Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ist die NPD tatsächlich zu klein, um gefährlich zu sein? Leitartikel
Das Bundesverfassungsgericht legt die Hürden für ein Parteienverbot sehr hoch. Politik, Gesellschaft und Justiz müssen den Kampf gegen Extremisten führen
Karlsruhe hat gesprochen – der Fall ist erledigt. Die rechtsextremistische NPD bleibt erlaubt, einen Antrag der Bundesländer auf ein Verbot lehnten die Hüter der Verfassung ab.
Dabei haben die Richter in den roten Roben keinen Zweifel daran gelassen, dass die NPD verfassungswidrig ist, aggressiv gegen Andersdenkende vorgeht, Mitbürger mit Migrationshintergrund oder anderer Hautfarbe einschüchtert und bedroht sowie offen eine Überwindung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung anstrebt und einen autoritären Führerstaat nach dem Vorbild der nationalsozialistischen Diktatur etablieren will. Die entsprechenden Äußerungen und Belege, die die Richter in aller Ausführlichkeit vorlegten, ließen an Eindeutigkeit keine Zweifel aufkommen. Die NPD meint es ernst mit der Beseitigung des demokratischen Systems und der Verfolgung von Minderheiten, sie verbreitet ein menschenverachtendes Gedankengut und hält von den im Grundgesetz verankerten Grundrechten nichts.
Und dennoch bleibt sie erlaubt. 60 Jahre nach dem Kpd-verbot unterlässt das Verfassungsgericht den letzten entscheidenden Schritt und sichert mit seinem Urteil auf Dauer das weitere Existenzrecht der NPD. Denn nach Ansicht der Richter ist die Partei derzeit schlicht zu schwach, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch tatsächlich umzusetzen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Das mag im Augenblick so sein, eine Garantie für die Zukunft ist es nicht. Und es könnte andere Verfassungsfeinde ermutigen. Zudem balancieren die Richter auf einem schmalen Grat und widersprechen sich selber. Im Fall der KPD begründeten sie das Verbot ausdrücklich damit, es komme nicht darauf an, dass „nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können“. Es reiche die Absicht aus. Davon rücken sie aber nun mit Blick auf die europäische Rechtsprechung ab. Das Risiko, dass Straßburg den Richterspruch wieder einkassiert, wollte Karlsruhe nicht eingehen.
Nach diesem Urteil ist es praktisch unmöglich geworden, eine Partei zu verbieten, selbst wenn an ihrer Verfassungsfeindlichkeit, menschenverachtenden Einstellung und antifreiheitlichen Programmatik keine Zweifel bestehen. Für die NPD ist dies ein Sieg, den sie propagandistisch ausschlachten wird. Nicht auszuschließen sogar, dass das Urteil der Partei, die vom Wähler in die politische Bedeutungslosigkeit geschickt wurde, neuen Auftrieb verleiht und sie nun quasi mit dem Segen des Verfassungsgerichts noch aggressiver und menschenverachtender auftritt. Mag die NPD auch schwach sein, harmlos ist sie nicht.
Mit der Verfassung ist der NPD nicht mehr beizukommen, der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat muss es hinnehmen, dass selbst seine erklärten Feinde die von ihm gewährten Grundrechte in Anspruch nehmen können. Umso wichtiger ist, dass der Kampf gegen die NPD wie andere extremistische Kräfte am rechten wie linken Rand mit allen Mitteln der Politik, der Gesellschaft wie der Justiz geführt wird. Karlsruhe hat dies sogar ausdrücklich gefordert. So muss dringend die Parteienfinanzierung geändert werden. Der unerträgliche Zustand, dass Verfassungsfeinde mit Steuergeldern gemästet und somit erst in die Lage versetzt werden, ihre Ziele zu erreichen, ist schnellstens zu beenden. Es kann nicht sein, dass eine Partei erst dann verboten werden kann, wenn sie so stark ist, dass von ihr eine tatsächliche Gefahr ausgeht. Dann könnte es für die Freiheit und die Demokratie schon zu spät sein.
Bei der KPD hat Karlsruhe noch anders argumentiert