Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Bauboom hat seine Schattenseiten
Diese Woche Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist angespannt, und überall in der Stadt wird gebaut. Aber sind die Neubaugebiete wirklich die einzige und beste Lösung?
Drim@augsburger-allgemeine.de
ie Zukunft des Bauens ist ein heikles Thema. Es gibt viele Menschen, die – mitunter schon ziemlich verzweifelt – nach günstigen Wohnungen suchen. Das ist schwer und wird – wenn der Wohnungsmarkt weiter so boomt – schwerer. Würden nicht ständig neue Wohnungen dazukommen, würde die Wohnungssuche allen viel schwerer fallen. Es ist also gut, dass überall in der Stadt so viel gebaut wird.
Oder doch nicht? Jeder neue Bau bindet Ressourcen, benötigt Energie, verbraucht zusätzliche Flächen. Fast jeder neue Bau ist ein Eingriff in die Natur, der nicht einfach rückgängig gemacht werden kann. Der Flächenverbrauch in ganz Deutschland und natürlich auch in Augsburg schreitet unaufhörlich voran. Selbst in Kommunen, die schrumpfen, werden neue Baugebiete ausgewiesen. Von der Natur her gesehen, sollte so wenig wie möglich neu gebaut werden.
Und schon ist es kompliziert. Auch in einer Stadt wie Augsburg, die in den letzten Jahren von der Einwohnerzahl gewachsen ist und schon allein deshalb neuen Wohnraum benötigt hat. Aber ist jeder Neubau nötig? Oder würden auch deutlich weniger langen?
Das Bauen ist gerade ein ziemlich gutes Geschäft. Die Preise sind erstaunlich gestiegen. Die Architekten, Bauträger und Baufirmen verdienen genauso daran wie die Städte, die Banken und der Staat. Und wenn die Geschäfte prächtig laufen, kommt niemand auf die Idee, das Modell zu hinterfragen. Es wird einfach weiter Bauland ausgewiesen, damit alles weiter wachsen kann.
Umso höher muss da eingeschätzt werden, dass der Bund Deutscher Architekten in Augsburg und Schwaben jüngst den Architekturkritiker Daniel Fuhrhop eingeladen hat, der unter dem plakativen Titel „Verbietet das Bauen“im Rahmen einer Podiumsdiskussion Konzepte vorgestellt hat, mit denen weniger Neubauten nötig wären.
Und vielleicht ist es mitten im Bauboom wirklich einmal nötig, innezuhalten und sich zu überlegen, ob das wirklich alles sein muss. Es gibt ja Leerstände mitten in der Stadt: Wohnungen, Reihenhäuser, Häuser, die nicht mehr genutzt werden, aber – aus unterschiedlichen Gründen – nicht den Weg auf den Wohnungsmarkt finden. Wohnungen, die aus Bequemlichkeit, vielleicht aus Bedenken gegenüber künftigen Mietern nicht vermietet werden. Und diese Wohnungen fehlen Menschen, die gerade auf der Suche sind. An dieser Stelle sei nur kurz an das Grundgesetz erinnert: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Das Nächste ist der Umgang mit den Altbeständen. Und da geht es nicht nur um Häuser, die unter Denkmalschutz stehen. Rein ökologisch ist die Energiebilanz eines Hauses, das saniert wird, in den meisten Fällen positiver als ein Totalabriss mit folgendem Neubau – selbst wenn der Neubau dem Passivhausstandard entspricht. Sobald der Energieeinsatz beim Bauen mit in die Bilanz eingerechnet wird, sind Abriss und Neubau die schlechtere Option. Übrigens verhält es sich bei Kühlschränken, Autos, etc. ähnlich. Ökologisch ist es, die Dinge möglichst lange zu nutzen ...
Ein weiterer Grund, der zu ständigen Symbolfoto: Marijan Murat, dpa
Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet
Neubauten führt, ist der Umstand, der jeder Einzelne mehr Wohnraum verbraucht. Wo früher eine Familie mit zwei Kindern auf 90 Quadratmetern gelebt hat, also vier Menschen, findet sich heute vielleicht ein Single. Aber ist so viel Platz allein nötig? Und können da nicht Wege gefunden werden, nicht benötigten Wohnraum anderen Menschen zur Verfügung zu stellen? Ist Neubau wirklich die einzige Lösung, um der Nachfrage auf dem angespannten Immobilienmarkt gerecht zu werden? Bestimmt nicht.
Das Problem ist bislang, dass es für die anderen Wege und Lösungen, mit dem Immobilienbestand, mit dem Raum auf kreative Weise umzugehen, keine etablierten Geschäftsmodelle gibt. Aber vielleicht finden sich da ja irgendwann einmal Pioniere, die etwas Neues wagen, indem sie ihre berufliche Existenz ganz auf das Bestehende setzen.