Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Fünf Köpfe prägen ein Konzert
Klassik Die Augsburger Philharmoniker wandelten in ihrem jüngsten sinfonischen Programm auf slawischen Spuren. Mitreißende Musik – vor teilweise düsterem Hintergrund
Ganz ungeschoren sind auch die Philharmoniker nicht davongekommen in dieser so bewegten Spielzeit des Theaters Augsburg. Einmal mussten auch sie von ihrer angestammten Spielstätte am Wittelsbacher Park in Richtung Gersthofen ausweichen – doch ist das vergleichsweise glimpflich in Anbetracht der Wanderschaft der anderen Sparten. Nein, die Sinfoniekonzerte der Philharmoniker können in diesen unbehausten Zeiten geradezu als Forum der Beständigkeit gelten. Wo Musiktheater und Ballett in fremde Hallen unterschlüpfen, da hat das Orchester der Stadt gerade wieder in sein erprobtes und vom Publikum geschätztes Haus eingeladen, in die Kongresshalle.
Weil die ethnische, wenn nicht gar nationale Charakterisierung auch heute noch ein beliebtes Unterscheidungskriterium innerhalb der klassischen Musik darstellt, ließe sich von diesem 4. Sinfoniekonzert sagen, dass es ein gänzlich slawisches Programm umfasste. Pavel Haas, Sergej Prokofjew, Antonin Dvorˇàk. Wobei Erst- und Letztgenannter gewissermaßen den tschechischen Rahmen um den Russen Prokofjew bildeten. Von diesem Trio ist Pavel Haas der am wenigsten geläufige, was einen finsteren Grund hat: Der jüdische Komponist wurde 1941 nach Theresienstadt deportiert und drei Jahre später in Auschwitz ermordet.
Die „Studie für Streichorchester“, die nun beim Konzert der Philharmoniker aufgeführt wurde, stammt nicht nur aus Haas’ Zeit in Theresienstadt, sie steht auch im Zusammenhang mit einem besonders perfiden Kapitel dieses Konzentrationslagers. War die „Studie“doch Bestandteil des berühmt-berüchtigten Propagandastreifens „Theresienstadt – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Sieldungsgebiet“, den der ebenfalls internierte Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron zu drehen gezwungen war. Man hört es Haas’ Streicher-„studie“nicht an, dass sie unter unmenschlichen Bedingungen entstand. Das dreiteilige Stück ist in dem rahmenden Abschnitten motorisch bewegt, eine zweifach erschei- Fuge setzt zudem einen kühlsachlichen Akzent. Wenn man freilich um die Entstehungsbedingungen weiß, kann man nicht anders, als das Temperament dieser Musik wahrzunehmen als Ausdruck des Gehetztseins zum Tode.
Lancelot Fuhry, 1. Kapellmeister in Augsburg, stand diesmal am Pult der Philharmoniker, ein Gespann, das sich im Folgenden bei Prokofjews Klavierkonzert Nr. 3, noch in weit größerem Umfang zu bewähren hatte. Prokofjews Opus 26 ist keineswegs nur eine Herausforderung für Pianisten, sondern wartet auch im Orchesterpart mit erheblichem Anspruch auf. Denn gerade auch von Dirigent und Orchester will der sich irrlichternd rasch wannende delnde Charakter der Musik plausibel nachvollzogen sein. Immer neu geht melodischer Schmelz über in grelle Attacke, wendet kammermusikalischer Feinsinn sich auf dem Absatz um in große sinfonische Geste. Da braucht es Reaktionsschnelligkeit und multiples Ziehen an ein und demselben Strang – Fähigkeiten, an denen es den Philharmonikern unter Fuhrys straffer Führung am Montagabend nicht mangelte. Mit Severin von Eckardstein hatten die Augsburger zudem einen glänzenden Pianisten und Prokofjewkenner verpflichtet. Der virtuosen Seite dieses Konzerts erwies er mühelos Reverenz, beließ es dabei aber keineswegs. Vielmehr formte Severin von Eckardstein gerade auch die zahlreichen stilleren Passagen der Partitur zu tiefgründigen Stimmungsbildern. Begeisterung, Bravos; und als Zugabe nochmals Prokofjew mit dem Tanz der Montagues und Capulets aus den zehn „Romeo und Julia“-klavierstücken.
Dvorˇàks Sechste ist ein gefundenes Fressen für jedes Orchester mit Anspruch. Die Sinfonie transportiert nicht nur ein als typisch tschechisch empfundenes, handfest-beseeltes Idiom. Ihr entsteigt auch über weite Strecken hinweg ein künstlerisch sublimierter Naturlaut, lässt insbesondere den langsamen zweiten Satz zu einer böhmischbeethovenschen Pastoral-musik werden. Erdig warm die Klanggebung des Orchesters hier, und herausragend das solistische Hervortreten der Stimmführer sämtlicher Holzbläser. Aber es lag auch an der ebenso straffen wie – kein Widerspruch – elastischen Führung durch Lancelot Fuhry, dass dieses Adagio nicht vor lauter Schönheit in Einförmigkeit versank. Ganz anders, nämlich rhythmisch zündend und kernig, gelang der Scherzo-furiant, in dem nun vor allem die Streicher auf Teufel komm raus den böhmischen Bruder des bayerischen Zwiefachen hinlegten. Schließlich das Finale, eher sorgsam disponiert als pulsjagend, erhabene Krönung des Sinfonie-gebäudes. Ein starker Orchesterauftritt – und glücklich der Klangkörper, der über einen Kapellmeister verfügt, der auch solch anspruchsvollen Programmen seine Handschrift einzuprägen vermag.