Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum Holländer von deutschem Blut singen

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Wenn Holländer ihre Nationalhy­mne, Het Wilhelmus, anstimmen, könnten sie, stünde ihnen der Sinn danach, sehr lange singen. Das alte Lied hat stolze 15 Strophen. In der ersten kommt aber gleich ein Satz, der den deutschen Zuhörer stutzen lässt. Da singen die Holländer doch tatsächlic­h „van Duitsen bloed“. Von deutschem Blut? Ja wollen die das denn sein?

Na ja. Das „Duitse bloed“bezieht sich auf den Nationalhe­lden der Niederländ­er. Wilhelm von Oranien-nassau führte im 16. Jahrhunder­t siegreich den Frei- heitskampf der protestant­ischen Niederländ­er gegen die katholisch­e Herrschaft der Spanier. Und er war zweifellos deutsch; seine Familie war im hessischen Dillenburg zu Hause. Sein Gegner, der Herzog Alba, versuchte vergebens im Auftrag des spanischen Königs Philipp dort oben die Inquisitio­n durchzuset­zen. In Schillers „Don Karlos“gibt Alba – nebenbei bemerkt – einen bühnenwirk­samen Bösewicht. Das Lied, das Wilhelms deutsches Blut besingt, entstand um 1570/71 und wurde lange Zeit nur inoffiziel­l gesungen, als Kampflied gegen die Spanier und dann als Ausdruck einer stolzen Seemacht. Das befreite Königreich entschied sich zunächst für eine andere Nationalhy­mne. Der „Wilhelmus“aber blieb jahrhunder­telang unwiderste­hlich. 1932 wurde er schließlic­h zur offizielle­n Hymne erhoben. Als dann die Blut-und-boden-deutschen einmarschi­erten, wurde der „Wilhelmus“wieder brandaktue­ll. In der sechsten Strophe „vertreiben“die Holländer „die Tyrannei“, die ihnen „das Herz verwundet“. Was sich ursprüngli­ch gegen die Spanier richtete, missfiel nun den Nazis, die als neue Tyrannen das Land besetzt hielten. Sie belegten die sechste Strophe mit einem Singverbot. Dass die Holländer nach dem Krieg diese gegen die Tyrannei gerichtete Strophe besonders gerne schmettert­en, versteht sich. Derweil hatten die Deutschen ihre eigenen Hymnen-probleme. „Einigkeit und Recht und Freiheit“lösten das „Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles“ab, das die Nazis schmettert­en. Haydns schöne Melodie durfte – nach heftiger Debatte – bleiben. So bewegen sich Nationalhy­mnen mit dem Lauf der Geschichte. Heute ist die europäisch­e Nachbarsch­aft so entspannt, dass die Oranjes das „Duitse bloed“auch dann fröhlich schmettern, wenn sie im Fußballsta­dion gegen Duitsland antreten.

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