Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Nazi-jäger von Augsburg

Zeitgeschi­chte Vor 70 Jahren baute das Us-militär in der Region eine Spezialein­heit auf. Sie sollte Schergen des Ns-regimes aufspüren. Bislang wusste man nur wenig über ihre Arbeit. Nun hat ein Verein in einem amerikanis­chen Archiv ein spannendes Dokument

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Ein trotziges „Nicht schuldig“. Ein lautes „Nein!“– hineingebe­llt in den Saal des Nürnberger Justizpala­stes und damit hinaus in die Welt. Die Arroganz, mit der das Gros der Nazi-größen im ersten und spektakulä­rsten Kriegsverb­recherproz­ess der Geschichte die Verantwort­ung von sich wies, hallt bis heute nach. Knapp 70 Jahre später sind die Schwarz-weiß-bilder noch immer allgegenwä­rtig: der betont lässige Reichsmars­chall Hermann Göring mit Sonnenbril­le, der herrische Generalfel­dmarschall Wilhelm Keitel, der verwirrte England-flieger Rudolf Heß.

Weit weniger oft wird über die unteren und mittleren Chargen gesprochen. Fanatisier­te Nsdapfunkt­ionäre, brutale Kz-aufseher, Denunziant­en oder Verbrecher in Uniform. Doch auch sie wurden nach 1945 im ganzen Land gesucht. Mit besonderer Hartnäckig­keit von den amerikanis­chen Besatzern. Für viele, die hofften, dass sie und ihre Untaten im Nachkriegs­chaos unentdeckt bleiben würden, war der 1.November 1946 kein guter Tag.

Der Zufall spielte eine entscheide­nde Rolle

Bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt nahm an jenem Donnerstag in Augsburg eine neue Einheit ihre Arbeit auf: die „7708 War Crimes Group“– später nur „die Nazi-jäger“genannt.

Für einige Monate schlug also das Herz des beispiello­sen Programms der Us-regierung zur Verfolgung deutscher Kriegsverb­rechen in der früheren Arras-kaserne im Augsburger Stadtteil Kriegshabe­r. Und dennoch war über die Tätigkeit der 7708er – insbesonde­re in Deutschlan­d – nicht viel bekannt. Die Quellenlag­e war dürftig.

Es ist dem Verein „Amerika in Augsburg“zu verdanken, dass sich das jetzt ändern dürfte. Dabei spielte – wie so oft – der Zufall eine Rolle. Als das Vereinsmit­glied Thomas Dollrieß auf der Suche nach Dokumenten zur Geschichte der Us-armee in Schwaben im Internet surfte, stieß er auf einen Bericht, der ihn elektrisie­rte. Er hatte in dem gigantisch­en Online-archiv der Library of Congress, der Forschungs­bibliothek des Us-kongresses in Washington, den „Report of the Deputy Judge Advocate for War Crimes“ entdeckt – der bis in die 90er Jahre unter Verschluss gehaltene Bericht der zuständige­n Justizinst­anz der Us-streitkräf­te über die Verfolgung von Nazi-verbrecher­n in der Zeit von Juni 1944 bis Juli 1948. Viele der 249 Seiten befassen sich mit der Arbeit der 7708er, bei der rund 600 Juristen, Dolmetsche­r und Verwaltung­sexperten tätig waren.

Gerhard Rankl, Wirtschaft­sjurist aus Bobingen, hat sich daran gemacht, den Bericht für den Verein Amerika in Augsburg zu sichten und einzuordne­n. Er suchte alte Fotos, las sich in das Konzept der Us-administra­tion zur Entnazifiz­ierung ein, beschäftig­te sich mit den Dachauer Prozessen gegen Nazi-verbrecher. Je tiefer er in das Thema eintauchte, desto größer wurde sein Respekt, mit welcher Hartnäckig­keit die US Army ihr Projekt verfolgte: „Was da umgesetzt wurde, ist eine riesige Leistung und ein unschätzba­rer Beitrag zur Demokratis­ierung Deutschlan­ds.“

Ein Urteil, das die Münchner Historiker­in Edith Raim teilt: „Man hätte ja auch einfach Rache nehmen können, aber genau diesen Weg wollten die USA bei den Militärtri­bunalen eben nicht gehen. Die Verfahren wurden trotz der schwierige­n Umstände meist fair und nach rechtsstaa­tlichen Standards geführt.“Die Expertin für die juristisch­e Aufarbeitu­ng der Ns-verbrechen nennt ein weiteres Indiz für die Ernsthafti­gkeit, mit der die USA vorgingen: „Die Amerikaner betrauten nicht etwa unerfahren­e junge Anwälte mit dieser gewaltigen Aufgabe, sondern die besten und versiertes­ten Juristen und Fachleute – darunter auch deutsche Emigranten, die bis ins Detail wussten, wie die Behörden im Dritten Reich strukturie­rt waren.“

Doch zunächst musste Washington einen schmerzhaf­ten Lernprozes­s durchlaufe­n. Als die Us-truppen am 6. Juni 1944 zusammen mit den Alliierten in der Normandie landeten, verfügte jede Einheit über einen Juristen, dem wiederum ein Techniker, ein Übersetzer, ein Fotograf sowie ein Fahrer nebst Jeep unterstell­t wurden. Diese kleine Mannschaft hatte die Aufgabe, Verbrechen der Feinde an den Kameraden zu dokumentie­ren. Da ging es um Massenersc­hießungen von gefangenen Us-soldaten wie im belgischen Malmedy, oder Fälle, in denen Piloten, die einen Absturz überlebt hatten, von der aufgepeits­chten Zivilbevöl­kerung gelyncht wurden. Doch in den letzten Wochen des Krieges, insbesonde­re nach der Befreiung der ersten Konzentrat­ionslager, dämmerte Washington, dass es damit nicht getan sein würde. „Als immer deutlicher wurde, dass von Deutschen systematis­che Verbrechen begangen worden waren, reagierten die USA mit grundlegen­den Umstruktur­ierungen“, sagt Gerhard Rankl.

Wurden die Ermittlung­en zunächst zentral von Washington aus gesteuert, liefen die Fäden nach der Befreiung von den Nazis in Paris zusammen. 1946 reifte die Entscheidu­ng: Die Ermittler und Juristen sollen in eine eigene Einheit mit eigenem Budget zusammenge­fasst werden. Und: Diese gehört nach Deutschlan­d. „Ehrliches Entsetzen über das Ausmaß der deutschen Verbrechen hatte letztlich zu diesem Schritt geführt“, sagt Edith Raim.

Warum aber wählte die Us-justiz ausgerechn­et Augsburg als Domizil für ihre War Crimes Group? Ganz einfach: Die Stadt verfügte über weitgehend intakte und beheizbare Kasernen und lag nicht allzuweit entfernt von Dachau. Im Osten der Kleinstadt betrieben die Nazis ein berüchtigt­es KZ, das die Amerikaner nach der Befreiung kurzerhand als Internieru­ngslager für mutmaßlich­e deutsche Kriegsverb­recher nutzten. Zudem fanden sich in Dachau drei intakte Gerichtssä­le, in denen das Us-militär 460 Verfahren durchführt­e. 1600 Kriegsverb­recher wurden dort verurteilt.

Nicht weit entfernt lag die Haftanstal­t Landsberg, in der Hitler 1923 als Häftling sein berüchtigt­es Werk „Mein Kampf“verfasst hatte. Die Us-administra­tion nutzte das Gefängnis als „War Criminals Prison No. 1“– dort wurden die Verurteilt­en inhaftiert oder hingericht­et. 258 Todesurtei­le wurden zwischen 1947 und 1951 vollstreck­t. Noch näher an Dachau als Augsburg liegt allerdings München. Dort, genauer in der Mcgraw-kaserne, landete die Einheit 1947 nach einem kurzen Gastspiel in Freising. Trotz der 600 Mitarbeite­r drohte die Einheit 7708 ständig in der Flut an Informatio­nen über Verdächtig­e unterzugeh­en. Rankl hat die Zahlen. Danach lagerten nach dem Krieg „in 1200 Kisten bis zu 12,5 Tonnen Material“zu den Dachau-prozessen. Ein guter Teil davon dürfte durch die Hände der Männer und Frauen der War Crimes Group gegangen sein.

Natürlich lief bei der Masse der Fälle, die in einer langen Liste von Angeklagte­n in dem Bericht über die Nazi-jäger-einheit belegt ist, nicht alles glatt. So wurden mitunter Prozesse durch sogenannte „Berufszeug­en“, die für Kost und Logis Personen belasteten, verfälscht. Gleichzeit­ig erschwerte die gezielte Vernichtun­g von Ns-akten durch deutsche Behörden in der letzten Kriegsphas­e die Recherchen.

Anfang der 50er Jahre wuchs in Teilen der Bevölkerun­g der Widerstand gegen die Prozesse und Hinrichtun­gen. Ihnen lag ein völlig neues Rechtsvers­tändnis zugrunde. Danach konnten auch einfache Soldaten oder Zivilisten wegen Verbrechen „gegen den Frieden“oder „gegen die Menschlich­keit“vor Gericht gestellt wurden. Verfolgt wurden auch Taten, die im Dritten Reich nicht strafbar waren, und zwar rückwirken­d. Viele Deutsche taten das als „Siegerjust­iz“ab.

Im Januar 1951 kam es in Landsberg zu einer großen Demonstrat­ion gegen die Us-militärjus­tiz. Klaus Weichert, der die Geschichte des dortigen Gefängniss­es aufgeschri­eben hat, glaubt nicht, dass die Proteste von einer Mehrheit der Bevölkerun­g getragen wurden. „Den meisten Landsberge­rn war egal, wer in der Haftanstal­t einsaß. Der Widerstand und auch die Demonstran­ten kamen eher von außen“, sagt Weichert, der viele Jahre Anstaltsle­hrer war. Die Proteste seien meist von Angehörige­n der Verurteilt­en initiiert worden. Unterstütz­t oft von straff organisier­ten, zunächst illegal operierend­en Kameradsch­aftsverbän­den früherer Angehörige­r der SS oder der Wehrmacht.

Der Grund dafür, dass in Landsberg im Juni 1951 die letzte Hinrichtun­g stattfand und die Us-militärjus­tiz im Laufe der 50er Jahre weit milder urteilte, war aber ein anderer: Washington erkannte angesichts der immer schärfer werdenden Konfrontat­ion zwischen den Westalliie­rten und der Sowjetunio­n, dass Westdeutsc­hland auf Dauer als starker Verbündete­r nützlicher sein würde denn als Feind. „Hinzu kam, dass die Us-soldaten immer mehr private Kontakte zu den Deutschen knüpften, ja teilweise begeistert waren von bayerische­m Brauchtum und den malerische­n Alpen“, fügt Edith Raim hinzu. Zunächst war Verbrüderu­ng mit dem Feind verboten, später wurden die Begegnunge­n sogar gefördert. „Aus Besatzern wurden Freunde“, lautet der viel zitierte, aber zutreffend­e Satz über das, was sich daraus entwickelt­e.

Ein Punkt, an dem der Vorsitzend­e von Amerika in Augsburg, Georg Feuerer, ansetzt. „Wir wollen eine Lücke schließen. Wir wollen, dass die Epoche der amerikanis­chen Präsenz in Augsburg lebendig bleibt“, sagt er und klopft anerkennen­d auf das dicke Blech eines alten Us-militärfah­rzeuges. Der fahrtüchti­ge Koloss parkt in Halle 116 der ehemaligen Sheridan-kaserne in Augsburgpf­ersee. In dem riesigen Schuppen, neben dem Offiziersk­asino der letzte steinerne Zeuge der militärisc­hen

Ein ständiger Kampf gegen das Vergessen

Vergangenh­eit des Areals, künden Möbel, Maschinen, Bierhumpen, Straßensch­ilder und Wimpel von den Jahrzehnte­n, in denen die Uspräsenz das Leben in Augsburg prägte. Die Sammlung umfasst über 1000 Objekte, die nach „wissenscha­ftlichen Gesichtspu­nkten“erfasst werden, wie Feuerer, Mitarbeite­r des Augsburger Stadtarchi­vs, versichert. Es geht Feuerer und Rankl aber um mehr als um die Freude am Entdecken und Sammeln. „Wir haben ein Ziel vor Augen. In dieser Halle wollen wir ein Museum installier­en, das die Geschichte der Us-streitkräf­te in Augsburg und Bayern dokumentie­rt.“Für die Historiker­in Edith Raim ist eine solche Initiative überfällig: „Das Phänomen der Ustruppen in Bayern ist weitgehend unerforsch­t. Das ist traurig.“

Gerhard Rankl setzt alles daran, die Mission der Nazi-jäger von der 7708 War Crimes Group dem Vergessen zu entreißen. Eine Mission, ohne die die spätere Aufarbeitu­ng der dunklen Vergangenh­eit durch deutsche Juristen und Politiker nur schwer denkbar gewesen wäre.

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Fotos: Sammlung Häußler, Michael Hochgemuth, Amerika in Augsburg e. V. Dieses Foto dokumentie­rt, wie amerikanis­che Soldaten durchaus auch mal satirisch mit der deutschen Vergangenh­eit umgingen. Es zeigt Us-militärs bei einem Faschingsu­mzug am 28. Februar 1954 in Augsburg – unter ihnen ein Mann, der als Adolf Hitler...
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Er ist Vorsitzend­er des Vereins „Amerika in Augsburg“: Georg Feuerer.
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In der früheren Arras-kaserne bezog die „7708 War Crimes Group“Quartier.

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