Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn CDU und SPD keine Mehrheit mehr zustande bringen
Leitartikel Was in Baden-württemberg und Sachsen-anhalt Realität ist, könnte sich bei den Wahlen in Berlin im September wiederholen. Das macht neue Bündnisse nötig
Jfer@augsburger-allgemeine.de
an Stöß hatte nicht den Hauch einer Chance. Denn der Berliner SPD-CHEF stand in seinem eigenen Landesverband alleine auf weiter Flur. Als sein Parteifreund Michael Müller, seit Dezember 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin, in der vergangenen Woche völlig überraschend ankündigte, beim nächsten Parteitag am 30. April für das Amt des Parteichefs kandidieren zu wollen, das er bereits von 2004 bis 2012 innehatte, hatte der Herr im Roten Rathaus mächtige Verbündete auf seiner Seite. Allen voran SPDFraktionschef Raed Saleh.
Jan Stöß tat unter diesen Umständen das einzig Richtige. Nach einer Nacht Bedenkzeit kündigte er an, auf dem Parteitag nicht gegen Müller anzutreten und den Delegierten somit eine Kampfabstimmung zu ersparen.
Michael Müller, der eher unscheinbare Ziehsohn von Klaus Wowereit, greift mit diesem Coup fünf Monate vor den Wahlen in der Hauptstadt am 18. September nach der ganzen Macht in der SPD. Ein Stück weit ist es eine Revanche für die bittere Niederlage, die ihm Stöß vor vier Jahren zugefügt hatte, als er in einer Kampfabstimmung Müller stürzte, was damals auch als schwere Niederlage Wowereits galt und den Anfang vom Ende seiner Regierungszeit bedeutete. Mehr aber noch ist es der Versuch des Regierungschefs, dem es bislang kaum gelungen ist, eigene Akzente zu setzen und an Format im Amt zu gewinnen, die chronisch zerstrittene Berliner SPD auf seinen Kurs zu bringen. Dem Parteichef Stöß, Vertreter des linken Flügels, traute Müller, Repräsentant des rechten Flügels, dabei wohl nicht zu, die für den Wahlkampf notwendige Geschlossenheit für seine Politik der Mitte zu garantieren.
Denn es sieht nicht besonders gut für den Regierenden Bürgermeister aus. Nach den jüngsten Umfra- gen wäre die Große Koalition aus SPD und CDU am Ende, weil sie keine Mehrheit mehr hätte. Die seit 25 Jahren in wechselnden Konstellationen regierende SPD, die seit 2001 den Bürgermeister stellt, läge mit 23 Prozent nur noch hauchdünn vor der CDU mit 21 Prozent. Die Grünen kämen auf 17, die Linke auf 16 und die AFD auf 13 Prozent. 59 Prozent der Berli- ner sind mit der Arbeit des Senats unzufrieden, auch Müllers Popularitätswerte sind bescheiden, kein Vergleich zum einst so charismatischen Wowi-bären Wowereit.
Der Berliner CDU gelingt es ihrerseits nicht, von der Schwäche der SPD zu profitieren. Parteichef und Innensenator Frank Henkel, der vor wenigen Tagen zum Spitzenkandidaten und somit zum Herausforderer Müllers gekürt wurde, gilt als noch blasser und profilloser Zeichnung: Paolo Calleri Rscan-yegd3yet als der Rathauschef. Vor allem aber hat er keine realistische Machtoption. Die FDP dümpelt bei fünf Prozent dahin, Schwarz-grün ist in der Hauptstadt undenkbar, hätte auch keine Mehrheit.
So dreht sich alles um die Frage, wie es in Berlin nach den Wahlen weitergeht, wenn Müller möglicherweise zwei Koalitionspartner braucht. Mit dem Linken Jan Stöß an der Parteispitze wäre Rot-rotGrün die wahrscheinlichste Option gewesen. Der Pragmatiker Müller hingegen will sich darauf nicht festlegen und möchte sich alle Optionen offenhalten. Und so kommt ein Modell ins Spiel, das es noch nie gegeben hat: die Fortsetzung der Großen Koalition mit der FDP als dritter Kraft im Bunde, eine rotschwarz-gelbe Koalition der Mitte. Gedankenspiele, mehr vorerst nicht. Und doch mit einem ernsten Hintergrund, wenn den Volksparteien das Volk davonläuft und SPD und CDU keine Mehrheit mehr zustande bringen. Erst in BadenWürttemberg und Sachsen-anhalt, bald auch schon in Berlin. Und das könnte erst der Anfang sein.
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