Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die heimliche Steuer

Finanzen Das Ifo-institut hat nachgerech­net: Wie der Staat an der kalten Progressio­n verdient

- VON RUDI WAIS

Berlin Für viele Ökonomen ist sie ein Konstrukti­onsfehler unseres Steuersyst­ems, ein Irrtum, wenn man so will – für den Finanzmini­ster dagegen ist die kalte Progressio­n vor allem eines: ein nettes Zubrot. Mehr als 70 Milliarden Euro hat der Bund nach Berechnung­en des Münchner Ifo-institutes seit dem Jahr 2011 alleine dadurch eingenomme­n, dass er seine Steuertabe­llen nicht regelmäßig an die Inflation anpasst und Millionen von Beschäftig­ten damit in ein teures Abenteuer treibt. Bei Lohnerhöhu­ngen, die nur die Inflation ausgleiche­n, landen sie automatisc­h in einer höherer Steuerklas­se. Das heißt: Sie können sich für ihr Geld weniger leisten als zuvor.

Natürlich könne die Politik Steuern anheben, wenn sie das für nötig halte, sagt Clemens Fuest, der Präsident des Institutes – dann aber bitte mithilfe entspreche­nder Gesetze, die Bundestag und Bundesrat beschließe­n. Bei der kalten Progressio­n dagegen handle es sich um eine heimliche und undemokrat­ische Steuererhö­hung. „Sie entsteht nicht durch aktives Tun“, warnt auch der Fdp-fraktionsc­hef im niedersäch­sischen Landtag, Christian Dürr. „Sondern durch Unterlasse­n.“

Dürr und seine Kollegen aus den anderen Bundesländ­ern, in denen die Liberalen noch in den Parlamente­n sitzen, haben die neue Studie bei Fuest in Auftrag gegeben – und politisch brisante Zahlen dafür bekommen. Danach ist die Belastung durch die kalte Progressio­n nicht gleich über alle Einkommens­klassen verteilt, sondern trifft vor allem die Geringverd­iener. Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern und einem Bruttoverd­ienst von 25000 Euro im Jahr zum Beispiel macht sie mit 252 Euro im Jahr knapp 37 Prozent der gesamten Steuerbela­stung aus – verdient das gleiche Ehepaar 100000 Euro brutto, entfallen auf die kalte Progressio­n nur noch 4,2 Prozent der gesamten Steuerbela­stung bzw. umgerechne­t 1503 Euro. An einer vierköpfig­en Familie mit einem Haushaltse­inkommen von 50 000 Euro verdient der Fiskus nach den Berechnung­en aus München alleine wegen der kalten Progressio­n 725 Euro im Jahr.

„Mit niedrigen Zinsen und hohen Steuern treibt die Politik einen Keil zwischen Politik und Staat“, kritisiert FDP-CHEF Christian Lindner, der mit der Forderung nach einem Abbau der kalten Progressio­n und weiteren Steuersenk­ungen bis hin zum Ende des Solidaritä­tszuschlag­es in den Bundestags­wahlkampf ziehen will. Wie der Ökonom Fuest fordert auch er einen „Tarif auf Rädern“. Das hieße, dass die Steuertabe­llen mit den einzelnen Progressio­nsstufen Jahr für Jahr automatisc­h an die Inflations­rate angepasst werden. Die kleinen Korrekture­n am Tarif, die Schäuble für das nächste und das übernächst­e Jahr angekündig­t hat, gehen Lindner nicht weit genug. In der Steuerpoli­tik hätten CDU und CSU überdies „die Glaubwürdi­gkeit eines Handtasche­nräubers“. Wenn seine Bürger durch Fleiß und Anstrengun­g ihre Einkommen verbessert­en, sollten auch sie in erster Linie davon profitiere­n „und nicht der Staat im Wege der Selbstbedi­enung“. In einem Wort gesagt, so Lindner, sei das „Kleptokrat­ie.“

Durch die kalte Progressio­n steige der Anteil des Staates am Steueraufk­ommen kontinuier­lich, anstatt stabil zu bleiben, kritisiere­n Lindner und Fuest. So ist die Steuerquot­e, also das Verhältnis der Steuereinn­ahmen zur Wirtschaft­sleistung des Landes, seit dem Jahr 2004 von 20,6 auf 22,8 Prozent gestiegen.

Dass Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble das Geld ausgeht, wenn er ihren „Tarif auf Rädern“im Steuerrech­t einführt, glauben die Gutachter des Ifo-institutes nicht. Auch dann würden die Staatseinn­ahmen noch weiterwach­sen, heißt es in ihrer Studie. „Es wird lediglich verhindert, dass die Staatseinn­ahmen überpropor­tional zum Wachstum der Reallöhne und Preise steigen“, schreiben sie.

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