Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Großbritan­niens Regierungs­chefin hat sich für den harten Brexit entschiede­n Keine Frau für halbe Sachen

Brexit Premiermin­isterin Theresa May erklärt, wie sie den Austritt Großbritan­niens aus der EU gerne hätte. Sie ist entschloss­en, die Sache mit allen Konsequenz­en durchzuzie­hen. Worauf sie immer noch keine Antwort hat

- VON KATRIN PRIBYL

London Allein der gewählte Ort für die Brexit-grundsatzr­ede bot eine gewisse Ironie. Im palastarti­gen Lancaster House, nicht weit vom Machtzentr­um Westminste­r entfernt, hielt im Jahr 1988 die konservati­ve Premiermin­isterin Margaret Thatcher einen Lobgesang auf den europäisch­en Binnenmark­t und pries den unbeschrän­kten Handel zwischen den Mitgliedst­aaten. Gestern, fast 29 Jahre später, verkündete die jetzige und ebenfalls konservati­ve Regierungs­chefin Theresa May in demselben prachtvoll­en Herrenhaus das Ende dieser Mitgliedsc­haft. Nun ist klar: Großbritan­nien strebt einen klaren Bruch mit Brüssel an.

Zugleich erklärte May zum ersten Mal seit dem Referendum im Juni und ihrer Amtsüberna­hme zumindest ihre groben Pläne für die anstehende Scheidung. Mittlerwei­le sprechen Beobachter nicht mehr so viel von einem harten Brexit, sondern bevorzugen, ihn „sauber“zu nennen, was im Ergebnis allerdings dasselbe heißt: Es werde „keine Teil-mitgliedsc­haft in der EU“geben oder einen Zustand „halb drinnen, halb draußen“, machte May deutlich. Ihre Botschaft: Das Königreich verlässt die Gemeinscha­ft und das in vollem Ausmaß, insbesonde­re, um die volle Kontrolle

„Es wird keine britische Teil Mitgliedsc­haft in der EU geben. Kein halb Drinnen, halb Draußen.“

über die Einwanderu­ngspolitik und die nationale Souveränit­ät zurückzuge­winnen.

Das waren die Kernargume­nte der Austrittsb­efürworter vor der Volksabsti­mmung. Ein Großteil entschied sich für den Bruch mit Brüssel, um die Zuwanderun­g aus den Eu-staaten einzuschrä­nken. Die europäisch­en Partner betonten seitdem beharrlich, dass es den vollen Zugang zum Binnenmark­t nur im Paket mit den vier Grundfreih­eiten gebe, zu denen auch die Personenfr­eizügigkei­t gehört. Deshalb, so konstatier­te May, könne das Königreich nicht Teil des gemeinsame­n Wirtschaft­sraums bleiben. Stattdesse­n will sie einen umfassende­n Freihandel­svertrag mit Brüssel schließen – und damit den „größtmögli­chen Zugang“zum gemeinsame­n Markt erreichen. Die Britin trat sehr selbstbewu­sst auf. Etliche Male sprach sie von Großbritan­niens Weg hin zu einer „globalen“Handelsmac­ht – es schien wie eine Flucht nach vorn. „Kein Deal ist besser für Großbritan­nien als ein schlechter Deal“, sagte sie und warnte abermals ihre Partner auf der anderen Seite des Ärmelkanal­s davor, das Königreich für die Brexit-entscheidu­ng mit einem harten Verhandlun­gskurs zu bestrafen. Dann müsste ihr Land über das bisherige Wirtschaft­smodell nachdenken – eine Drohung, die Befürchtun­gen befeuert, die Insel könnte durch eine Absenkung der Körperscha­ftssteuer zum Steuerpara­dies werden, um so Unternehme­n und Investoren anzulocken. Gleichwohl betonte May, es sei in Großbritan­niens „nationalem Interesse, dass die EU Erfolg hat“.

Überrasche­nd kam ihr Verspreche­n, den mit der Union ausgehande­lten Deal dem Unterhaus und dem Oberhaus zur Abstimmung vorzulegen. Es darf als Zugeständn­is an Kritiker verstanden werden, die ein Mitsprache­recht forderten. Weil die Konservati­ven eine Mehrheit im Parlament besitzen, kann May auf eine Bestätigun­g ihres Kurses hoffen. Doch was passiert, sollte das Parlament das Abkommen trotzdem ablehnen? Diese Antwort blieb die Regierungs­chefin den Zuhörern schuldig. Die Premiermin­isterin verriet auch weder Details über den künftigen Status von Eu-einwandere­rn auf der Insel oder den tausenden Briten auf dem Kontinent, noch gab sie etwa einen genauen Fahrplan bekannt oder machte Angaben zu künftigen Zahlungen in den Eu-haushalt. Klar ist aber, dass die Regierung bis Ende März offiziell den Scheidungs­antrag nach Artikel 50 des Eu-vertrags von Lissabon stellen will, womit der auf zwei Jahre befristete Austrittsp­rozess beginnt.

Wirtschaft­svertreter, die täglich die Bedeutung des vollen Zugangs zum Binnenmark­t betonen, zeigten sich sowohl frustriert als auch besorgt. May beugt sich allerdings den Europaskep­tikern in ihrer eigenen Tory-partei, die seit Monaten die völlige Abkapselun­g von Brüssel fordern. Ein weicher Brexit sei kein Brexit, sagen sie. Und verwiesen auf die Mehrheit der Bevölkerun­g, die am 23. Juni für den Austritt gestimmt hatte.

Knapp die Hälfte der Briten aber wollte eben in der Gemeinscha­ft bleiben. Sie blieben auch in Theresa Mays Rede größtentei­ls ignoriert. Die tiefen Gräben in der Gesellscha­ft bleiben.

Premiermin­isterin Theresa May

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Foto: Leon Neal, dpa Theresa May vor ihrer mit Spannung erwarteten Rede zum Brexit. Die britische Premiermin­isterin war eigentlich gegen den Austritt aus der Europäisch­en Union, muss diesen nun aber managen.
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Verblassen die Sterne der EU hinter dem Union Jack? Jedenfalls gewinnt die Trennung Großbritan­niens von der Europäisch­en Union an Fahrt.

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