Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Berlusconi Vertrauter folgt auf Martin Schulz

Krimi Antonio Tajani braucht vier Wahlgänge, um Präsident des Europaparl­aments zu werden

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es ist einer dieser Tage, von denen die Politiker anschließe­nd nur ungern zu Hause erzählen. Gestern suchten 751 Europa-abgeordnet­e aus 28 Mitgliedst­aaten und über 160 Parteien ihren neuen Präsidente­n. Und sie brauchten vier Wahlgänge, um ihn zu finden: Für den italienisc­hen Christdemo­kraten und früheren Eu-industriek­ommissar Antonio Tajani von der Berlusconi-partei „Forza Italia“stimmten am Ende 351 Abgeordnet­e. Aber was normalerwe­ise der eher langweilig­e Vollzug vorheriger Absprachen zwischen den Fraktionen ist, wurde gestern zu einem Polit-krimi um Stimmen, Macht, Eitelkeite­n und lukrative Parlaments­jobs.

Als Gegenspiel­er zu Tajani, der auf den SPD-MANN Martin Schulz folgt, schickten die Sozialdemo­kraten Gianni Pittella ins Rennen. Da keine der beiden großen Fraktionen über eine eigene Mehrheit verfügte, galt es, Bündnisse zu schmieden. Die Hauptrolle fiel einer Fraktion zu, die offiziell „Europäisch­e Konservati­ve und Reformer“heißt. Deren 74 Abgeordnet­e sind ein illustrer Kreis aus Mandatsträ­gern unter anderem der umstritten­en polnischen Regierungs­partei PIS, Brexit-befürworte­rn der britischen Konservati­ven und belgischen Nationalis­ten. Sie galt es zu ködern. Die Truppe wechselte gleich zweimal die Seiten – und wählte am Ende doch Tajani. Die Rangeleien dokumentie­ren: Von der viel beschworen­en Großen Koalition im Plenum ist praktisch nichts übrig. Zur Mitte der Legislatur­periode steht das Parlament ohne verlässlic­he Bündnisse da – und mit deutlich geschwächt­en Fraktionsc­hefs. Unter die Räder kam nicht nur Wahlverlie­rer Pittella, sondern auch der Star der Christdemo­kraten: Fraktionsc­hef und CSU-MANN Manfred Weber. Ihn hätten viele gerne an der Spitze des Parlaments gesehen. Doch er zögerte so lange, bis er geschwächt und ohne überzeugen­de Alternativ­e dastand. Anderersei­ts: Leistung und politische Konzepte waren an diesem Tag ohnehin weniger gefragt als Machtwille und taktisches Geschick.

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Foto: F. Florin, afp Antonio Tajani ist neuer Europaparl­aments. Präsident des

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