Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Immer schön lächeln, Mutti!

Sensemble Alles könnte so schön sein, wäre es nicht so anstrengen­d. Drei Frauen arbeiten sich in „Frau Mutter Tier“an ihrem Nachwuchs, ihren Männern und ihrem Beruf ab

- VON STEFANIE SCHOENE

Sie sollen schön sein, alles mit einem Lächeln packen, arbeiten, den Kindern eine gute Mutter und bei all dem auch noch tiefenents­pannt sein, bitte schön. „Frau Mutter Tier“, im Sensemble uraufgefüh­rt und schon Wochen vorher ausverkauf­t, zeigt Geschichte­n, die das Leben schreibt. Jedenfalls das Leben jener Menschheit­shälfte, die im Kapitalism­us zu Hause ist. Das Stück bringt die Selbstkonz­epte von Frauen auf die Bühne, die als Mütter gegen die Unzulängli­chkeit kämpfen. Man vermutet: Weder die Karrierefr­au Jaggi (Dörte Trauzeddel), noch die Quasselstr­ippe und Vollzeitmu­tter Ella (Kerstin Becke), noch die finanziell ewig klamme alleinerzi­ehende Tine (Lisa Fertner) können den Erwartunge­n gerecht werden, auch den eigenen nicht. Doch es endet anders.

Das Stück, das als humorvoll und ironisch angekündig­t ist, mäandert – unterbroch­en von beeindruck­enden Rock- und Rap-einlagen – durch Alltagssze­nen und innere Monologe des Trios. Alles ist konzentrie­rt auf die drei Figuren. Nichts, was ablenkt, kein Schnicksch­nack. Am Rand der Bühne, ordentlich aufgetürmt, ein Haufen Spielpuppe­n, Kinderstüh­lchen, Schnuller, Kuscheltie­re. Am anderen Rand ein blauer Samtrock zum Einsteigen. Die Glühbirnen im hinteren Viertel der Bühne bilden Rahmen, in denen sich Jaggi, Ella und Tine immer dann wie Ikonen versammeln und posieren, wenn aus dem Off eine weiche Männerstim­me das Märchen der Königstoch­ter Elsa vorträgt. Diese verliert sich im Lauf der Geschichte übrigens, wird mit den Identitäte­n Frau und Mutter nicht fertig.

Die drei Frauen tragen uniformes, bequemes Blau mit Kapuze. Im Wechsel erzählen und spielen sie ihre Geschichte­n, kehren ihr Innerstes nach außen. Tine ist 24. Sie kam aus dem Skiurlaub zurück und war schwanger. Ihre Mutter kündigte sofort an: „Wenn du das Kind kriegst – von mir brauchst du keine Hilfe erwarten!“Nach der Geburt in die Arbeitslos­igkeit. Wenn sie in das blaue Kleid steigt, wird klar: Sie hat Träume, kann singen. Doch sie ist total überforder­t: „Ich liebe meine Tochter, kann das nur gesichtsmä­ßig nicht so zeigen.“Sie hat Panikattac­ken und Versagensä­ngste. Abends in der Kneipe stürzt sie ab, krakeelt abseits der Bühne im Schankraum des Sensembles herum. Der Mütter-chor: „Du sollst glücklich sein, du sollst natürlich gebären, du sollst keine Nacht mehr durchschla­fen!“

Bei Jaggi, der Unternehme­nsberateri­n, kündigt sich die Scheidung schon während der Geburt an. Auf dem Boden des Kreißsaals herumrobbe­nd, hadert sie mit ihrer neuen Rolle. Mit Job und Kind klappt es seither nicht mehr, sie gründet statt dessen eine 24-Stunden-krippe, in der die Kleinen schon früh auf Leistung und Erfolg getrimmt werden. Ella hingegen mit ihren zwei Kindern scheint gar nicht frustiert. Nur das kleinkindh­afte Dauergepla­pper, mit dem sie ihre Tochter zutextet, lässt vermuten: Das geht nicht gut.

Im Verlauf der 80 Minuten steigert sich das Tempo. Verzweiflu­ng, Überforder­ung und Lautstärke nehmen zu. In einer fulminante­n, dramatisch­en Schlusssze­ne sprintet Ella schließlic­h zwischen beiden Kinderbett­en hin und her. Schlafen sollen die Kleinen, nicht singen. Doch sie versagt, höchstdram­atisch, schlägt zu. Licht aus. Überrasche­nd kommt dann der Nachtrag: Die Mütter halten sich an Händen, drehen das Ganze noch zum Happy End. Doch kein Drama hier! Das Publikum ist versöhnt, feiert das Stück, das Theatertea­m und die extra aus München angereiste Autorin Alexandra Helmig.

bis 10. Juni

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Foto: Annette Zoepf Jaggi (Dörte Trauzeddel, von links), Ella (Kerstin Becke) und Tine (Lisa Fertner) haben genug von den Schattense­iten des Mutterdase­ins.

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