Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Rückkehr des Albtraums

Naturkatas­trophe Zwei Monate nach dem schweren Beben von Amatrice wird Mittelital­ien erneut von starken Erdstößen heimgesuch­t. Diesmal sind aber nicht so viele Opfer zu beklagen

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Wer schon länger in der italienisc­hen Hauptstadt lebt, der weiß, wie sich Erdbeben anfühlen. Als 2009 die Erde in L’aquila in den Abruzzen bebte, konnte man im etwa 100 Kilometer entfernten Rom meinen, eine U-bahn donnerte durch das eigene Haus. Einen ähnlichen Eindruck hatten die Römer vor zwei Monaten, als in Mittelital­ien die Erde bebte und 298 Todesopfer forderte. Bei den jüngsten Erdstößen am Mittwochab­end fühlte es sich in oberen Stockwerke­n in der Hauptstadt an, als befinde man sich auf einem Schiff auf hoher See, so stark wankten die Gemäuer.

Sofort war wieder klar: Nicht besonders weit von der Hauptstadt entfernt hatte das Erdbeben weit schwerere Folgen. Diesmal versetzten die Erdstöße vor allem die Bevölkerun­g in Mittelital­ien zwischen Perugia und Macerata in Panik. Nur etwa 40 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens vom 24. August um Amatrice und Accumoli entfernt waren nun zahlreiche Dörfer in der Region Marken betroffen.

Vor allem ein zweiter, schwerer Erdstoß am Mittwochab­end mit einer Stärke von 6,1 auf der Richterska­la in der Umgebung des Dorfs Ussita richtete schwere Schäden an. die Zahl der Opfer und Verletzten bislang gering ausfiel, ist wohl vor allem dem Umstand zu verdanken, dass bereits bei einem ersten Erdstoß um 19.11 Uhr mit Stärke 5,4 viele Menschen ihre Häuser verließen und ins Freie liefen.

In Tolentino starb ein 73-jähriger Mann an einem Herzinfark­t infolge des Erdbebens. Nach offizielle­n Angaben gab es bislang vier Verletzte, ein Kind in der Kleinstadt Camerino wurde schwer verletzt. Der italienisc­he Zivilschut­z berichtete von mindestens 3000 Menschen, die ihre Behausung verloren hätten. Die italienisc­he Regierung versprach 40 Millionen Euro Soforthilf­e.

Auch im etwa 150 Kilometer entfernten Rom waren nach den Erdstößen am Abend viele Menschen auf die Straße gelaufen. Mehrere Gebäude, darunter auch das italienisc­he Außenminis­terium, wurden vorsorglic­h evakuiert. Nicht nur in Neapel und Florenz, sogar bis nach Österreich und Oberbayern waren die Ausläufer des Bebens zu spüren. Auch am Donnerstag­morgen wurden schwere Erdstöße gemessen.

Dass sich die Italiener angesichts der Häufigkeit an Erdbeben gewöhnt hätten, kann man allerdings nicht behaupten. „Das unendliche Erdbeben“, titelte die Tageszeitu­ng

am Donnerstag. Der Corriere della Sera schrieb von der „Rückkehr des Albtraums“. In Dörfern wie Ussita seien 80 Prozent der Gebäude nicht mehr begehbar, hieß es. „Es hat keinen Sinn mehr, hierzublei­ben“, sagte der Bürgermeis­ter des stark zerstörten Dorfes Castelsant­angelo sul Nera. Sergio Pirozzi, Bürgermeis­ter der Gemeinde Amatrice, in der beim Beben am 24. August die meisten Menschen starben, sagte: „Wir haben seit 64 Tagen versucht, unsere traumatisc­hen Erfahrunge­n beiseitezu­schiedass ben, jetzt ist die Angst wieder da.“Auch in der gesperrten Zone von Amatrice stürzten Gebäude ein.

Die Bilder, die am Morgen nach der Katastroph­e zu sehen waren, glichen erneut einer Apokalypse. Das italienisc­he Fernsehen zeigte eingestürz­te Dächer und Mauern, Gesteinsma­ssen, die Autos unter sich begraben hatten, überdimens­ionale Löcher in zerstörten Fassaden. In Camerino stürzte ein alter Kirchturm auf ein Wohnhaus, viele ältere Gebäude im näheren Umkreis wurden beschädigt. Nach Angaben des Zivilschut­zes der Region Marken seien infolge des Bebens wesentlich mehr zerstörte Gebäude zu befürchten als nach dem Erdbeben Ende August. Damals war eine weniger besiedelte Gegend betroffen.

Für Geologen ist es ein bekanntes Phänomen, dass sich auch einige Zeit nach schweren Erdstößen in der Nähe erneut ähnliche Phänomene ereignen. „Die Bergkette des Apennin bewegt sich ständig, die meisten Erdstöße werden von der Bevölkerun­g gar nicht bemerkt“, sagte die Geologin Daniela Pantosti.

Es gab aber auch Nutznießer der Naturkatas­trophe. Von den 39 Gefangenen, die in der Nacht wegen des Erdbebens aus dem Gefängnis in Camerino nach Rom verlegt wurden, konnten drei entkommen.

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Foto: imago Viele ältere Gebäude wurden bei dem schweren Erdbeben in Mittelital­ien zerstört. Unser Foto wurde in Villa S. Antonio aufgenomme­n, einem Dorf, das zur Gemeinde Visso gehört. Die Ausläufer des Bebens vom Mittwochab­end waren sogar in Österreich und...

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