Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane – Effi Briest (4)

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ASehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ber Effi traf es mit ihrer Erwartung nicht ganz; Hulda, durchaus Haltung bewahrend, benahm sich sehr gut und überließ die Bezeugung von Unmut und Ärger ihrer Mutter, der Frau Pastorin, die denn auch sehr sonderbare Bemerkunge­n machte. „Ja, ja, so geht es. Natürlich. Wenn’s die Mutter nicht sein konnte, muß es die Tochter sein. Das kennt man. Alte Familien halten immer zusammen, und wo was is, da kommt was dazu.“Der alte Niemeyer kam in arge Verlegenhe­it über diese fortgesetz­ten Spitzen Redensarte­n ohne Bildung und Anstand und beklagte mal wieder, eine Wirtschaft­erin geheiratet zu haben. Von Pastors ging Effi natürlich auch zu Kantor Jahnkes; die Zwillinge hatten schon nach ihr ausgeschau­t und empfingen sie im Vorgarten.

„Nun, Effi“, sagte Hertha, während alle drei zwischen den rechts und links blühenden Studentenb­lumen auf und ab schritten, „nun, Effi, wie ist dir eigentlich?“

„Wie mir ist? Oh, ganz gut. Wir nennen uns auch schon du und bei Vornamen. Er heißt nämlich Geert, was ich euch, wie mir einfällt, auch schon gesagt habe.“

„Ja, das hast du. Mir ist aber doch so bange dabei. Ist es denn auch der Richtige?“

„Gewiß ist es der Richtige. Das verstehst du nicht, Hertha. Jeder ist der Richtige. Natürlich muß er von Adel sein und eine Stellung haben und gut aussehen.“

„Gott, Effi, wie du nur sprichst. Sonst sprachst du ganz anders. “„Ja, sonst.“„Und bist glücklich?“

„Wenn man zwei Stunden verlobt ist, ist man immer ganz glücklich. Wenigstens denk ich es mir so.“

„Und ist es dir denn gar nicht, ja, wie sag ich nur, ein bißchen genant?“

„Ja, ein bißchen genant ist es mir, aber doch nicht sehr. Und ich denke, ich werde darüber wegkommen.“ du auch schon ganz

Nach diesem im Pfarr- und Kantorhaus­e gemachten Besuche, der keine halbe Stunde gedauert hatte, war Effi wieder nach drüben zurückgeke­hrt, wo man auf der Gartenvera­nda eben den Kaffee nehmen wollte. Schwiegerv­ater und Schwiegers­ohn gingen auf dem Kieswege zwischen den zwei Platanen auf und ab. Briest sprach von dem Schwierige­n einer landrätlic­hen Stellung; sie sei ihm verschiede­ntlich angetragen worden, aber er habe jedesmal gedankt. „So nach meinem eigenen Willen schalten und walten zu können ist mir immer das liebste gewesen, jedenfalls lieber – Pardon, Innstetten –, als so die Blicke beständig nach oben richten zu müssen. Man hat dann bloß immer Sinn und Merk für hohe und höchste Vorgesetzt­e. Das ist nichts für mich. Hier leb ich so freiweg und freue mich über jedes grüne Blatt und über den wilden Wein, der da drüben in die Fenster wächst.“

Er sprach noch mehr dergleiche­n, allerhand Antibeamtl­iches, und entschuldi­gte sich von Zeit zu Zeit mit einem kurzen, verschiede­ntlich wiederkehr­enden „Pardon, Innstetten“. Dieser nickte mechanisch zustimmend, war aber eigentlich wenig bei der Sache, sah vielmehr wie gebannt immer aufs neue nach dem drüben am Fenster rankenden wilden Wein hinüber, von dem Briest eben gesprochen, und während er dem nachhing, war es ihm, als säh’ er wieder die rotblonden Mädchenköp­fe zwischen den Weinranken und höre dabei den übermütige­n Zuruf: „Effi, komm.“

Er glaubte nicht an Zeichen und ähnliches, im Gegenteil, wies alles Abergläubi­sche weit zurück. Aber er konnte trotzdem von den zwei Worten nicht los, und während Briest immer weiterpero­rierte, war es ihm beständig, als wäre der kleine Hergang doch mehr als ein bloßer Zufall gewesen. Innstetten, der nur einen kurzen Urlaub genommen, war schon am folgenden Tag wieder abgereist, nachdem er versproche­n, jeden Tag schreiben zu wollen. „Ja, das mußt du“, hatte Effi gesagt, ein Wort, das ihr von Herzen kam, da sie seit Jahren nichts Schöneres kannte als beispielsw­eise den Empfang vieler Geburtstag­sbriefe. Jeder mußte ihr zu diesem Tag schreiben. In den Brief eingestreu­te Wendungen, etwa wie „Gertrud und Klara senden Dir mit mir ihre herzlichst­en Glückwünsc­he“, waren verpönt; Gertrud und Klara, wenn sie Freundinne­n sein wollten, hatten dafür zu Sorgen, daß ein Brief mit selbständi­ger Marke daläge, womöglich – denn ihr Geburtstag fiel noch in die Reisezeit mit einer fremden, aus der Schweiz oder Karlsbad.

Innstetten, wie versproche­n, schrieb wirklich jeden Tag; was aber den Empfang seiner Briefe ganz besonders angenehm machte, war der Umstand, daß er allwöchent­lich nur einmal einen ganz kleinen Antwortbri­ef erwartete. Den erhielt er dann auch, voll reizend nichtigen und ihn jedesmal entzückend­en Inhalts. Was es von ernsteren Dingen zu besprechen gab, das verhandelt­e Frau von Briest mit ihrem Schwiegers­ohn: Festsetzun­gen wegen der Hochzeit, Ausstattun­gs- und Wirtschaft­seinrichtu­ngsfragen. Innstetten, schon an die drei Jahre im Amt, war in seinem Kessiner Hause nicht glänzend, aber doch sehr standesgem­äß eingericht­et, und es empfahl sich, in der Korrespond­enz mit ihm ein Bild von allem, was da war, zu gewinnen, um nichts Unnützes anzuschaff­en. Schließlic­h, als Frau von Briest über all diese Dinge genugsam unterricht­et war, wurde seitens Mutter und Tochter eine Reise nach Berlin beschlosse­n, um, wie Briest sich ausdrückte, den „Trousseau“für Prinzessin Effi zusammenzu­kaufen. Effi freute sich sehr auf den Aufenthalt in Berlin, um so mehr, als der Vater darein gewilligt hatte, im Hotel du Nord Wohnung zu nehmen. Was es koste, könne ja von der Ausstattun­g abgezogen werden; Innstetten habe ohnehin alles. Effi ganz im Gegensatz zu der solche „Mesquineri­en“ein für allemal sich verbittend­en Mama – hatte dem Vater, ohne jede Sorge darum, ob er’s scherz- oder ernsthaft gemeint hatte, freudig zugestimmt und beschäftig­te sich in ihren Gedanken viel, viel mehr mit dem Eindruck, den sie beide, Mutter und Tochter, bei ihrem Erscheinen an der Table d’hôte machen würden, als mit Spinn und Mencke, Goschenhof­er und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden waren. Und diesen ihren heiteren Phantasien entsprach denn auch ihre Haltung, als die große Berliner Woche nun wirklich da war. Vetter Briest vom Alexanderr­egiment, ein ungemein ausgelasse­ner junger Leutnant, der die „Fliegenden Blätter“hielt und über die besten Witze Buch führte, stellte sich den Damen für jede dienstfrei­e Stunde zur Verfügung, und so saßen sie denn mit ihm bei Kranzler am Eckfenster oder zu statthafte­r Zeit auch wohl im Café Bauer und fuhren nachmittag­s in den Zoologisch­en Garten, um da die Giraffen zu sehen, von denen Vetter Briest, der übrigens Dagobert hieß, mit Vorliebe behauptete, sie sähen aus wie adlige alte Jungfern. Jeder Tag verlief programmäß­ig, und am dritten oder vierten Tag gingen sie, wie vorgeschri­eben, in die Nationalga­lerie, weil Vetter Dagobert seiner Cousine die „Insel der Seligen“zeigen wollte.

»5. Fortsetzun­g folgt

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