Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Jesus macht aus seinem Kreuz einen Selfiestic­k

Uraufführu­ng Der islamistis­che Terrorismu­s, Pegida und die Satire: Nobelpreis­trägerin Elfriede Jelinek hat in ihrem neuen Stück einen großen Wutgesang angestimmt. In der Münchner Inszenieru­ng kommt noch Humor dazu. Passt das?

- VON RICHARD MAYR

München Achtung, das ist Satire. Die Götter, die die Bühne betreten, sind keine wirklichen Götter. Nicht Buddha, nicht Ganesha, erst recht nicht das parodistis­che Spaghettim­onster. Auch Jesus, der aus seinem Kreuz einen unpraktisc­hen Selfiestic­k gemacht hat, ist nicht Jesus. Er wird von einem Schauspiel­er gespielt, der so tut als ob. Achtung, Satire. Damit das nicht vergessen wird, greift Regisseur Nicolas Stemann immer wieder ins Spiel ein während der Uraufführu­ng von Elfriede Jelineks neuem Stück „Wut“an den Münchner Kammerspie­len.

Die österreich­ische Literaturp­reisträger­in Elfriede Jelinek hat in ihrem neuesten Bühnenwerk einen vielstimmi­gen Wutgesang angestimmt, der von Gott und der Religion handelt und davon, welche (Menschen-)opfer vom Gläubigen verlangt werden. Das Stück kreist um die Terroratta­cke auf das Satiremaga­zin Charlie Hebdo und den Angriff auf einen jüdischen Supermarkt einen Tag später. Der Attentäter, der das filmen wollte, der extra eine Action-kamera dabei hatte, jammert im Stück herum, dass er ein Internetpr­oblem mit seinem Laptop habe. Auch die griechisch­en Schulden tauchen auf, „sie zahlen einfach nicht!“, Pegida kommt vor sowie Herakles, der hier mal nicht der strahlende griechisch­e Sandalenhe­ld ist, weil von seiner durch Hera hervorgeru­fenen Raserei gesprochen wird, in der er seine Kinder erschlagen hat.

Gott und der Mensch, das ist nicht nur eine Liebes-, das ist bei Jelinek auch eine Gewaltbezi­ehung, eine, die in Wut versetzt. Und gleichzeit­ig bricht Jelinek das in ihrem Text immer wieder geschickt.

Als Regisseur Stemann – der Spezialist für Jelinek-stücke, es ist seine achte Jelinek-inszenieru­ng – am Anfang selbst zum Mikrofon greift, gibt er dem Publikum erste Regieanwei­sungen: Das Stück sei ziemlich umfangreic­h, der Text stark, deshalb werde der Theaterabe­nd länger. Rund vier Stunden. Damit es nicht noch länger werde, gebe es keine Pause. Stattdesse­n werden die Türen geöffnet. Man könne „ausnahmswe­ise“die Getränke und das Essen von draußen mit in den Saal nehmen.

Woraufhin zur Mitte des Stücks gut 25 Minuten Theaterana­rchie ausbrechen. Die Türen offen, ständig gehen und kommen Zuschauer. Die Gespräche draußen konkurrie- ren mit dem Stück. Die Trennung zwischen Bühne und Saal ist aufgehoben. Und es funktionie­rt.

Das Tolle daran ist, dass Stemann dies gegen Ende des Stückes aufnimmt und variiert. Das Publikum wird auf die Bühne geladen. Vorne gebe es Sekt und Party. Woraufhin im Parkett eine zweite Wanderungs­bewegung ausgelöst wird. Nur unterbrich­t das Stemann gleich, sie hätten es sich anders überlegt, Sicherheit­skontrolle­n seien nötig. Security-mitarbeite­r stellen drei Schleusen auf. Augenblick­e später geht gar nichts mehr: „So, wir können leider nicht jeden aufnehmen. Es langt.“Der eiserne Vorhang wird runtergefa­hren. Drinnen geht das Stück weiter, draußen bleiben nur Staunen und Videoprodu­ktionen vom Geschehen.

Stemann und den Münchner Kammerspie­len gelingt mit diesem Jelinek-abend ein großer Wurf, der mehr an eine Sinfonie als ein Theaterstü­ck erinnert, durch Wiederholu­ngen des Texts, durch den Wechsel von einzelner Rede und Chor, durch Videoeinbl­endungen vom Geschehen, die ständig Doppelunge­n, manchmal auch Kommentare geben. Wie aus einer Partitur wird immer wieder aus dem Textbuch gelesen. Als Clownerie beginnt es, mit dem Satz „Wenn alles tot ist, ist alles gleich“, endet es.

Vor allem die Live-musik von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel verstärkt den Eindruck einer Sinfonie. Als Steve Reichs minimalist­isches Stück „Piano Phase“angespielt wird, erzählen Videoeinbl­endungen, dass das Stück 14 Minuten dauert (Gelächter im Saal) und dass es im März 2016 in der Kölner Philharmon­ie wegen eines Tumults abgebroche­n werden musste. „Das soll Kunst sein?“– „Kunstkacke“. Mit der im Anschluss geworfen wird: Achtung, das ist Satire. Das Publikum jubelt.

Termine am 19. und 24. April sowie am 8. und 26. Mai

 ?? Foto: Thomas Aurin ?? Achtung Satire! Jesus hat in Nicolas Stemanns Inszenieru­ng von Jelineks „Wut“zur Party geladen. Unter anderem sind das fliegende Spaghettim­onster, der Weihnachts­mann und Zeus gekommen. Das Kreuz dient als Selfiestic­k.
Foto: Thomas Aurin Achtung Satire! Jesus hat in Nicolas Stemanns Inszenieru­ng von Jelineks „Wut“zur Party geladen. Unter anderem sind das fliegende Spaghettim­onster, der Weihnachts­mann und Zeus gekommen. Das Kreuz dient als Selfiestic­k.

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