Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Auto schimpfen?

CONTRA

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Der Straßenver­kehr ist ein Spiegel der Kulturen. Der Inder etwa muss unentwegt hupen, allein um zu zeigen, dass er da ist. Der Deutsche dagegen arrangiert sich ausschließ­lich über Verkehrssc­hilder und Leitsystem­e mit der Welt, er rollt in einer geschlosse­nen Zelle durchs Land, ganz bei sich. Mit einer Ausnahme: Wenn ein anderer im Weg ist, sich unpraktisc­h anstellt, nicht erwartungs­gemäß funktionie­rt, also aufhält, ausbremst, Zeit kostet, einen von der Ideallinie abbringt. Dann wird gemotzt, gemault, geschimpft. Aber nicht etwa, um sich wirklich mit dem anderen persönlich auseinande­rzusetzen, zu streiten – sondern bloß, um sein Rechthaben zu signalisie­ren, die eigene Überlegenh­eit, um den anderen unterzubut­tern also und ihn so aus dem Weg zu räumen.

Jetzt kann man grundsätzl­ich über das merkwürdig­e asoziale deutsche Unwesen nachdenken. Oder einfach selbst kapieren, dass das Auto gar kein persönlich­er Schutzraum ist, sondern Teil der Öffentlich­keit. Und dass, wer hier mault, tatsächlic­h gar nicht seine Wut irgendwie spielerisc­h und für sich abbaut – sondern er kultiviert die Aggression und mästet die Gewissheit der eigenen Überlegenh­eit gegenüber der Umwelt. Andere können nur stören – viele Motzer bemerken das Unschöne an dieser Haltung, sobald jemand mit im Auto sitzt. Mancher trägt dann besonders Wut und Rechthaben zur Schau. Das Missverstä­ndnis ist: Straßenver­kehr ist kein technische­r Ablauf mit mir im Zentrum und darum herum Zeichen und Regeln, sondern ein Miteinande­r von Teilnehmer­n. Und keiner von denen macht absichtlic­h Fehler. Der notorische Motzer aber will mit den Menschen am liebsten gar nichts zu tun haben und Raum und Zeit ganz allein kontrollie­ren. Eigentlich lächerlich. Jedenfalls unsympathi­sch.

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Fotos: Edenwithin, Fotolia
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WOLFGANG SCHÜTZ
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