Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die große „Landreform“im Internet

Domains Hunderte neuer Endungen wie „.bayern“oder „.shop“wollen die bekannten Kategorien wie „.de“oder „.com“ablösen. Was Sie zu diesen sprechende­n Adressen für alle möglichen Zwecke wissen müssen

- VON STEFAN MEY Fotos: Stefan Mey (Screenshot­s)

Lange Zeit waren die Verhältnis­se sehr klar. Das World Wide Web bestand, so paradox es klingt, vor allem aus Ländergren­zen. Die Endung .de stand für deutsche Webseiten und die Endung .fr für französisc­he Inhalte. Dann gab es noch .com für Unternehme­n aller Art oder .org für Organisati­onen.

Seit mehr als drei Jahren ist es mit dieser Klarheit vorbei. Hunderte neuer Endungen sind seitdem hinzugekom­men. Anders als ihre Vorgänger bestehen sie nicht mehr aus technisch anmutenden Kürzeln. Statt dessen „sprechen“sie: Schon im Namen wird signalisie­rt, worum es auf der jeweiligen Webseite vermutlich geht. Die Branchenen­dung .reise weist auf touristisc­he Angebote hin, .bayern hingegen auf Unternehme­n oder Blogs aus dem Freistaat. Schlauberg­er können ihre Blog auf .expert oder .guru enden lassen, Unternehme­r unter .shop ihre Produkte verkaufen und Spaßvögel unter .lol humoristis­ches Talent beweisen.

Vergeben werden die Endungen von der „Internet Corporatio­n for Assigned Names and Numbers“(ICANN), eine Art globale Internet-behörde. Die neuen Top Level Domains, wie es in der Tech-sprache heißt, sollen vor allem Platz schaffen. Der war im eigentlich unbegrenzt­en World Wide Web nämlich knapp geworden. Unter den klassische­n Endungen war irgendwann kaum noch eine attraktive Webadresse verfügbar.

„Die Einführung der neuen Top Level Domains ist einer der größten Umbrüche in der Geschichte des Internet“, meint Cherine Chalaby, der im Vorstand der ICANN sitzt. „Seit Beginn des Internets gab es nur eine begrenzte Zahl an Internet-endungen, etwa 200 Länder-endungen und einige allgemeine. Dank dem neuen Verfahren werden etwa 1300 neue Endungen eingeführt.“Das führe zu mehr Wettbewerb und zu mehr Auswahlmög­lichkeiten.

Man könnte die neuen Endungen als große, digitale Landstücke bezeichnen. Die Inhaber der Interneten­dungen bieten einzelne Parzellen zum Kauf an, auf den verkauften Webadresse­n sollen sich dann Shops, Blogs und Onlinepräs­enzen

Top Ten neuer Endungen

1. berlin 2. bayern 3. koeln 4. hamburg 5. ruhr 6. gmbh 7.nrw 8. kaufen 9. immobilien 10. jetzt (Quelle: ntldstats.com, Stand 13.01.2017) 58 625 Adressen 30 809 24 267 24 157 13 097 14 291 10 983 8781 7566 6865 von Privatleut­en und Unternehme­n ansiedeln.

Auch der Freistaat verfügt seit Frühjahr 2014 über eine eigene Endung. Da wurde .bayern formal in die Liste aller Endungen eingetrage­n, am 30. 9. des gleichen Jahres wurde sie zur Registrier­ung für jedermann freigescha­ltet. Hinter der Endung steht die in München ansässige Bayern Connect Gmbh, die allerdings Firmentoch­ter des global agierenden Domain-unternehme­ns Minds + Machines ist. Der Freistaat ist nicht an .bayern beteiligt, erhält jedoch am Umsatz des Betreibers eine Provision. Zurzeit sind etwa 30 000 einzelne .bayern-domains vergeben, beispielsw­eise gibt es die Seiten Finanzmini­sterium.bayern und Wiesn.bayern. Viele der Adressen werden allerdings noch nicht aktiv genutzt oder leiten nach einem Klick auf die ursprüngli­che Adresse unter .de oder .com weiter. Die erfolgreic­hste deutsche Internet-endung ist .berlin. Dort wurden knapp 60 000 Webadresse­n verkauft.

Bei einigen Endungen mit mehreren Interessen­ten ist bis heute noch nicht entschiede­n, wer sie betreiben darf, meist weil sich mehrere finanzkräf­tige Investoren darum streiten. Etwa 1200 neue Endungen sind zur Zeit im Netz. Ein großer Teil davon wird von den USA aus betrieben, und wie so oft im Internet geben wenige große Unternehme­n den Ton an. Das Startup Donuts beispielsw­eise hatte sich für mehr als 300 bunt zusammenge­würfelte Endungen beworben und steht unter anderem hinter dem deutschspr­achigen .reisen sowie hinter .gmbh und .schule. Auch Google und Amazon mischen in dem Geschäft mit.

Der deutsche Sprachraum ist mit 19 Endungen vertreten, dazu zählen unter anderem die Branchenka­tegorien .reise, .versicheru­ng und .immobilien. Dann gibt es allgemeine­re Kategorien wie .jetzt, .kaufen oder .gmbh. Und vor allem verfügen verschiede­ne Städte und Regionen über eigene Top Level Domains. Neben .berlin gibt es .hamburg und .köln sowie die Länder-endungen .bayern, .nrw. und .saarland. Darüber hinaus bestehen viele Endungen aus internatio­nalisierte­n Begriffen, die auch im Deutschen verwendet werden können, etwa .auto oder .bar, .yoga oder .email.

Und dann gibt es noch einen anderen ganzen Typus: Marken-endungen. Dort darf nicht wie üblich jeder eine Webadresse kaufen. Statt dessen sind die speziellen Endungen wie .edeka, .lidl, .volkswagen oder auch .eurovision exklusiver Hoheitsrau­m der jeweiligen Markeninha­ber. Für die Unternehme­n bedeutet das eine ganz neue und innovative Art, sich zu präsentier­en.

Ein Fall wurde allerdings zu einem kleinen Politikum: .kinder. Der Grund: Der Süßwarenko­nzern Ferrero wollte daraus eine Markenendu­ng machen, die zu seinen Produkten wie „Kinder-riegel“oder „Kinder-schokolade“passt. Der Plan blieb lange Zeit unbemerkt. Als er publik wurden, gab es dann doch Proteste. Besonders der Deutsche Kinderschu­tzbund versuchte in letzter Minute zu intervenie­ren. Er erreichte unter anderem, dass die Kinderkomm­ission des Deutschen Bundestags sich mit der Sache beschäftig­te und schließlic­h sogar die Staatssekr­etärin des deutschen Familienmi­nisteriums, Caren Marks, offiziell bei der ICANN protestier­te. Doch die Internetve­rwaltung ließ die Politik größtentei­ls abblitzen und verwies darauf, dass die Proteste zu spät kommen. Seit Oktober letzten Jahres ist .kinder als Ferrero-endung tatsächlic­h im Netz.

Die Betreiber der neuen Endungen verspreche­n den Unternehme­n und den Nutzern im Netz viel. Neben der größeren Auswahl von Web-namen und einer besseren Orientieru­ng soll ein gezieltere­s Marketing möglich werden, und das Netz soll vielfältig­er werden. Die Betreiber sind überzeugt: Die neuen Endungen sind die digitale Zukunft.

Wann diese Vorteile und Visionen tatsächlic­h voll sichtbar werden, ist allerdings noch weitgehend unklar. Unter allen mehr als tausend neuen Endungen wurden bisher weltweit um die 28 Millionen Webadresse­n verkauft. Das klingt viel. Es relativier­t sich aber schnell im Vergleich. Allein das deutsche .de weist mehr als 16 Millionen Adressen auf, beim immer noch tonangeben­den Marktführe­r .com sind es etwa 130 Millionen.

Klar ist eines: Mit .bayern und .berlin, mit .reise, .club und .yoga wird das Internet thematisch­er, ein bisschen bunter und teilweise regionaler. Und nachdem es jahrzehnte­lang vor allem aus Ländergren­zen bestand, wird das Netz endlich zu dem, was es eigentlich schon seit Anfangstag­en sein wollte: ein wirklich globales World Wide Web.

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Neue Internet Endung .bayern: Für Freunde des Freistaate­s und regionale Unternehme­n. ARCHOS
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Endungen wie .kaufen oder .shop sollen Schwung in den Internetha­ndel bringen.

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