Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Spitzenreiter in Sachen Flächenfraß
Wandel Die Region ist bayernweit ganz vorn, wenn Ackerland für Gewerbe und Industrie weichen muss. Das macht dem Bund Naturschutz aus vielen Gründen Sorgen. Für die IHK dagegen ist klar: Nur so kann die Wirtschaft wachsen
Region Ernst Haile blickt um sich und sagt: „Willkommen im neuen Ortszentrum von Derching.“In seinem Rücken reihen sich Autos am Drive-in–schalter von Mcdonalds, der Parkplatz ist voll. Ein paar Meter weiter läuft ein Arbeiter auf der Baustelle des neuen Aldi durch den Schlamm und noch ein bisschen weiter rast der Verkehr auf der sechsspurigen A8 vorbei. Haile ist der Kreisvorsitzende des Bund Naturschutz im Landkreis Aichachfriedberg und steht natürlich nicht in der neuen Ortsmitte von Derching, sondern im angrenzenden Gewerbegebiet. Was er mit der Aussage meint, ist: „Einkaufen und Gastronomie waren früher der soziale Kern eines Dorfes. In Derching haben wir das nicht mehr, dafür haben wir ein Gewerbegebiet an der A 8.“Und das wächst. Denn Gewerbe siedelt sich dort an, wo die Grundstückspreise niedrig sind und die Verkehrsanbindung gut ist – und das ist meist außerhalb der Orte.
Das Gewerbegebiet in Derching ist im Großraum Augsburg nicht das einzige Beispiel. Auch in Gersthofen wächst die Gewerbefläche am Ortsrand. Am Gallenbacher Berg an der B300 planen Aichach und Dasing ein interkommunales Gewerbegebiet. In Graben wird die Gewerbefläche an der B 17 immer größer. Fördergelder von Bund und Ländern und erwartete Gewerbesteuereinnahmen machen es für Kommunen verlockend, neue Gewerbeflächen auszuweisen. Der Flächenverbrauch wächst und das ärgert die Naturschützer. Die Region Augsburg zählt in Bayern zu den Spitzenreitern. Zwischen 2000 und 2013 wurden im Landkreis Augsburg 2000 Hektar zugebaut, im Landkreis Aichach-friedberg waren es rund 1000 Hektar. „Wenn wir in diesem Tempo weiter bauen, gibt es in 400 Jahren keine freie Fläche mehr in der Umgebung“, sagt Johannes Enzler, Vorsitzender der Kreisgruppe Augsburg im Bund Naturschutz.
Aber was ist schlimm am Flächenverbrauch? Stephan Kreppold ist Bio-landwirt aus Aichach. Seit 2006 versucht er, den Bau des Gewerbegebiets an der B300 zu verhindern. „Der Bauernverband stimmt uns zu: Dieses Stück Land ist landwirtschaftlich gesehen ein Filetstück“, sagt Kreppold. 200000 Kubikmeter bester landwirtschaftlicher Boden werden unbrauchbar gemacht, wenn das Gewerbegebiet bebaut ist, so Kreppold. Für einen Landwirt sei das sehr schmerzhaft. Sollten die Gewerbebauten einmal abgerissen werden, brauche es etwa 8000 Jahre, bis sich die Humusschicht erneuert habe, sagt Thomas Frey, Regionalreferent des Bund Naturschutzes für Schwaben.
Doch zugebaute Fläche hat noch weitere Nachteile: Regenwasser kann nicht im Boden versickern und das Grundwasser auffüllen. Außerdem binden die Pflanzen auf den Äckern CO2. Auch der Bestand verschiedener Arten, die früher weit verbreitet waren, wie etwa die Feldlerche, geht immer weiter zurück.
Dass sich die Naturschützer gerade jetzt über den Flächenverbrauch so erregen, liegt an einer Novelle des bayerischen Landesentwicklungsprogramms (LEP), die Heimatminister Markus Söder (CSU) plant. Dort galt bisher ein Anbindungsgebot. Das heißt, Gewerbegebiete dürfen nicht überall entstehen, sondern müssen an einen Ort angebunden sein. Bisher gab es davon nur wenige Ausnahmen – etwa für Logistikzentren, wie in Graben oder in Gersthofen. Nun soll dieses Anbindungsgebot gelockert werden. Künftig sollen auch an Ausfahrten von Autobahnen und vierspurigen Straßen Gewerbegebiete entstehen können. Auch Interkommunale Gewerbeund Industriegebiete müssen nicht mehr an Orte angebunden sein. Für die Naturschützer heißt das: Freie Flächen werden immer weniger, und die bayerische Kulturlandschaft verändert sich.
Doch warum gibt es diese Überlegung dann? „Ziel der Lockerung ist eine Stärkung des ländlichen Raums“, sagt Heimatminister Söder. „Bürgermeister und Kommunen sollen mehr Freiraum bei der Ansiedlungspolitik bekommen. Denn wir brauchen Arbeitsplätze für junge Leute auf dem Land. Jeder soll in seiner Heimat leben und arbeiten können.“
Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben sieht die Lockerung eher positiv. „Einen Flächenverbrauch sehe ich so nicht“, sagt Peter Lintner. Er ist bei der IHK für die Standortpolitik zuständig. „In der Kulturlandschaft hat es eine Nutzungsänderung gegeben und ich weiß nicht, ob man Fläche wie ein Stück Seife verbrauchen kann“, sagt er. Für die IHK stehe der Wirtschaftsstandort Schwaben im Fokus. Und der wächst. „Wenn wir mehr Menschen werden, ist doch klar, dass wir mehr Straßen und Flächen brauchen“, sagt Lintner. Aber: Auch die IHK ist gegen Einzelhandelsgroßprojekte am Ortsrand oder auf der grünen Wiese. „Wir wollen keine Konkurrenz zu den Innenstädten“, so Lintner. Für Produktionsbetriebe ergebe ein Gewerbegebiet im Außenbereich hingegen Sinn. „Da geht es auch um Emissionsschutz“, sagt der IHKMANN.
Und noch etwas sei an der Lockerung des Anbindungsgebotes gut: Manche Kommunen stießen bei der Ausweisung von Gewerbeflächen zusehends an ihre Grenzen. „Mit der Novelle wird der Druck von den Gemeinden genommen“, so Lintner. Der Bund Naturschutz sieht das anders. Statt immer neue Gewerbeflächen auszuweisen, sollten die Gemeinden auf den Innenbereich zurückgreifen. Alleine im Landkreis Augsburg gebe es 311 Hektar leere Gewerbegebiete, so Kreisvorsitzender Enzler. „Warum versucht man nicht, Unternehmen dort anzusiedeln?“, fragt er.
Für die IHK ist das schwierig. Firmen, die an einen Standort ziehen, hätten den Wunsch zu wachsen. „Wenn sie wohin gehen und nach fünf Jahren müssen sie umziehen, weil der Platz nicht mehr reicht, lohnt sich die Investition nicht“, sagt Lintner. Doch auch die IHK sagt, dass der Naturschutz wichtig sei, schon um den Standort Schwaben attraktiv zu halten.
„Wir brauchen einen Gesinnungswandel. Boden muss wieder als etwas Wertvolles gesehen werden“, fordert dagegen Hubert Weiger, Vorsitzender des Deutschen und des Bayerischen Bund Naturschutz. „Schauen Sie sich doch in Graben um. Alle Gebäude sind einstöckig. Warum bauen die Unternehmen nicht in die Höhe statt in die Breite? Das ist teurer, würde aber Boden sparen.“Damit das passiere, müsse der Quadratmeterpreis aber höher werden, und dafür brauche es die Politik, so Weiger.