Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Warum Marcus Bürzle bei Eis und Schnee radelt
Wer bei Schnee und Eis auf dem Fahrrad sitzt, erntet mitunter mitleidige Blicke. Oder wird für verrückt gehalten. Ganz egal
Viele Tage waren zuletzt wirklich hart für einen, der gerne jeden Tag mit dem Fahrrad unterwegs ist. Draußen schneite es. Teils lag eine feine Schicht Pulverschnee auf den Wegen an der Wertach, mal knirschte der Schnee so schön unter den Schuhen und Reifen. Und ausgerechnet an diesen Tagen war ich zum Busfahren verdammt. Nichts gegen die Stadtwerke, war alles warm und so. Doch ich hätte gerne auf all den Komfort verzichtet, wenn nicht diese blöde Erkältung dringend an die Vernunft appelliert hätte: Tu’ langsam. Jetzt ist sie abgeklungen und es geht endlich wieder auf zwei Rädern raus in den Winter? Verrückt?
Nein und ja. Nein, denn was ist schon dabei, sich warm anzuziehen, Winterreifen mit oder ohne Spikes aufzuziehen und dann etwas vorsichtiger zu radeln? Andere fahren am Wochenende ewig weit, um in der Kälte auf Skiern den Berg hinab zu düsen oder die Loipe entlang zu laufen. Oder sie schnallen sich Schneeschuhe an. Der Winter kann auch Spaß machen – selbst auf dem Fahrrad. Und eine tägliche Fahrt ist nun mal die billigste Versicherung gegen das Ich-sitze-denganzen-tag-herum-syndrom. Von mir aus darf man das aber auch gerne ein bisschen für verrückt halten.
Die Illusion, dass wohl jeder, der aus seinem Stadt-geländewagen auf einen Winterradler blickt, höchstens mitleidige Gefühle hegt, habe ich längst in Schneewehen begraben. Es ist viel besser, nicht zu wissen, was die anderen denken. Ab heute ist das noch wichtiger, denn die Wirklichkeit eines Winterradlers ist noch ein bisschen verrückter.
Neulich abends durfte das Fahrrad nicht nur statt des Autos in die Garage, sondern sogar mit ins Haus. Lachen sie ruhig. Nur in den Keller, nicht ins Schlafzimmer wie so manches Rennrad. Kein Scherz, haben Sie sich noch nie über den Satz in manchem Hotelprospekt oder -zimmer gewundert: Räder dürfen nicht aufs Zimmer? Kein Fahrradkeller scheint sicher genug, wenn das Rad nur edel genug ist. Doch das war nicht der Grund, das unedle Winter-fahrrad ins Haus zu schleppen. Es war rundum voll mit Schnee, Matsch und Streusalzresten. Eine üble Mischung, die in der Garage nur festgefroren wäre. Also reins ins Haus, abtauen lassen und putzen. Denn das Salz kann einem Kette und Co. ganz schön anknabbern. Das ist jedoch kein Appell, den Winterdienst auf Radwegen einzustellen. Im Gegenteil.
Die Stadt tut etwas für Radler und will mehr tun. Danke und gerne. Bleibt der Schnee nämlich erst einmal liegen, ist es zu spät. Dann friert er an so fiesen Stellen wie an Kreuzungen oder den Zufahrten zu Radwegen bis zum Frühling fest. Der Einsatz lohnt sich, denn es sind beileibe nicht nur ein paar „Verrückte“, die in diesen Tagen auf dem Rad sitzen. Die Radzählstelle in der Konrad-adenauer-allee legt das offen. Auch in dieser Woche waren dort täglich um die 1000 Radler unterwegs. Zum Vergleich: Der Topwert lag im September einmal bei rund 3600 Radlern, der Schnitt liegt seither bei etwa 2000 am Tag. Das zeigt: Es gibt doch ein paar Winter-radelgenießer.