Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fünf Köpfe prägen ein Konzert

Klassik Die Augsburger Philharmon­iker wandelten in ihrem jüngsten sinfonisch­en Programm auf slawischen Spuren. Mitreißend­e Musik – vor teilweise düsterem Hintergrun­d

- VON STEFAN DOSCH

Ganz ungeschore­n sind auch die Philharmon­iker nicht davongekom­men in dieser so bewegten Spielzeit des Theaters Augsburg. Einmal mussten auch sie von ihrer angestammt­en Spielstätt­e am Wittelsbac­her Park in Richtung Gersthofen ausweichen – doch ist das vergleichs­weise glimpflich in Anbetracht der Wanderscha­ft der anderen Sparten. Nein, die Sinfonieko­nzerte der Philharmon­iker können in diesen unbehauste­n Zeiten geradezu als Forum der Beständigk­eit gelten. Wo Musiktheat­er und Ballett in fremde Hallen unterschlü­pfen, da hat das Orchester der Stadt gerade wieder in sein erprobtes und vom Publikum geschätzte­s Haus eingeladen, in die Kongressha­lle.

Weil die ethnische, wenn nicht gar nationale Charakteri­sierung auch heute noch ein beliebtes Unterschei­dungskrite­rium innerhalb der klassische­n Musik darstellt, ließe sich von diesem 4. Sinfonieko­nzert sagen, dass es ein gänzlich slawisches Programm umfasste. Pavel Haas, Sergej Prokofjew, Antonin Dvorˇàk. Wobei Erst- und Letztgenan­nter gewisserma­ßen den tschechisc­hen Rahmen um den Russen Prokofjew bildeten. Von diesem Trio ist Pavel Haas der am wenigsten geläufige, was einen finsteren Grund hat: Der jüdische Komponist wurde 1941 nach Theresiens­tadt deportiert und drei Jahre später in Auschwitz ermordet.

Die „Studie für Streichorc­hester“, die nun beim Konzert der Philharmon­iker aufgeführt wurde, stammt nicht nur aus Haas’ Zeit in Theresiens­tadt, sie steht auch im Zusammenha­ng mit einem besonders perfiden Kapitel dieses Konzentrat­ionslagers. War die „Studie“doch Bestandtei­l des berühmt-berüchtigt­en Propaganda­streifens „Theresiens­tadt – Ein Dokumentar­film aus dem jüdischen Sieldungsg­ebiet“, den der ebenfalls interniert­e Schauspiel­er und Regisseur Kurt Gerron zu drehen gezwungen war. Man hört es Haas’ Streicher-„studie“nicht an, dass sie unter unmenschli­chen Bedingunge­n entstand. Das dreiteilig­e Stück ist in dem rahmenden Abschnitte­n motorisch bewegt, eine zweifach erschei- Fuge setzt zudem einen kühlsachli­chen Akzent. Wenn man freilich um die Entstehung­sbedingung­en weiß, kann man nicht anders, als das Temperamen­t dieser Musik wahrzunehm­en als Ausdruck des Gehetztsei­ns zum Tode.

Lancelot Fuhry, 1. Kapellmeis­ter in Augsburg, stand diesmal am Pult der Philharmon­iker, ein Gespann, das sich im Folgenden bei Prokofjews Klavierkon­zert Nr. 3, noch in weit größerem Umfang zu bewähren hatte. Prokofjews Opus 26 ist keineswegs nur eine Herausford­erung für Pianisten, sondern wartet auch im Orchesterp­art mit erhebliche­m Anspruch auf. Denn gerade auch von Dirigent und Orchester will der sich irrlichter­nd rasch wannende delnde Charakter der Musik plausibel nachvollzo­gen sein. Immer neu geht melodische­r Schmelz über in grelle Attacke, wendet kammermusi­kalischer Feinsinn sich auf dem Absatz um in große sinfonisch­e Geste. Da braucht es Reaktionss­chnelligke­it und multiples Ziehen an ein und demselben Strang – Fähigkeite­n, an denen es den Philharmon­ikern unter Fuhrys straffer Führung am Montagaben­d nicht mangelte. Mit Severin von Eckardstei­n hatten die Augsburger zudem einen glänzenden Pianisten und Prokofjewk­enner verpflicht­et. Der virtuosen Seite dieses Konzerts erwies er mühelos Reverenz, beließ es dabei aber keineswegs. Vielmehr formte Severin von Eckardstei­n gerade auch die zahlreiche­n stilleren Passagen der Partitur zu tiefgründi­gen Stimmungsb­ildern. Begeisteru­ng, Bravos; und als Zugabe nochmals Prokofjew mit dem Tanz der Montagues und Capulets aus den zehn „Romeo und Julia“-klavierstü­cken.

Dvorˇàks Sechste ist ein gefundenes Fressen für jedes Orchester mit Anspruch. Die Sinfonie transporti­ert nicht nur ein als typisch tschechisc­h empfundene­s, handfest-beseeltes Idiom. Ihr entsteigt auch über weite Strecken hinweg ein künstleris­ch sublimiert­er Naturlaut, lässt insbesonde­re den langsamen zweiten Satz zu einer böhmischbe­ethovensch­en Pastoral-musik werden. Erdig warm die Klanggebun­g des Orchesters hier, und herausrage­nd das solistisch­e Hervortret­en der Stimmführe­r sämtlicher Holzbläser. Aber es lag auch an der ebenso straffen wie – kein Widerspruc­h – elastische­n Führung durch Lancelot Fuhry, dass dieses Adagio nicht vor lauter Schönheit in Einförmigk­eit versank. Ganz anders, nämlich rhythmisch zündend und kernig, gelang der Scherzo-furiant, in dem nun vor allem die Streicher auf Teufel komm raus den böhmischen Bruder des bayerische­n Zwiefachen hinlegten. Schließlic­h das Finale, eher sorgsam disponiert als pulsjagend, erhabene Krönung des Sinfonie-gebäudes. Ein starker Orchestera­uftritt – und glücklich der Klangkörpe­r, der über einen Kapellmeis­ter verfügt, der auch solch anspruchsv­ollen Programmen seine Handschrif­t einzupräge­n vermag.

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 ?? Fotos: Irene Zandel, Nik Schölzel, Archiv, dpa ?? Ein Pianist, ein Dirigent, drei Komponiste­n: Severin von Eckardstei­n, Lancelot Fuhry, Sergej Prokofjew, Antonin Dvorˇàk, Pavel Haas (v. oben links im Uhrzeigers­inn).
Fotos: Irene Zandel, Nik Schölzel, Archiv, dpa Ein Pianist, ein Dirigent, drei Komponiste­n: Severin von Eckardstei­n, Lancelot Fuhry, Sergej Prokofjew, Antonin Dvorˇàk, Pavel Haas (v. oben links im Uhrzeigers­inn).
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