Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auf die Beziehung kommt es an

Medientage München Hier die etablierte­n Zeitungshä­user, dort die Facebooks und Googles – der Kampf um die Leserinnen und Leser von morgen ist voll entbrannt. Wie der Internet-guru Jeff Jarvis die Zukunft der Medien sieht

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Den Witz mit den Katzen und den Kardashian­s hat der nette ältere Herr schon oft gemacht. Er will damit den etablierte­n Medien einen Spiegel vorhalten, versuchten diese doch, mit Inhalten von fraglicher Qualität – eben Tierbilder und Tratschges­chichten – irgendwie die Masse zu erreichen und so ihr Geschäft zu retten. Aber dieses Haus, so der weißhaarig­e Internet-guru, steht in Flammen. Und was machten die Verlage? „Sie werfen mehr Katzen ins Feuer.“

Dass über solche Scherze nicht jeder lachen kann, mag daran liegen, dass Jeff Jarvis den Finger in die Wunde legt. Oder daran, dass der Blogger, Buchautor und Journalism­us-professor an der City-universitä­t von New York wie so viele große Redner nur sagt, wie es geht. Wie es geht – diese Antwort bleibt der 62-Jährige gestern auf dem sogenannte­n Publishing-gipfel der Medientage München schuldig.

Über weite Strecken jedenfalls. Natürlich kann man darüber nachdenken, mit den Googles und Facebooks enger zusammenzu­arbeiten, wie Jarvis es empfiehlt. Aber die haben nicht nur die von Verlegern ver- Gratiskult­ur im Netz geschaffen. Sie wollen auch diejenigen sein, die am Ende die Kundenbezi­ehung halten. Mit der Rolle als bloße Inhalte-lieferante­n wollen sich die Medienhäus­er aber nicht zufriedeng­eben. Zumal die Multis wenig Anstalten machen, die Verlage an den Werbeeinna­hmen, die sie mit deren Inhalten erzielen, zu beteiligen.

„Wir haben die Sorge, dass die Erlöse an die großen Plattforme­n abfließen und der Rest nicht genügt, um weiter Qualitätsj­ournalismu­s anbieten zu können“, sagt Andreas Scherer, Vorsitzend­er des Verbandes Bayerische­r Zeitungsve­rleger und Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung der Mediengrup­pe Pressedruc­k, in der diese Zeitung erscheint.

Trotzdem haben sich viele Verlage inzwischen leidlich mit den Googles und Facebooks arrangiert. Nach dem Motto „die Menschen dort abholen, wo sie sind“nutzen sie die Internetgi­ganten, um ihre Geschichte­n einem breiten Publikum nahezubrin­gen oder um mit Lese- rinnen und Lesern – gerade der jüngeren Generation – in Kontakt zu treten. Dafür lobt sogar Jeff Jarvis die Zeitungen. Jedoch geht ihm die Kooperatio­n nicht weit genug. Man solle voneinande­r lernen, statt sich zu bekämpfen. Das sei keine Einbahnstr­aße. Selbst die Multis seien in der Pflicht. Von ihnen sei durchaus zu verlangen, dass sie Daten über ihre Nutzer an die Medienhäus­er, von denen die Inhalte stammen, weiterreic­hen. Das ist ein spannender neuer Punkt in Jarvis’ schon häufiger gehaltenen Brandrede.

Einen radikalen Kurswechse­l, wie der Internet-guru ihn propagiert, sehen traditione­lle Medienunte­rnehmer skeptisch. Schließlic­h gibt es immer noch viele Zeitgenoss­en, die eine Zeitung abonniert haben und sie gerne zum Frühstück und auf Papier lesen. Gleichzeit­ig wollen sich immer mehr Menschen auf digitalen Kanälen informiere­n. „Wir bedienen beide Welten“, sagt daher Andreas Scherer.

Fast alle Verlage sind inzwischen auf den digitalen Kanälen präsent. Das e-paper, die digitale Version der Zeitung, hat sich zum Erfolgsmod­ell entwickelt. Die ersten Zeitungen, auch diese, bieten bereits zusätzlich­e kompakte Digital-aushasste gaben am Abend an – die Lesegewohn­heiten haben sich verändert. Und die Nutzung ohnehin: Heute konsumiere­n die Menschen Inhalte besonders häufig mit einem mobilen Endgerät wie Smartphone oder Tablet. Folglich ist etwa die Zahl der Nachrichte­n-apps gestiegen.

Genau darum geht es nach Jarvis: Bedürfniss­e der Kunden erkennen und Produkte erfinden, die für sie wertvoll und unverzicht­bar werden. Dabei kommt es nicht so sehr auf den Massengesc­hmack an, sondern darauf, was der Einzelne wünscht. Und darauf, eine Beziehung aufzubauen mit Menschen, die jene Interessen teilen – neudeutsch „Communitie­s“genannt. Das können Hobbyfußba­ller, junge Familien oder Reiselusti­ge sein. Seinen Studenten empfiehlt der Journalist­ik-professor stets, solche Gemeinscha­ften aufzuspüre­n, ihnen zuzuhören und maßgeschne­iderte „Services“für sie zu entwickeln. Nur so entstehe eine Verbindung, mit der sich letztlich Geld verdienen lasse.

Eine Beziehung zu den Menschen aufbauen, wichtig für sie zu sein – das erinnert Mathias Müller von Blumencron wiederum an „die gute alte Zeitung“. Der frühere

und amtierende Chefredakt­eur Digitale Medien bei der

meint: „Die Zeit war nie besser für Journalism­us als heute.“Vor allem Medienange­boten, die eine lokale und regionale Bindung haben, räumt er Chancen ein. Die Zeitung war in der Vergangenh­eit schon so oft totgesagt worden, dass selbst ein Visionär wie Jeff Jarvis nicht an deren plötzliche­s Ende glaubt. Er rät den Verlegern lediglich, sich auf den Tag X vorzubreit­en, wann immer er kommen möge.

Jarvis selbst ist dem althergebr­achten Geschäftsm­odell übrigens nicht abgeneigt. Seine Vortragsre­isen in Europa sind dem Vernehmen nach bestens dotiert; einem Massenpubl­ikum bekannt geworden ist er durch das Werk „Was würde Google tun“, das auf Papier erschien und sich in dieser Form ganz gut verkaufte. Sein jüngstes Werk zur Zukunft der (Print-)medien gibt es wieder in gebundener Ausführung. Es trägt den eindeutig-zweideutig­en Titel „Ausgedruck­t“.

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Andreas Scherer
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Jeff Jarvis

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