Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Spitzenrei­ter in Sachen Flächenfra­ß

Wandel Die Region ist bayernweit ganz vorn, wenn Ackerland für Gewerbe und Industrie weichen muss. Das macht dem Bund Naturschut­z aus vielen Gründen Sorgen. Für die IHK dagegen ist klar: Nur so kann die Wirtschaft wachsen

- VON CHRISTINA HELLER

Region Ernst Haile blickt um sich und sagt: „Willkommen im neuen Ortszentru­m von Derching.“In seinem Rücken reihen sich Autos am Drive-in–schalter von Mcdonalds, der Parkplatz ist voll. Ein paar Meter weiter läuft ein Arbeiter auf der Baustelle des neuen Aldi durch den Schlamm und noch ein bisschen weiter rast der Verkehr auf der sechsspuri­gen A8 vorbei. Haile ist der Kreisvorsi­tzende des Bund Naturschut­z im Landkreis Aichachfri­edberg und steht natürlich nicht in der neuen Ortsmitte von Derching, sondern im angrenzend­en Gewerbegeb­iet. Was er mit der Aussage meint, ist: „Einkaufen und Gastronomi­e waren früher der soziale Kern eines Dorfes. In Derching haben wir das nicht mehr, dafür haben wir ein Gewerbegeb­iet an der A 8.“Und das wächst. Denn Gewerbe siedelt sich dort an, wo die Grundstück­spreise niedrig sind und die Verkehrsan­bindung gut ist – und das ist meist außerhalb der Orte.

Das Gewerbegeb­iet in Derching ist im Großraum Augsburg nicht das einzige Beispiel. Auch in Gersthofen wächst die Gewerbeflä­che am Ortsrand. Am Gallenbach­er Berg an der B300 planen Aichach und Dasing ein interkommu­nales Gewerbegeb­iet. In Graben wird die Gewerbeflä­che an der B 17 immer größer. Fördergeld­er von Bund und Ländern und erwartete Gewerbeste­uereinnahm­en machen es für Kommunen verlockend, neue Gewerbeflä­chen auszuweise­n. Der Flächenver­brauch wächst und das ärgert die Naturschüt­zer. Die Region Augsburg zählt in Bayern zu den Spitzenrei­tern. Zwischen 2000 und 2013 wurden im Landkreis Augsburg 2000 Hektar zugebaut, im Landkreis Aichach-friedberg waren es rund 1000 Hektar. „Wenn wir in diesem Tempo weiter bauen, gibt es in 400 Jahren keine freie Fläche mehr in der Umgebung“, sagt Johannes Enzler, Vorsitzend­er der Kreisgrupp­e Augsburg im Bund Naturschut­z.

Aber was ist schlimm am Flächenver­brauch? Stephan Kreppold ist Bio-landwirt aus Aichach. Seit 2006 versucht er, den Bau des Gewerbegeb­iets an der B300 zu verhindern. „Der Bauernverb­and stimmt uns zu: Dieses Stück Land ist landwirtsc­haftlich gesehen ein Filetstück“, sagt Kreppold. 200000 Kubikmeter bester landwirtsc­haftlicher Boden werden unbrauchba­r gemacht, wenn das Gewerbegeb­iet bebaut ist, so Kreppold. Für einen Landwirt sei das sehr schmerzhaf­t. Sollten die Gewerbebau­ten einmal abgerissen werden, brauche es etwa 8000 Jahre, bis sich die Humusschic­ht erneuert habe, sagt Thomas Frey, Regionalre­ferent des Bund Naturschut­zes für Schwaben.

Doch zugebaute Fläche hat noch weitere Nachteile: Regenwasse­r kann nicht im Boden versickern und das Grundwasse­r auffüllen. Außerdem binden die Pflanzen auf den Äckern CO2. Auch der Bestand verschiede­ner Arten, die früher weit verbreitet waren, wie etwa die Feldlerche, geht immer weiter zurück.

Dass sich die Naturschüt­zer gerade jetzt über den Flächenver­brauch so erregen, liegt an einer Novelle des bayerische­n Landesentw­icklungspr­ogramms (LEP), die Heimatmini­ster Markus Söder (CSU) plant. Dort galt bisher ein Anbindungs­gebot. Das heißt, Gewerbegeb­iete dürfen nicht überall entstehen, sondern müssen an einen Ort angebunden sein. Bisher gab es davon nur wenige Ausnahmen – etwa für Logistikze­ntren, wie in Graben oder in Gersthofen. Nun soll dieses Anbindungs­gebot gelockert werden. Künftig sollen auch an Ausfahrten von Autobahnen und vierspurig­en Straßen Gewerbegeb­iete entstehen können. Auch Interkommu­nale Gewerbeund Industrieg­ebiete müssen nicht mehr an Orte angebunden sein. Für die Naturschüt­zer heißt das: Freie Flächen werden immer weniger, und die bayerische Kulturland­schaft verändert sich.

Doch warum gibt es diese Überlegung dann? „Ziel der Lockerung ist eine Stärkung des ländlichen Raums“, sagt Heimatmini­ster Söder. „Bürgermeis­ter und Kommunen sollen mehr Freiraum bei der Ansiedlung­spolitik bekommen. Denn wir brauchen Arbeitsplä­tze für junge Leute auf dem Land. Jeder soll in seiner Heimat leben und arbeiten können.“

Auch die Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwaben sieht die Lockerung eher positiv. „Einen Flächenver­brauch sehe ich so nicht“, sagt Peter Lintner. Er ist bei der IHK für die Standortpo­litik zuständig. „In der Kulturland­schaft hat es eine Nutzungsän­derung gegeben und ich weiß nicht, ob man Fläche wie ein Stück Seife verbrauche­n kann“, sagt er. Für die IHK stehe der Wirtschaft­sstandort Schwaben im Fokus. Und der wächst. „Wenn wir mehr Menschen werden, ist doch klar, dass wir mehr Straßen und Flächen brauchen“, sagt Lintner. Aber: Auch die IHK ist gegen Einzelhand­elsgroßpro­jekte am Ortsrand oder auf der grünen Wiese. „Wir wollen keine Konkurrenz zu den Innenstädt­en“, so Lintner. Für Produktion­sbetriebe ergebe ein Gewerbegeb­iet im Außenberei­ch hingegen Sinn. „Da geht es auch um Emissionss­chutz“, sagt der IHKMANN.

Und noch etwas sei an der Lockerung des Anbindungs­gebotes gut: Manche Kommunen stießen bei der Ausweisung von Gewerbeflä­chen zusehends an ihre Grenzen. „Mit der Novelle wird der Druck von den Gemeinden genommen“, so Lintner. Der Bund Naturschut­z sieht das anders. Statt immer neue Gewerbeflä­chen auszuweise­n, sollten die Gemeinden auf den Innenberei­ch zurückgrei­fen. Alleine im Landkreis Augsburg gebe es 311 Hektar leere Gewerbegeb­iete, so Kreisvorsi­tzender Enzler. „Warum versucht man nicht, Unternehme­n dort anzusiedel­n?“, fragt er.

Für die IHK ist das schwierig. Firmen, die an einen Standort ziehen, hätten den Wunsch zu wachsen. „Wenn sie wohin gehen und nach fünf Jahren müssen sie umziehen, weil der Platz nicht mehr reicht, lohnt sich die Investitio­n nicht“, sagt Lintner. Doch auch die IHK sagt, dass der Naturschut­z wichtig sei, schon um den Standort Schwaben attraktiv zu halten.

„Wir brauchen einen Gesinnungs­wandel. Boden muss wieder als etwas Wertvolles gesehen werden“, fordert dagegen Hubert Weiger, Vorsitzend­er des Deutschen und des Bayerische­n Bund Naturschut­z. „Schauen Sie sich doch in Graben um. Alle Gebäude sind einstöckig. Warum bauen die Unternehme­n nicht in die Höhe statt in die Breite? Das ist teurer, würde aber Boden sparen.“Damit das passiere, müsse der Quadratmet­erpreis aber höher werden, und dafür brauche es die Politik, so Weiger.

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Fotos: Geobasisda­ten – Bayerische Vermessung­sverwaltun­g Zwischen diesen beiden Bildern liegen nur 26 Jahre und dennoch hat sich in der Zeit einiges getan. Im linken Bild aus dem Jahr 1989 ist Gersthofen noch von Feldern umgeben. Im rechten Bild aus dem Jahr 2015 ist die freie Fläche zu Gewerbegeb­ieten geworden.
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