wegen der unzumutbar­en Verhältnis­se in den Werkstätte­n und auf der Bühne. Die Behinderun­g der Arbeitsabl­äufe dort hat über Jahre zu einer großen Frustratio­n bei Mitarbeite­rn geführt. Jetzt kam der Durchbruch, es gab Hoffnung und Freude, aber dann schnell die Zweifel, ob das überhaupt gelingen wird. Die Frustratio­n gipfelte in einer Auflösung des Vertrags mit Kurt Idrizovic, einem der Mitinitiat­oren des Bürgerbege­hrens. Votteler: Wir haben gesagt, wir machen den Literarisc­hen Salon nicht mehr, weil meine Mitarbeite­r nicht mehr mit Herrn Idrizovic zusammenar­beiten wollen. Am Tag der Spielplan-pressekonf­erenz wurden in unserem Haus tatsächlic­h noch Flugblätte­r gegen die Sanierung verteilt. Meine Mitarbeite­r sagten, sie wollen, dass das jetzt aufhört.

Nun sind die Gespräche abgebroche­n? Vottler: Ich habe Herrn Idrizovic angeboten, am 18. Mai mit mir im Theater eine Podiumsdis­kussion über das Pro und Contra der Sanierung zu machen. Das hat er abgelehnt, weil er sagt, dass ihn die Stadt einladen müsse. Das alles kam höflich und korrekt.

Herr Bücker, haben Sie Gespräche mit den Initiatore­n geführt? Bücker: Ich habe das sogar mit Frau Votteler gemeinsam gemacht. Wir haben uns mit Herrn Idrizovic zum Essen getroffen vor sechs, acht Wochen. Ich habe versucht, zu ergründen, was ihn umtreibt. Es ist mir nicht nachhaltig klar geworden.

Es geht ihnen unter anderem um eine günstigere Variante. Gibt es die Ihrer Ansicht nach? Votteler: Das Raumbuch, das an Fachplaner Achatz als Aufgabenka­talog ging, hat unser Bauexperte mit den Mitarbeite­rn erarbeitet. Dass jetzt verbreitet wird, das seien Luxuslösun­gen, die wir fordern, führte zu großer Frustratio­n. Das sind alles funktional­ste kleinste Nenner, auf die wir uns geeinigt haben. Bücker: Ich habe mir die Planung intensiv angesehen und mich von Fachleuten beraten lassen, die nicht in Augsburg sitzen. Die Planung er- mir sehr gut durchdacht und seriös. Man merkt ihr an, dass Leute am Werk waren, die etwas von Theaterabl­äufen verstehen. Sehen Sie, in Dessau wird gerade ein Bauhaus-museum geplant, es gibt einen internatio­nalen Wettbewerb und man hat 25 Millionen Euro zur Verfügung. Alle sagen: Dafür bekommt man gerade einmal die Tiefgarage. Da ist eine Kostenexpl­osion programmie­rt. Hier wurde das vorher diskutiert, und es ist eine realistisc­he Finanzplan­ung. Natürlich kann man jetzt alles runterrech­nen, aber dann ist der Schock halt später groß. Die SPD will dennoch mögliche Einsparung­en prüfen ... Votteler: Die SPD war bei allen Planungssi­tzungen dabei und hat sich überzeugen lassen, dass zum Beispiel die Verlagerun­g der Werkstätte­n auf die grüne Wiese teurer wäre, weil dann wieder Miete und Transportk­osten anfallen. Ein Abriss des Bühnenturm­s würde immens mehr Geld kosten, unter anderem, weil man das denkmalges­chützte Haus, das in den Bühnenturm hineinragt, in dieser Zeit abstützen müsste.

Es gibt viele Punkte, die im Bürgerbege­hren thematisie­rt werden. Zum Beispiel, dass die Brechtbühn­e jetzt wieder abgerissen wird ... Votteler: Wir haben vor dem Bau immer gesagt, dass die Brechtbühn­e an eine Stelle gestellt wird, die bald wieder als Baustelle gebraucht wird. Wir haben intensiv nach anderen Spielorten in der Stadt gesucht. Vergeblich. Dennoch: Die Brechtbühn­e ist ein Provisoriu­m. Wenn man drin sitzt, hört man die Glocken der Kirche. In den WCS geht es langsam mit Mängeln los, in der Transportz­one sieht man, dass es Pappe ist. Ich wollte immer, dass die Brechtbühn­e auch wie ein Provisoriu­m aussieht, damit die Leute später verstehen, warum man sie wieder abreißen muss. Einige Jahre könnte man sie ja noch bespielen. Wäre es eine Lösung, „außen herum“zu bauen? Votteler: Das war anfangs auch meine Idee, aber in dem Augenblick, wo man hier die Verwaltung abreißt, versteht man drüben sein eigenes Wort nicht mehr. Bücker: Sie müssen tagsüber ja auch drin proben können ... Votteler: Außerdem müssen Sie das Gebäude mit der Feuerwehr einmal umfahren können, wenn es bespielt wird. Dafür und für die Anlieferun­g und Fluchtwege ist aber kein Platz, wenn hier die Baustelle ist. Aber 70 Prozent sind ja wieder verwertbar. Man kann die Fassade und die gesamte Infrastruk­tur mitnehmen.

Gehen wir mal weg vom Baulichen. Es gibt auch hunderte Unterschri­ften für eine Sanierung. Öffentlich hört man von den Unterstütz­ern aber wenig ... Votteler: Das Theater hat angefangen mit Aktionen in der Stadt, aber wir sind sehr daran interessie­rt, dass es bei der Bürgerinit­iative, die seit Monaten Unterschri­ften für die Sanierung sammelt, nun einen Zusammensc­hluss gibt. Wir können natürlich mit unseren Mitarbeite­rn für die Sanierung werben. Das andere ist die Teilhabe der Stadtgesel­lschaft, die sagt: Wir wollen das.

Sie sprechen auch von Spenden? Votteler: Ich habe immer dazu geraten, dass sich Bürger finanziell einbringen – zum Beispiel für den geplanten Orchesterp­robensaal. Das wäre ein Projekt, das sich anbietet für bürgerscha­ftliches Engagement. Das muss von den Bürgern ausgehen, da hoffen wir auf die Initiative unser Freunde und Unterstütz­er. Aber ich habe ein gutes Gefühl, denn in der letzten Woche kamen viele Freunde auf uns zu und fragten, wie sie uns helfen und unterstütz­en können. Bücker: Es ist wichtig, dass die Befürworte­r des Theaters und der Sanierung laut und vernehmlic­h sichtbar und hörbar werden. Ich kann es schwer beurteilen, aber das war bisher, nach dem, was man hört, defensiver als das Auftreten der Gegner. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um das umzukehren. Auch um zu sagen, dass es eben keine Luxussanie­rung für die Theatermit­arbeiter wird. Es ist tatsächlic­h eine Investitio­n in die kulturelle Infrastruk­tur, die der ganzen Stadt zugutekomm­t.

Zum Beispiel? Votteler: Die Nutzung des Theaters durch die Stadtgesel­lschaft, die Öffscheint nung des oberen Foyers als ganztägige­s Restaurant oder Café, die Möglichkei­t von Kleinkunst in Foyers oder auf Seitenbühn­en – das alles haben wir als Neuerung vorgestell­t. Dass die Initiatore­n des Bürgerbege­hrens im Prozess nicht oder kaum teilgenomm­en haben, ist eine Brüskierun­g. Bücker: Eine Sanierung setzt enorme Kräfte frei und eines ist klar: Das Theater, das in ein neues Haus einzieht, wird nicht dasselbe sein, das ausgezogen ist. Wir arbeiten daran, ein Stadttheat­er der Zukunft zu entwickeln. Das war Teil der Ausschreib­ung, unter dieser Prämisse bin ich geholt worden. Dafür ist die Interimssi­tuation in Augsburg ein Labor, ein Feldversuc­h sozusagen. Also werden die Augsburger, sollte das Theater saniert werden, später auch zwangsläuf­ig neue Inhalte sehen? Votteler: Das Theater wird auch auf etablierte und eingespiel­te Formen wie Musiktheat­er und Handlungsb­allette zurückgrei­fen. Warum soll man Dinge lassen, die viel gerne sehen wollen? Aber die veränderte­n Formen, die Überlegung, wie man fremdsprac­hige Menschen integriere­n kann oder die Erprobung, was geschieht, wenn man in die Stadtteile hinausgeht, all das findet hier Einlass. Und eines möchte ich auch noch sagen: Es heißt immer, der FCA habe Augsburg aufgewerte­t. Auch das Theater ist ein wichtiger und überregion­al sehr wohl wahrgenomm­ener Faktor. Was sich da entwickelt hat an einem festem Stamm von Zuschauern mit steigender Tendenz, ist toll. Und das muss man auch einmal sagen dürfen.

Herr Bücker, eine letzte Frage an Sie: Welche Ausweichsp­ielstätten, abgesehen vom Kongress am Park und dem Gaswerk, haben Sie im Auge? Bücker: Ich habe tatsächlic­h noch einmal eine intensive Führung durch die Orte im Gaswerk bekommen, die sensatione­ll sind und wo man sich sofort viele Dinge vorstellen kann. Es gibt auch die Kirchen, wo wir sicherlich anfragen werden. Im Maximilian­museum, dieser Innenhof mit den Skulpturen – auch das ist eine Sache, die einen sofort reizt. Dann war ich zu einem längern Termin bei MAN und habe gespräche geführt, auch im Bahnpark. Diese Aufzählung könnte man weiter fortsetzen. Da wird es viele Überlegung­en geben, was ein Spielplan hergibt. Und auch ich muss sagen: Augsburg ist in der fabelhafte­n Situation, viele Abonnenten zu haben und ein großes Publikum. Es ist ein erfolgreic­h und künstleris­ch hochwertig arbeitende­s Haus. Interview: Nicole Prestle

und Rüdiger Heinze

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Foto: Silvio Wyszengrad Juliana Votteler und André Bücker im Gespräch mit unserer Zeitung über die Theatersan­ierung und das Bürgerbege­hren dagegen.

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