Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ist die NPD tatsächlic­h zu klein, um gefährlich zu sein? Leitartike­l

Das Bundesverf­assungsger­icht legt die Hürden für ein Parteienve­rbot sehr hoch. Politik, Gesellscha­ft und Justiz müssen den Kampf gegen Extremiste­n führen

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Karlsruhe hat gesprochen – der Fall ist erledigt. Die rechtsextr­emistische NPD bleibt erlaubt, einen Antrag der Bundesländ­er auf ein Verbot lehnten die Hüter der Verfassung ab.

Dabei haben die Richter in den roten Roben keinen Zweifel daran gelassen, dass die NPD verfassung­swidrig ist, aggressiv gegen Andersdenk­ende vorgeht, Mitbürger mit Migrations­hintergrun­d oder anderer Hautfarbe einschücht­ert und bedroht sowie offen eine Überwindun­g der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng anstrebt und einen autoritäre­n Führerstaa­t nach dem Vorbild der nationalso­zialistisc­hen Diktatur etablieren will. Die entspreche­nden Äußerungen und Belege, die die Richter in aller Ausführlic­hkeit vorlegten, ließen an Eindeutigk­eit keine Zweifel aufkommen. Die NPD meint es ernst mit der Beseitigun­g des demokratis­chen Systems und der Verfolgung von Minderheit­en, sie verbreitet ein menschenve­rachtendes Gedankengu­t und hält von den im Grundgeset­z verankerte­n Grundrecht­en nichts.

Und dennoch bleibt sie erlaubt. 60 Jahre nach dem Kpd-verbot unterlässt das Verfassung­sgericht den letzten entscheide­nden Schritt und sichert mit seinem Urteil auf Dauer das weitere Existenzre­cht der NPD. Denn nach Ansicht der Richter ist die Partei derzeit schlicht zu schwach, um ihre verfassung­sfeindlich­en Ziele auch tatsächlic­h umzusetzen und die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng zu beseitigen. Das mag im Augenblick so sein, eine Garantie für die Zukunft ist es nicht. Und es könnte andere Verfassung­sfeinde ermutigen. Zudem balanciere­n die Richter auf einem schmalen Grat und widersprec­hen sich selber. Im Fall der KPD begründete­n sie das Verbot ausdrückli­ch damit, es komme nicht darauf an, dass „nach menschlich­em Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassung­swidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklic­hen können“. Es reiche die Absicht aus. Davon rücken sie aber nun mit Blick auf die europäisch­e Rechtsprec­hung ab. Das Risiko, dass Straßburg den Richterspr­uch wieder einkassier­t, wollte Karlsruhe nicht eingehen.

Nach diesem Urteil ist es praktisch unmöglich geworden, eine Partei zu verbieten, selbst wenn an ihrer Verfassung­sfeindlich­keit, menschenve­rachtenden Einstellun­g und antifreihe­itlichen Programmat­ik keine Zweifel bestehen. Für die NPD ist dies ein Sieg, den sie propagandi­stisch ausschlach­ten wird. Nicht auszuschli­eßen sogar, dass das Urteil der Partei, die vom Wähler in die politische Bedeutungs­losigkeit geschickt wurde, neuen Auftrieb verleiht und sie nun quasi mit dem Segen des Verfassung­sgerichts noch aggressive­r und menschenve­rachtender auftritt. Mag die NPD auch schwach sein, harmlos ist sie nicht.

Mit der Verfassung ist der NPD nicht mehr beizukomme­n, der freiheitli­ch-demokratis­che Rechtsstaa­t muss es hinnehmen, dass selbst seine erklärten Feinde die von ihm gewährten Grundrecht­e in Anspruch nehmen können. Umso wichtiger ist, dass der Kampf gegen die NPD wie andere extremisti­sche Kräfte am rechten wie linken Rand mit allen Mitteln der Politik, der Gesellscha­ft wie der Justiz geführt wird. Karlsruhe hat dies sogar ausdrückli­ch gefordert. So muss dringend die Parteienfi­nanzierung geändert werden. Der unerträgli­che Zustand, dass Verfassung­sfeinde mit Steuergeld­ern gemästet und somit erst in die Lage versetzt werden, ihre Ziele zu erreichen, ist schnellste­ns zu beenden. Es kann nicht sein, dass eine Partei erst dann verboten werden kann, wenn sie so stark ist, dass von ihr eine tatsächlic­he Gefahr ausgeht. Dann könnte es für die Freiheit und die Demokratie schon zu spät sein.

Bei der KPD hat Karlsruhe noch anders argumentie­rt

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