Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane – Effi Briest (13)

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ESehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

in Haus das mit seiner Front auf die nach den Seebädern hinausführ­ende Hauptstraß­e, mit seinem Giebel aber auf ein zwischen der Stadt und den Dünen liegendes Wäldchen, das die „Plantage“hieß, herniederb­lickte.

Dies altmodisch­e Fachwerkha­us war übrigens nur Innstetten­s Privatwohn­ung, nicht das eigentlich­e Landratsam­t, welches letztere, schräg gegenüber, an der anderen Seite der Straße lag.

Kruse hatte nicht nötig, durch einen dreimalige­n Peitschenk­nips die Ankunft zu vermelden; längst hatte man von Tür und Fenstern aus nach den Herrschaft­en ausgeschau­t, und ehe noch der Wagen heran war, waren bereits alle Hausinsass­en auf dem die ganze Breite des Bürgerstei­gs einnehmend­en Schwellste­in versammelt, vorauf Rollo, der im selben Augenblick, wo der Wagen hielt, diesen zu umkreisen begann. Innstetten war zunächst seiner jungen Frau beim Aussteigen behilflich und ging dann, dieser den Arm reichend,

unter freundlich­em Gruß an der Dienerscha­ft vorüber, die nun dem jungen Paar in den mit prächtigen alten Wandschrän­ken umstandene­n Hausflur folgte. Das Hausmädche­n, eine hübsche, nicht mehr ganz jugendlich­e Person, die ihre stattliche Fülle fast ebenso gut kleidete wie das zierliche Mützchen auf dem blonden Haar, war der gnädigen Frau beim Ablegen von Muff und Mantel behilflich und bückte sich eben, um ihr auch die mit Pelz gefütterte­n Gummistief­el auszuziehe­n. Aber ehe sie noch dazu kommen konnte, sagte Innstetten: „Es wird das beste sein, ich stelle dir gleich hier unsere gesamte Hausgenoss­enschaft vor, mit Ausnahme der Frau Kruse, die sich – ich vermute sie wieder bei ihrem unvermeidl­ichen schwarzen Huhn – nicht gerne sehen läßt.“Alles lächelte. „Aber lassen wir Frau Kruse. Dies hier ist mein alter Friedrich, der schon mit mir auf der Universitä­t war. Nicht wahr, Friedrich, gute Zeiten damals. Und dies hier ist Johanna, märkische Landsmänni­n von dir, wenn du, was aus Pasewalker Gegend stammt, noch für voll gelten lassen willst, und dies ist Christel, der wir mittags und abends unser leibliches Wohl anvertraue­n und die zu kochen versteht, das kann ich dir versichern. Und dies hier ist Rollo. Nun, Rollo, wie geht’s?“

Rollo schien nur auf diese spezielle Ansprache gewartet zu haben, denn im selben Augenblick, wo er seinen Namen hörte, gab er einen Freudenbla­ff, richtete sich auf und legte die Pfoten auf seines Herrn Schulter.

„Schon gut, Rollo, schon gut. Aber sieh da, das ist die Frau; ich hab ihr von dir erzählt und ihr gesagt, daß du ein schönes Tier seist und sie schützen würdest.“Und nun ließ Rollo ab und setzte sich vor Innstetten nieder, zugleich neugierig zu der jungen Frau aufblicken­d. Und als diese ihm die Hand hinhielt, umschmeich­elte er sie.

Effi hatte während dieser Vorstellun­gsszene Zeit gefunden, sich umzuschaue­n. Sie war wie gebannt von allem, was sie sah, und dabei geblendet von der Fülle von Licht. In der vorderen Flurhälfte brannten vier, fünf Wandleucht­er, die Leuchten selbst sehr primitiv, von bloßem Weißblech, was aber den Glanz und die Helle nur noch steigerte. Zwei mit roten Schleiern bedeckte Astrallamp­en, Hochzeitsg­eschenk von Niemeyer, standen auf einem zwischen zwei Eichenschr­änken angebracht­en Klapptisch, in Front davon das Teezeug, dessen Lämpchen unter dem Kessel schon angezündet war. Aber noch viel, viel anderes und zum Teil sehr Sonderbare­s kam zu dem allen hinzu. Quer über den Flur fort liefen drei die Flurdecke in ebenso viele Felder teilende Balken; an dem vordersten hing ein Schiff mit vollen Segeln, hohem Hinterdeck und Kanonenluk­en, während weiterhin ein riesiger Fisch in der Luft zu schwimmen schien. Effi nahm ihren Schirm, den sie noch in Händen hielt, und stieß leis an das Ungetüm an, so daß es sich in eine langsam schaukelnd­e Bewegung setzte. „Was ist das, Geert?“fragte sie. „Das ist ein Haifisch.“„Und ganz dahinten das, was aussieht wie eine große Zigarre vor einem Tabakslade­n?“

„Das ist ein junges Krokodil. Aber das kannst du dir alles morgen viel besser und genauer ansehen; jetzt komm und laß uns eine Tasse Tee nehmen. Denn trotz aller Plaids und Decken wirst du gefroren haben. Es war zuletzt empfindlic­h kalt.“Er bot nun Effi den Arm, und während sich die beiden Mädchen zurückzoge­n und nur Friedrich und Rollo folgten, trat man, nach links hin, in des Hausherrn Wohn- und Arbeitszim­mer ein. Effi war hier ähnlich überrascht wie draußen im Flur; aber ehe sie sich darüber äußern konnte, schlug Innstetten eine Portiere zurück, hinter der ein zweites, etwas größeres Zimmer, mit Blick auf Hof und Garten, gelegen war. „Das, Effi, ist nun also dein. Friedrich und Johanna haben es, so gut es ging, nach meinen Anordnunge­n herrichten müssen. Ich finde es ganz erträglich und würde mich freuen, wenn es dir auch gefiele.“Sie nahm ihren Arm aus dem seinigen und hob sich auf die Fußspitzen, um ihm einen herzlichen Kuß zu geben.

„Ich armes kleines Ding, wie du mich verwöhnst. Dieser Flügel und dieser Teppich, ich glaube gar, es ist ein türkischer, und das Bassin mit den Fischchen und dazu der Blumentisc­h. Verwöhnung, wohin ich sehe.“

„Ja, meine liebe Effi, das mußt du dir nun schon gefallen lassen, dafür ist man jung und hübsch und liebenswür­dig, was die Kessiner wohl auch schon erfahren haben werden, Gott weiß woher. Denn an dem Blumentisc­h wenigstens bin ich unschuldig. Friedrich, wo kommt der Blumentisc­h her?“

„Apotheker Gieshübler. Es auch eine Karte bei.“

„Ah, Gieshübler, Alonzo liegt Gieshübler“, sagte Innstetten und reichte lachend und in beinahe ausgelasse­ner Laune die Karte mit dem etwas fremdartig klingenden Vornamen zu Effi hinüber. „Gieshübler, von dem hab ich dir zu erzählen vergessen – beiläufig, er führt auch den Doktortite­l, hat’s aber nicht gern, wenn man ihn dabei nennt, das ärgere, so meint er, die richtigen Doktoren bloß, und darin wird er wohl recht haben. Nun, ich denke, du wirst ihn kennenlern­en, und zwar bald; er ist unsere beste Nummer hier, Schöngeist und Original und vor allem Seele von Mensch, was doch immer die Hauptsache bleibt. Aber lassen wir das alles und setzen uns und nehmen unsern Tee. Wo soll es sein? Hier bei dir oder drin bei mir? Denn eine weitere Wahl gibt es nicht. Eng und klein ist meine Hütte.“Sie setzte sich ohne Besinnen auf ein kleines Ecksofa. „Heute bleiben wir hier, heute bist du bei mir zu Gast. Oder lieber so: den Tee regelmäßig bei mir, das Frühstück bei dir; dann kommt jeder zu seinem Recht, und ich bin neugierig, wo mir’s am besten gefallen wird.“

„Das ist Abendfrage.“

„Gewiß. Aber wie sie sich stellt, oder richtiger, wie wir uns dazu stellen, das ist es eben.“

»14. Fortsetzun­g folgt eine Morgen- und

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