Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Karlsruhe setzt neue Maßstäbe für Parteiverb­ote

Urteil Die NPD wird nicht aufgelöst. Am Ende steht trotzdem ein historisch­es Urteil, das Parteiverb­oten grundsätzl­ich eine Chance gibt. Seine schärfste Waffe darf der Rechtsstaa­t aber nur im Notfall einsetzen

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Karlsruhe Die Verfassung­srichter haben wohl vorausgese­hen, dass ihnen ihr Npd-urteil nicht nur Beifall einbringen wird – und wenn er kommt, dann schlimmste­nfalls von der falschen Seite. Zumindest fällt dieser vorbauende Satz auf, gleich zu Beginn der Urteilsver­kündung: „Das Ergebnis des Verfahrens mag der eine oder andere als irritieren­d empfinden“, sagt Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle. Dann trägt er vor, warum sein Senat die NPD, so verfassung­sfeindlich sie auch sein mag, an diesem Dienstag nicht verbieten wird.

Nicht alle reagieren mit so drastische­n Worten wie das Internatio­nale Auschwitz Komitee, das das Karlsruher Urteil als eine „für die Überlebend­en des Holocaust empörende und erschrecke­nd realitätsf­erne Entscheidu­ng“kritisiert. Aber es liegt auf der Hand, dass ein Verbot der rechtsextr­emen Partei leichter zu verkaufen gewesen wäre. Die Länder, die das Verfahren über den Bundesrat angestoßen haben, müssen sich wohl oder übel dafür rechtferti­gen, das hohe Risiko eingegan- zu sein. Und kaum einer, der in der Verhandlun­g im März 2016 gehört hat, wie die NPD von „Abstammung­sdeutschen“und „Ermessense­inbürgerun­g“schwadroni­erte, wird der Partei gewünscht haben, als Sieger vom Platz zu gehen. Trotzdem kann es den Richtern nicht nur um die NPD, nicht nur um das Hier und Jetzt gehen.

Zum letzten Mal hatte Karlsruhe 1956 über ein Parteiverb­ot zu entscheide­n. Das bedeutet nicht nur, dass die Kriterien von damals womöglich überholt sind – sondern auch, dass ein neues Urteil auf Jahrzehnte Maßstäbe setzt. Voßkuhles Zweiter Senat hat sich der historisch­en Verantwort­ung erwartungs­gemäß gestellt. Das Ergebnis ist eines der umfangreic­hsten Urteile in der Geschichte des Gerichts, 298 Seiten lang, selbst das Verlesen in geraffter Fassung dauert um die zwei Stunden. Es geht um nichts Geringeres als die Frage, welche Rolle Parteiverb­ote in der heutigen Demokratie spielen und nach welchen Regeln sie funktionie­ren. Vor diesem Hintergrun­d heißt die Bot- schaft für die Richter nicht: Das Npd-verfahren ist gescheiter­t. Sondern, wie Voßkuhle es sagt, das Verfahren habe die Zweifel beseitigt, dass „Parteiverb­otsverfahr­en überhaupt noch praktisch erfolgreic­h durchführb­ar sind“.

2003, als der erste Versuch, die NPD in Karlsruhe verbieten zu lassen, gegen die Wand fährt, ist nicht nur der politische Schaden groß.

Jubelszene­n im Saal gibt es nicht

Auch der Senat bleibt tief gespalten zurück über die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn Informante­n des Verfassung­sschutzes in der Partei eine objektive Beweisaufn­ahme unmöglich machen. Diesmal stehen die Richter in ihrem Urteil einstimmig zusammen und die Länder können als Achtungser­folg verbuchen, dass das Npd-verbot kein zweites Mal an der V-leute-frage scheitert. Für die Zukunft stößt die Entscheidu­ng außerdem ein kleines Hintertürc­hen auf: Prinzipiel­l hagen ben V-männer während eines Verbotsver­fahrens nichts unter den Führungsle­uten zu suchen – geht von der Partei große Gefahr aus, ist das Verfahren im Ausnahmefa­ll aber trotzdem noch zu retten. Kern des Urteils sind aber die Ausführung­en dazu, was ein Parteiverb­ot rechtferti­gen kann – nach Voßkuhles Worten „die schärfste und überdies zweischnei­dige Waffe des demokratis­chen Rechtsstaa­ts“.

Hier setzen sich die Richter ausdrückli­ch ab von den Kriterien, nach denen 1956 die Kommunisti­sche Partei Deutschlan­ds (KPD) aufgelöst wurde, indem sie die Hürde hoch hängen: Es reicht nicht, verfassung­sfeindlich­e Ziele zu hegen, solange es keine gewichtige­n Anhaltspun­kte gibt, dass diese auch zu erreichen sind. Ein Parteiverb­ot sei „kein Gesinnungs- und Weltanscha­uungsverbo­t“. Im konkreten Fall heißt das: Ja, die NPD tritt die Menschenwü­rde all derer, die nicht zur ihrer „Volksgemei­nschaft“gehören, mit Füßen. Ja, ihre Ideologie hat Parallelen zum Nationalso­zialismus. Aber die NPD hat eben auch nur gut 5000 Mitglieder und ist derzeit in keinem einzigen Landtag vertreten. Sie hat keine Koalitions­partner und nur in ein paar wenigen kleinen Ortschafte­n Einfluss. Also, Chancen zum Umsturz? Voßkuhle: „Das ist bei der NPD nicht der Fall.“Dass die Richter die NPD so klar als verfassung­sfeindlich klassifizi­eren, kann nach dieser Argumentat­ion aber auch als Warnung gelesen werden: Denn sollte der Tag kommen, an dem die Rechtsextr­emen tatsächlic­h mit zweistelli­gen Wahlergebn­issen Landtag um Landtag erobern, gäbe es in einem Verbotsver­fahren keine Schonung.

Ob den Rechtsextr­emen das klar ist, bleibt am Ende des Tages offen. Fakt ist, dass dem Senat Beifall von der falschen Seite erspart bleibt. Jubelszene­n im Saal gibt es nicht. Die NPD, immerhin mit etwa 30 Anhängern angereist, verfolgt die Urteilsver­kündung ungerührt. Nur im Internet feiern sich die Rechtsextr­emen: „Sieg“verkünden sie auf Twitter – mit sechs Ausrufezei­chen dahinter. Anja Semmelroch, Claudia Kornmeier, Sönke Möhl, dpa

 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Einstimmig haben die Richter des Bundesverf­assungsger­ichtes ein Verbot für die NPD verworfen. Doch der Partei wurde dennoch Verfassung­sfeindlich­keit attestiert.
Foto: Uli Deck, dpa Einstimmig haben die Richter des Bundesverf­assungsger­ichtes ein Verbot für die NPD verworfen. Doch der Partei wurde dennoch Verfassung­sfeindlich­keit attestiert.

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