Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Bühne des kleinen Mannes
Der Dfb-pokal ist die Bühne des kleinen Mannes. Die Kleinen sind hier mit Namen wie Astoria (Walldorf) oder Lotte geschlagen. Studenten, Lehrlinge und Nebenjobber, die der Zufall auf das Spielfeld der Riesen gespült hat. Riesen wie Bayer Leverkusen mögen diese Spiele nicht. Sie können hier nur verlieren. Am liebsten würden sie sich freikaufen. Mit einer Millionenspende ans Tierheim, die Caritas, das Frauenhaus und die Kleinen. Im Gegenzug: freies Geleit in die nächste Runde.
Die Kleinen wollen lieber spielen. Es ist ihre Chance, die Welt einmal auf den Kopf zu stellen. Wenn überhaupt, dann funktioniert das meist nur für ein einziges Spiel. Danach dreht sich die Welt mit ihren ewigen Läufen wieder in die alte Lage zurück. Für dieses eine Spiel aber ist der Dfb-pokal erfunden worden.
Wollte man einem Außerirdischen Faszination und Drama des Fußballs erklären, wäre es gut, ihn zu einem Pokalspiel mitzunehmen, in diesen Wochen am besten zu Lotte. Auch wenn die Lotter, beheimatet im westfälischen Tecklenburger Land, momentan ganz besonders unter der Erweiterung ihres Ortsnamens um das Adjektiv „volle“leiden dürften, so würden sie sich über jeden auswärtigen Stadionbesucher freuen. Im Schnitt sind es nämlich nur knapp 2000 Zuschauer, die Lotte in der dritten Liga spielen sehen wollen. Trotzdem haben es die Sportfreunde geschafft, schon zwei Bundesligisten aus dem Wettbewerb zu kicken. Erst Bremen, dann Leverkusen. Gegen Bayer haben sie die Sache auf die Spitze getrieben. Elfmeterschießen. Jene Form des verdichteten Dramas, von der behauptet wird, sie sei ungerecht, der aber jeder entgegenfiebert – außer den Schützen.
Vom Spieler Uli Hoeneß ist Folgendes überliefert: „Ich schaute dem Ball nach, sah ihn immer höher steigen. Wie eine Weltraumrakete sauste er in Richtung Wolken.“Hoeneß hatte im Elfmeterschießen des verlorenen Em-finales 1976 den Ball in den Belgrader Nachthimmel geschossen. Ein Trauma, das ihn noch verfolgt, wenn er seine Gefängnistage bereits vergessen hat. Ähnlich wird es den 16 Schützen ergehen, die in den fünf Elfmeterschießen in dieser Woche am Gebälk, am Torhüter oder an den eigenen Nerven gescheitert sind. Nicht mitgerechnet die Elfmeter in München, wo Koo und Müller nicht bis zum finalen Strafstoßduell warten wollten und schon in der regulären Spielzeit verballerten. Deutschlands Ruf als sicheres Elfmeterschützenland ist inzwischen angekratzt. Da hilft auch keine Zuwanderung. Aber egal. In der Allianz-arena scheitern sowieso alle Umsturzversuche. Wer gerne Riesen fallen sieht, sollte jetzt auf Lotte und Astoria Walldorf hoffen.