Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ökodörfer erproben die Zukunft
Netzwerk Ein bundesweiter Verein forscht an neuen Modellen des Zusammenlebens der Menschen. Mit einem Mehrgenerationenprojekt experimentiert Schloss Blumenthal bei Aichach mit und startet solidarische Landwirtschaft Kommentar
Aichach Blumenthal Wie kann unsere Demokratie in der Zukunft funktionieren? Wie ist es möglich, alle Mitglieder der Bevölkerung einzubinden, damit nicht eine Mehrheit bestimmt und der Rest der Bürger in die Röhre schaut? Es gilt, eine Aufspaltung der Gesellschaft zu verhindern. Diese Fragen stellen nur einen der Themenkomplexe dar, für die das Global Ecovillage Network GEN (zu deutsch: Weltweites Ökodorf-netzwerk) Lösungen sucht. Die Wohn- und Arbeitsgemeinschaft Schloss Blumenthal bei Aichach ist seit einem halben Jahr Mitglied im deutschen Ableger, dem Gen-deutschland-verein. Und schon fand auf dem Schlossgut das Herbsttreffen des Vereins statt.
Das Netzwerk vereint deutschlandweit Ökodörfer, Kommunen sowie Wohn- und Lebensprojekte, die sich als Forschungs- und Trainingsorte mit Modellcharakter für die Gesellschaft als Ganzes sehen. Hier soll, vereinfacht formuliert, erprobt werden, wie das Zusammenleben in Zukunft aussehen könnte. Martin Horack, Geschäftsführer der Schloss Blumenthal Gmbh & Co. KG, ist sich sicher, dass unsere Gesellschaft dazu grundlegend verändert werden muss. „Es geht um eine sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft. Fortschreitender Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und die tiefe Spaltung in arme und reiche Bevölkerungsgruppen zwingen uns zum radikalen Umdenken“, so Horack.
Er verweist dazu auch auf ein aktuelles Forschungsprojekt des deutschen Ökodorf-netzwerks, das unter anderem mit dem Umweltbundesamt und mehreren Universitäten verwirklicht werden soll. Titel: „Leben in zukunftsfähigen Dörfern.“Gefragt sind dabei Vorschläge, wie schlafende ländliche Regionen sinnvoll wiederbelebt und zu einer echten Alternative zum oft stressigen Leben in der Stadt gemacht werden können.
Wie Horack erläutert, sind die Themen Demokratie sowie Landwirtschaft und Ernährung zwei der fünf Hauptfelder, mit denen sich
GEN Deutschland, ein Ökodorf Netzwerk
Wie entstanden? Der Verein GEN wurde 2014 über die vom Umwelt bundesamt geförderten „Modelle ge lebter Nachhaltigkeit“gegründet und hat zehn Mitgliedsprojekte, in de nen etwa 800 Menschen leben. GEN steht für Global Ecovillage Network, zu deutsch Weltweites Ökodorf Netz werk. Mitglieder sind Ökodörfer, Kom munen sowie Wohn und Lebenspro jekte, die auf Nachhaltigkeit und ganz heitliche Lebensentwürfe setzen.
Welche Ziele? Unabhängig von po litischer, kultureller und religiöser Herkunft suchen die Mitglieder nach ei ner zukunftsfähigen Balance für alle vier Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie und Ökonomie sowie sozia le und kulturelle Einbettung. Die Öko dörfer bilden dabei eine Art Zu kunftswerkstatt, in der an neuen For men friedlichen Zusammenlebens mit möglichst geringem ökologischen Fußabdruck geforscht wird.
Wo kommen die Mitglieder her? Schloss Blumenthal nahe des Aich acher Stadtteils Klingen gehört dem Verein seit einem halben Jahr an. Es ist noch in der Anwartschaft und kein volles Mitglied. Als Paten stehen Blumenthal die Vollmitglieder Schloss Tempelhof (Landkreis Schwäbisch Hall) und Schloss Tonndorf (Thüringen) zur Seite. Auch die Gemeinschaft Sulzbrunn im Oberallgäu ist GEN Mit glied. (ull) Quelle: GEN Deutschland seine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft beschäftigt. Hinzu kommen die Nutzung alternativer Energien, die Ökonomie zugunsten des Gemeinwohls und das Thema Bildung. Als Lernort dient Blumenthal unter anderem durch zahlreiche Seminare und – ganz aktuell – der Ansiedlung des Aichacher Waldkindergartens.
In der Gemeinschaft Schloss Blumenthal wohnen laut Horack derzeit 40 Erwachsene und zwölf Kinder. Die denkmalgeschützte Renaissance-anlage war einst im Besitz des Deutschen Ordens und später der Fugger. 2006 kauften acht Münchner Familien das Schlossgut, um dort eine alternative Form des Zusammenlebens zu schaffen. Ein Großteil der Erwerbstätigen führt auf der Anlage eigene Betriebe oder arbeitet im Hotel, in der Gastronomie oder der Landwirtschaft der Blumenthal Gmbh.
In diesem Jahr startet ein neues Projekt, eine Solidarische Landwirtschaft (Solawi). Dabei zahlen die Mitglieder einen monatlichen Betrag, um die Kosten des Betriebs zu decken. Im Gegenzug wird die Ernte unter den Mitgliedern aufgeteilt. Zum Start baut eine Bio-gärtnerei auf eineinhalb Hektar Nahrungsmittel für das Gasthaus und die Bewohner Blumenthals sowie Menschen aus der näheren Umgebung an. Auf lange Sicht ist laut Horack geplant, den Besitz auf 27 Hektar um Blumenthal zu erweitern und diese Fläche zu bewirtschaften.
Im Vordergrund aller Aktionen in Blumenthal und auch im Ökodorfnetzwerk steht die Nachhaltigkeit. Die Ökodörfer sollen eine Art Zukunftswerkstatt sein, in der nicht nur Erfolge zählen, sondern auch die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Darum ist der rege Austausch der einzelnen Netzwerk-mitglieder unverzichtbar.
Ihre Lösungsvorschläge bringen die Gen-mitglieder aus 50 Nationen auch in die weltweite Diskussion ein, etwa in den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. In Blumenthal findet im April das „Forum Zukunft – unser Landkreis 2050“des Bundes Naturschutz statt. Dazu kommen Fachleute aus dem In- und Ausland. »Kommentar Zukunftsmodelle