Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Insel kann mehr als nur blauen Likör

Karibik Dieses Türkis! Curaçao zieht Besucher sofort in seinen Bann. Viele Kreuzfahrt-touristen bleiben nur für einen kurzen Zwischenst­opp. Sie verpassen viel

- / Von Daniela Fischer

Curaçao erfüllt schon am Morgen jedes Karibik-klischee. Die Sonne brennt bereits vom Himmel auf den weißen Sand und das türkisfarb­ene Meer, das glasklar anrollt. Warmer Wind streift über die Haut. Und bunte Fische locken schon in Küstennähe zum Schnorchel­n. Da steht man nun also auf dieser Insel, die man bis dahin mit einem ganz anderen Blau verbunden hatte – dem des berühmten Likörs – und zögert beim Fotografie­ren. Glaubt einem jemand dieses Türkis in Zeiten von Bildbearbe­itungsprog­rammen überhaupt noch?

Wer nach Curaçao reist, wird direkt in ein paradiesis­ches Idyll befördert. Knapp 40 Strände und rund 100 Tauchplätz­e warten hier auf die Urlauber, die meisten davon Europäer, die vor dem Winter fliehen. Große Kreuzfahrt­schiffe schwemmen täglich Hunderte von ihnen auf die Insel. Fast alle bleiben nur einen Tag. Einen Großteil davon verbringen sie halstief im 28 Grad warmen Wasser, bringen sich Drinks mit und unterhalte­n sich. „Stell dir nur vor, wie kalt es zu Hause gerade ist“, sagen sie. Oder: „Dieses Türkis!“Dann müssen sie weiter. Denn die Rundreisen­den sehen in 14 Tagen Karibik auch noch Aruba, Bonaire, Grenada, St. Vincent, Barbados, St. Lucia, Martinique, Dominica, Guadeloupe, Antigua, La Romana – und verpassen dabei die schönsten Seiten Curaçaos.

Sten Bremmers, Anfang 20, Typ Surferboy, will sie Besuchern zeigen. Er ist ist einer von vielen jungen Holländern, die ihr Geld im Winter unter der Karibikson­ne verdienen. Ganz entspannt in Badehose, am liebsten im badewannen­warmen Wasser. Seine Aufgabe an diesem Vormittag: mit sechs Touristen Curaçao aktiv erkunden – auf bunten Sup-boards im „Spanish Wa- Fernab der Strandlieg­e gebe es hier viel zu entdecken, betont er, wie der Tauchlehre­r tags zuvor beim Schnorchel­ausflug. Wer auf Curaçao arbeitet, weiß offenbar um den Zeitdruck vieler Urlauber. Bevor es losgeht, macht Sten noch schnell vor, wie das mit dem Stehpaddel­n funktionie­rt. Er geht auf seinem Brett leicht in die Knie und stößt das Paddel energisch ins Meerwasser: „Eigentlich ganz einfach.“Dann noch eine Verhaltens­regel: „Bleibt immer nah an den Mangroven, sonst treibt ihr ab.“

Er hat recht: Stand Up Paddling ist eigentlich ganz einfach. Drei Schläge links, drei rechts und immer schön nah an den Mangroven bleiben. Deren dichtes Flechtwerk mit den bizarren Wurzeln formt eine einzigarti­ge Landschaft, durch die es mit den Brettern geht. Näher dran geht nicht. Nur: Irgendwann wird das anstrengen­d. Verdammt anstrengen­d. Das stehende Paddeln gegen den Wind und die Wellen kostet Kraft, die Arme werden schwer, die Sehnsucht nach der Sonnenlieg­e immer größer. Nach eineinhalb Stunden Tour dann, endlich, die verdiente Mittagspau­se am Strand, Seite an Seite mit den nächsten sonnenhung­rigen Urlaubern, die ein Schiff eben erst auf der Insel abgeladen hat. „Dieses Türkis!“

Curaçao ist mit gut 444 Quadratkil­ometern etwa so klein wie Usedom und das C der karibische­n Abc-inseln, zu denen noch Aruba und Bonaire zählen. Geografisc­h gehört es zu den südlichen Kleinen Antillen, und damit zu Südamerika. Die Insel liegt nur gut 60 Kilometer nördlich von Venezuela. Politisch aber ist Curaçao eine eigene Provinz im Königreich der Niederland­e, die Insel war lange Zeit Kolonie. Das macht sich vor allem in der Hauptstadt Willemstad bemerkbar, wo die Mehrheit der 150 000 Einwohner lebt.

Der erste Eindruck: bunt. Die Altstadt, seit 1997 Unesco-weltkultur­erbe, kommt wie ein tropisches Mini-amsterdam daher. Die Straßen heißen Windstraat, Midstraat und Kuiperstra­at. Die Häuser sind im Rokoko- und Flamboyant-stil gebaut. Ihre Fassaden sind mal pink, mal mintgrün, dann wieder sonnengelb oder himmelblau.

Der erste niederländ­ische Gouverneur verfügte 1817, alle Häuser seien bunt zu streichen, das Weiß des verbauten Korallenka­lks sei schädlich für die Augen. Zufällig war Albert Kikkert im Farbengesc­häft, jedenfalls erzählt man sich das. Heute ist die bonbonbunt­e Häuserzeil­e das Wahrzeiche­n der Stadt, wenn nicht der ganzen Insel. Ihre Kompositio­n verändert sich alle paar Jahre. Die Unesco zahlt die Farbe, damit die Fronten frisch aussehen, sie gibt aber nicht vor, wie sie gestrichen werden sollen.

Die beiden bunten Stadtteile Punda und Otrobanda trennt die Hafeneinfa­hrt. Verbunden sind sie durch die Königin-emma-brücke, die auch liebevoll „Swinging Old Lady“genannt wird und in der Tat bedenklich wankt. Muss ein Schiff in die Sint Annabaai, den größten Naturhafen der Karibik und einst Hauptumsch­lagplatz des Sklavenhan­dels, schwimmt die Holzkonstr­uktion komplett zur Seite. Mehrmals am Tag ertönt der Alarm. Dann rennen Fußgänger los, um noch schnell die andere Seite zu erreichen, weichen auf eine kostenlose Fähre aus oder warten mit karibische­r Gelassenhe­it, bis die Brücke wieder anlegt

Fernab des Trubels, im Naturschut­zgebiet rund um den 375 Meter hohen Christoffe­lberg, sieht die Landschaft noch immer so aus, wie zu der Zeit, als die Spanier 1499 das Eiland entdeckten. Nicht von ungefähr bezeichnet­en die Eroberer Curaçao zunächst als „nutzlose Insel“und verteidigt­en diese, als die Holländer 1643 kamen, nur halbherzig. Überall Kakteen und Dornengest­rüpp. Morgens um 7 ist es schon schwül-heiß, 35 Grad, hohe Luftfeucht­igkeit, kaum Wind. Als wanter“. dernder Tourist fühlt man sich wie in einem tropischen Gewächshau­s, ist innerhalb kürzester Zeit schweißgeb­adet. Je weiter es auf roter, harter Erde den Berg nach oben geht, desto dschungela­rtiger wird die Vegetation. Zu den Kakteen gesellen sich immer mehr Agaven, Bromelien und weiß blühende Orchideen. Irgendwo rascheln Leguane.

Im oberen Teil wird es steil und felsig-schroff. Konzentrat­ion ist gefragt, während man sich unweigerli­ch die Frage stellt, wie man da eigentlich wieder herunter und auf seine Strandlieg­e kommen soll. „Das klappt schon“, sagt Ranger Briand Victorina, der den Blick bemerkt hat. An manchen Tagen macht er diese Tour vier Mal. Es sei ihm eine Herzensang­elegenheit, den Besuchern die raue, besondere Seite „seiner“Insel zu zeigen. Auf Curaçao

Der „Blue Curaçao“muss gar nicht blau sein

gebe es viel zu entdecken. Nicht nur die Pflanzenwe­lt sei einzigarti­g, sagt er. Auch von vielen Tieren, etwa dem Moskitokol­ibri oder dem Warawara-falken, schwärmt der Ranger, zeigt mal nach links, mal nach rechts. Nach einer guten Stunde ist der Gipfel des Christoffe­lbergs erreicht. Zur Belohnung gibt es frischen Wind und einen Ausblick über die gesamte Karibikins­el.

Die entspricht in diesem Moment wieder ganz dem Klischee. Herber Charme, kombiniert mit einem perfekten Blau – dieses Verspreche­n gibt der „Blue Curaçao“seit Jahrzehnte­n der ganzen Welt. Dass diese Insel aber immer für eine Überraschu­ng gut ist, beweist sie bei der Bestellung vor Ort. Denn der Sehnsuchts­likör aus bitteren Orangen, wie es sie nur auf Curaçao gibt, muss gar nicht blau sein.

Hier gibt es ihn auch in Rot, Orange oder Grün – eben so bunt wie die Insel selbst.

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Foto: Voigt/radius Images/fischer Curaçao ist bunt. Das zeigt sich nicht nur in Willemstad mit seinen farbenpräc­htigen Häusern. Auch die Küche ist abwechslun­gsreich.
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