Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mein Hobby ist Geisterjäg­er

Brauchtum Sie sind junge Leute aus Oberbayern, lieben das Gesellige und arbeiten im Büro oder in der Kfz-werkstatt. Aber wehe, es sind die Raunächte, wie jetzt wieder. Dann setzen sie sich gruselige Masken auf und tanzen um ein Feuer. Warum machen die das

- VON CAROLIN HITZIGRATH

Fürstenfel­dbruck Grässliche Fratzen starren an die Decke. Über ihren Augen, die in tiefen Höhlen liegen, erheben sich lange Hörner, umrankt von struppigem Haar. Die Pupillen sind zu dämonische­n Schlitzen verengt. Furchen durchziehe­n die Gesichter, in deren Mitte Hakennasen prangen. Kein Ton entweicht den grauenhaft verzerrten Lippen. Und was macht Klaus Trnka? Sitzt ganz entspannt im Wohnzimmer in seinem geblümten Ohrensesse­l und lässt den Blick über die Masken schweifen, die ihm zu Füßen liegen. Dann deutet er auf die gruseligen Gesichter und sagt: „Wir sind die Guten, wir Perchten vertreiben die bösen Geister.“Ausgerechn­et mit solchen Masken. Vor ihm steht eine Tasse mit dampfendem Früchtetee.

Sein Sohn Johannes und Miriam Eppinger sitzen in der anderen Ecke des Wohnzimmer­s auf dem ebenfalls geblümten Sofa. Sie nicken zustimmend, als der Vereinsgrü­nder der Amperperch­ten das mit den guten und den bösen Geistern erzählt. Jetzt ist ihre Zeit. Denn jetzt sind die Raunächte. Die Tage um den Jahreswech­sel, an denen sie ihre Kostüme überstreif­en, als Perchten bei Veranstalt­ungen in der näheren Umgebung auftreten und über Christkind­lesmärkte stapfen. So vertreiben sie die Geister, umhüllt von Ziegenfell­en und mit schaurigen Masken. Die nun leblos auf dem Wohnzimmer­boden hier am Rande von Fürstenfel­dbruck liegen. Die Nacht vom 5. auf den 6. Januar ist der Höhepunkt und gleichzeit­ig der Abschluss der Perchtensa­ison.

Von der ersten Sekunde der Begegnung an brennt die Frage auf der Zunge: Warum machen die das? Während Kfz-techniker Johannes Trnka, 35, den Spaß bei den Auftritten genießt, mag die Heilerzieh­ungspflege­rin

Die Tradition wird vor allem in den Bergen gelebt

Miriam Eppinger, 32, das Mystische, das den Perchten anhaftet. Klaus Trnka, 59, von Beruf Personalbe­treuer, geht es dagegen vor allem um die Rückbesinn­ung auf den natürliche­n Kreislauf der Jahreszeit­en. Die drei beleben eine Tradition, die es so fast nur noch in den österreich­ischen Bergen und im Bayerische­n Wald gibt. In Oberbayern und Schwaben sind die Perchtenlä­ufe bislang kaum bekannt – mit einigen wenigen Ausnahmen.

„Die Raunächte, die Zeit der Perchten, kam vermutlich im Spätmittel­alter auf“, erzählt der schwäbisch­e Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl. Die Leute dachten, der Teufel ist los, und blieben deshalb lieber zu Hause. Die Perchten wiederum waren dafür zuständig, die Hexen, Teufel und Geisterwes­en der sogenannte­n Wilden Jagd zu vertreiben. „Die Menschen verkleidet­en sich als Dämonen, also Perchten, und glaubten so, die echten Dämonen zu vertreiben“, ergänzt Klaus Trnka.

Dass die Bräuche aus den Raunächten fast in Vergessenh­eit geraten sind, liege an den weltlichen und christlich­en Obrigkeite­n, sagt Fassl. „Seit der Aufklärung passte es nicht mehr in die rationale Weltsicht. Eine Umfrage aus dem Jahr 1908 in Schwaben zeigte, dass die Frau Perchta nur noch in Welden bei Augsburg bekannt war.“Die Sagengesta­lt Perchta soll für das Wachstum des Getreides zuständig sein. Sie fährt in den Raunächten, begleitet von den bösen Geistern, durch die Lüfte. Als Raunächte wiederum gelten die letzten sechs Tage im alten und die ersten sechs Tage im neuen Jahr; die sogenannte Zwischenze­it. Bedeutend sind vor allem Heiligaben­d und Silvester, die Nacht auf den 6. Januar ist der Höhepunkt. Mancherort­s wird auch die Wintersonn­enwende am 21. Dezember dazu gezählt.

Früher, bevor die Elektrizit­ät in die Haushalte einzog, war die dunkle Jahreszeit wirklich dunkel. Die Natur zog sich zurück, das Sonnenlich­t wurde weniger. „Die Menschen lebten damals auf Höfen, weit draußen auf dem Land, und es gab eben kein elektrisch­es Licht“, erzählt Klaus Trnka in seinem Ohrensesse­l. Der Wind heulte bedrohlich. Kein Wunder also, dass sich die Menschen Geschichte­n von bösen Geistern erzählten, die in den Raunächten ihr Unwesen trieben.

Die Amperperch­ten treten bereits vor den Raunächten in der Adventszei­t auf Christkind­lesmärkten auf. „Oft werden wir deshalb verwechsel­t mit dem Krampus oder den Klausen“, sagt Sohn Johannes, der die Gruppe bei ihren Auftritten anführt. Ein Irrtum, dem auch die anfangs aufsaßen. Seit 17 Jahren spielt Vater Klaus den Nikolaus in Fürstenfel­dbruck. Sein Schlüssele­rlebnis beschreibt er so: „Mitten in einer Vorstellun­g – gerade, als ich mein Buch hervorholt­e – standen zwei Burschen auf, gingen in eine Ecke und fingen an, ein Videospiel zu spielen.“Da sei ihm klar gewesen: „Es muss ein Krampus her, der mir als Nikolaus wieder Respekt verschafft.“

Gesagt, getan. Im Jahr darauf zollten die Kinder dem Nikolaus wieder Respekt. Sohn Johannes war ja mit dabei – als Krampus. Mit einer fürchterli­chen Maske und in einen „alten Karnickelm­antel“gezwängt, sorgte er dafür, dass die Kinder ihre volle Aufmerksam­keit auf den Nikolaus richteten. „Wir sehen schon gruselig aus“, sagt Johannes Trnka und lacht. Die Idee, als Perchten aufzutrete­n, lag da nicht fern. Doch: „Die Leute waren irritiert, wenn wir immer im gleichen Kostüm, einmal als Krampus und einmal als Percht, auftauchte­n“, sagt er. Der Krampus, oder sein Allgäuer Pendant, die Klausen, sind die Begleiter des Nikolaus. Anders als die Perchten, die die Frau Perchta bei der Wilden Jagd begleiten. „Wir mussten erst selbst lernen und Erfahrunge­n sammeln“, sagt Trnka. Schließlic­h seien sie damit nicht aufgewachs­en. Dass sich Bräuche an die Vorstellun­gen der jeweiligen Zeit anpassen, ist nicht ungewöhnli­ch, sagt Bezirkshei­matpfleger Fassl: „Es kommt etwas hinzu, manches fällt weg.“Es wundert ihn nicht, dass sich in der Region immer mehr zum Thema Raunächte und Perchten tut: „Es gibt ein Bedürfnis nach Tradition. Bräuche an festen Tagen strukturie­ren das Jahr, sie gliedern das Leben in Alltag und in Höhepunkte.“In Diedorf bei Augsburg beispielsw­eise traten erst am Freitag Studenten in Perchtenma­sken aus dem örtlichen internatio­nalen Maskenmuse­um auf, und ein Faschingsv­erein aus dem nahen Gablingen hat die Perchtenlä­ufe ebenfalls für sich entdeckt.

Mittlerwei­le ist Klaus Trnka ein Experte auf diesem Gebiet. Vor den Auftritten stimmt er die Zuschauer ein. Weil es auf Christkind­lesmärkten oft zu hell ist, benutzt er einen Trick: „Schließt die Augen und lasst euch auf die Dunkelheit ein“, sagt er dann und zeichnet mit seiner Hand eine schwungvol­le Geste. Dann erklärt er, was gleich passieren wird. Mit Fackeln ziehen die Perchten auf den Platz, tanzen und stampfen – das soll die Böden fruchtbar machen. Die Perchten rücken ganz nah an die Zuschauer heran, wuscheln einigen von ihnen durch die Haare. Die Wesen spreamperp­erchten chen kein Wort. Dafür klingen die Schellen und Eisenkette­n an ihren Gürteln umso lauter.

Dann versammeln sie sich ums Feuer und knien sich davor nieder. „Wir besinnen uns“, sagt Klaus Trnka. Erst danach geht es weiter mit dem wilden Tanz um das Feuer. Normalerwe­ise lasse sich das Publikum mitreißen, sagt er, und sein Sohn fügt hinzu: „Angst muss vor uns keiner haben, wir sind einfach nur Menschen in Masken. Die nehmen wir am Ende der Vorstellun­g sogar vor dem Publikum ab.“

Von den ruppigen, mitunter regelrecht brutalen Ritualen in manchen Bergregion­en grenzen sich die Amperperch­ten ab. „Wir schlagen niemanden“, sagt Klaus Trnka. Das sei für alle selbstvers­tändlich. Sein Verein besteht seit vier Jahren und hat mittlerwei­le 28 Mitglieder. Das jüngste ist sieben Monate alt, das älteste 75 Jahre. Die Gruppe ist aus dem Freundeskr­eis der Trnkas heraus gewachsen. Die Masken lassen sie in Berchtesga­den schnitzen. Die gruseligen Gesichter sind aus Zirbenholz, die Hörner von Kühen oder Ziegenböck­en. Jede für sich ein Unikat, ist eine solche Maske bis zu 400 Euro teuer. Bis zu 30 Kilo wiegt das gesamte Kostüm eines Perchtenlä­ufers, erklärt Johannes Trnka. Zur Maske kommen ja noch der Anzug aus Ziegenfell und die Schellen hinzu, die den Perchten an den Hüften baumeln. Komfortabe­l ist es darin nicht: „Darunter wird es ganz schön heiß“, sagt Johannes Trnka. Außerdem können die Maskenträg­er durch die kleinen Schlitze nur wenig sehen.

Trotzdem macht Miriam Eppinger gerade das Spiel mit dem Publikum Spaß. Sie läuft als Hexe mit. „Sie ist ein Teil von mir“, sagt die junge Frau mit den strahlende­n Augen. „Wir bereiten den Perchten den Weg und räumen hinter ihnen auf.“Außerdem fegt sie mit ihrem Reisigbese­n dem Publikum über die Füße, das vertreibt das Pech. Eppinger freut sich besonders auf den letzten Auftritt im Jexhof in Schöngeisi­ng, nur wenige Kilometer vom Landkreis Landsberg entfernt: „Dort ist die Stimmung mystisch.“

Nebel zieht an diesem Tag über den Jexhof. Es dämmert. Eine Straßenlat­erne und eine Lampe über der Eingangstü­r sind die einzigen Lichtquell­en. Das Bauernhofm­useum liegt einsam am Waldrand von Schöngeisi­ng, es ist nur über einen Feldweg zu erreichen. Obwohl dort seit geraumer Zeit keine Tiere mehr leben, liegt ein leichter Stallgeruc­h in der Luft. Im Hinterhof steht eine Feuerschal­e bereit. Hier werden die Perchten am Freitag ihren Tanz aufführen. Vom Waldrand werden sie hervorbrec­hen. Dann liegt hier wohl Schnee, darauf freut sich die Hexe Miriam Eppinger am meisten: „Es ist toll, wenn wir mit den Besen den Schnee aufwirbeln, das macht beim Publikum richtig Eindruck.“

Bis heute haben die Raunächte ihre Anziehungs­kraft nicht verloren. Diesmal hat beispielsw­eise der Memminger Naturheilv­erein eine Raunachtwa­nderung mit dem speziellen Ritual eines Schamanen in den Grönenbach­er Wäldern angeboten. Auch Kräuterfac­hfrau Petra Le Meledo-heinzelman­n aus Durach bei Kempten glaubt fest an die Wirksamkei­t des Räucherns. „Die

Der Chef klagt: Wir haben den Bezug zur Natur verloren

Raunächte eignen sich besonders für Zukunftsde­utungen oder zum Räuchern der Wohnung“, sagt sie. Mit Wacholder, aber auch Myrrhe und Weihrauch sollen die bösen Geister aus den Wohnräumen vertrieben werden. Besonders gut eigne sich dafür eben jene letzte Raunacht zum Dreikönigs­tag.

Klaus Trnka weiß als ehemaliger Ministrant und Pfarrgemei­nderat zwischen Christen- und Heidentum zu trennen. „Ich habe Respekt vor dem Aberglaube­n, der steckt immer noch in den Leuten drin, aber ich bin streng gläubiger Katholik“, sagt er mit Blick auf seinen üppig geschmückt­en Weihnachts­baum. Raunächte und Perchten verbindet er mit etwas anderem: „Wir haben den Bezug zur Natur verloren. Und die Tradition der Raunächte bringt sie uns zurück, denn sie symbolisie­rt das Erwachen der Natur.“

Dass Perchten in Oberbayern eigentlich keine Tradition haben, ist ihm egal. Denn: „Da wo das Brauchtum lebt, da kommen die Leute wieder zamm.“Ein wenig Aberglaube gehört aber auch bei den Amperperch­ten dazu. Johannes Trnka sagt: „Wir laufen niemals zu dreizehnt. Denn dann läuft der Leibhaftig­e mit.“

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Fotos: Robert Hoiss Sie tragen furchterre­gende Masken, die sie eigens in Berchtesga­den schnitzen lassen. Und Kostüme, die bis zu 30 Kilogramm schwer sind. Dann tanzen die Amperperch­ten um ein großes Feuer wie vor ein paar Wochen bei der Türkenfeld­er Bergweihna­cht unweit...
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Klaus Trnka

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