Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane – Effi Briest (14)

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Und sie lachte und schmiegte sich an ihn und wollte ihm die Hand küssen.

„Nein, Effi, um Himmels willen nicht, nicht so. Mir liegt nicht daran, die Respektspe­rson zu sein, das bin ich für die Kessiner. Für dich bin ich ...“„Nun was?“„Ach laß. Ich werde mich hüten, es zu sagen.“

ESIEBENTES KAPITEL

s war schon heller Tag, als Effi am andern Morgen erwachte. Sie hatte Mühe, sich zurechtzuf­inden. Wo war sie? Richtig, in Kessin, im Hause des Landrats von Innstetten, und sie war seine Frau, Baronin Innstetten. Und sich aufrichten­d, sah sie sich neugierig um; am Abend vorher war sie zu müde gewesen, um alles, was sie da halb fremdartig, halb altmodisch umgab, genauer in Augenschei­n zu nehmen. Zwei Säulen stützten den Deckenbalk­en, und grüne Vorhänge schlossen den alkovenart­igen

Schlafraum, in welchem die Betten standen, von dem Rest des Zimmers ab; nur in der Mitte fehlte der Vorhang oder war zurückgesc­hlagen, was ihr von ihrem Bett aus eine bequeme Orientieru­ng gestattete. Da, zwischen den zwei Fenstern, stand der schmale, bis hoch hinaufreic­hende Trumeau, während rechts daneben, und schon an der Flurwand hin, der große schwarze Kachelofen aufragte, der noch (soviel hatte sie schon am Abend vorher bemerkt) nach alter Sitte von außen her geheizt wurde. Sie fühlte jetzt, wie seine Wärme herüberstr­ömte.

Wie schön es doch war, im eigenen Hause zu sein; soviel Behagen hatte sie während der ganzen Reise nicht empfunden, nicht einmal in Sorrent. Aber wo war Innstetten? Alles still um sie herum, niemand da. Sie hörte nur den Ticktacksc­hlag einer kleinen Pendüle und dann und wann einen dumpfen Ton im Ofen, woraus sie schloß, daß vom Flur her ein paar neue Scheite nachgescho- ben würden. Allmählich entsann sie sich auch, daß Geert am Abend vorher von einer elektrisch­en Klingel gesprochen hatte, nach der sie dann auch nicht lange mehr zu suchen brauchte; dicht neben ihrem Kissen war der kleine weiße Elfenbeink­nopf, auf den sie nun leise drückte.

Gleich danach erschien Johanna. „Gnädige Frau haben befohlen.“

„Ach, Johanna, ich glaube, ich habe mich verschlafe­n. Es muß schon spät sein.“„Eben neun.“„Und der Herr ...“, es wollte ihr nicht glücken, so ohne weiteres von ihrem „Mann“zu sprechen ..., „der Herr, er muß sehr leise gemacht haben; ich habe nichts gehört.“

„Das hat er gewiß. Und gnäd’ge Frau werden fest geschlafen haben. Nach der langen Reise ...“

„Ja, das hab ich. Und der Herr, ist er immer so früh auf?“Immer, gnäd’ge Frau. Darin ist er streng; er kann das lange Schlafen nicht leiden, und wenn er drüben in sein Zimmer tritt, da muß der Ofen warm sein, und der Kaffee darf auch nicht auf sich warten lassen.“

„Da hat er also

„Oh, nicht doch, gnäd’ge Frau ... der gnäd’ge Herr …“Effi fühlte, daß sie die Frage nicht hätte tun und die Vermutung, Innstetten könne nicht auf sie gewartet haben, lieber schon gefrühstüc­kt?“ nicht hätte ausspreche­n sollen. Es lag ihr denn auch daran, diesen ihren Fehler, so gut es ging, wieder auszugleic­hen, und als sie sich erhoben und vor dem Trumeau Platz genommen hatte, nahm sie das Gespräch wieder auf und sagte: „Der Herr hat übrigens ganz recht. Immer früh auf, das war auch Regel in meiner Eltern Haus. Wo die Leute den Morgen verschlafe­n, da gibt es den ganzen Tag keine Ordnung mehr. Aber der Herr wird es so streng mit mir nicht nehmen; eine ganze Weile hab ich diese Nacht nicht schlafen können und habe mich sogar ein wenig geängstigt.“

„Was ich hören muß, gnäd’ge Frau! Was war es denn?“

„Es war über mir ein ganz sonderbare­r Ton, nicht laut, aber doch sehr eindringli­ch. Erst klang es, wie wenn lange Schleppenk­leider über die Diele hinschleif­ten, und in meiner Erregung war es mir ein paarmal, als ob ich kleine weiße Atlasschuh­e sähe. Es war, als tanze man oben, aber ganz leise.“Johanna, während das Gespräch so ging, sah über die Schulter der jungen Frau fort in den hohen, schmalen Spiegel hinein, um die Mienen Effis besser beobachten zu können. Dann sagte sie: „Ja, das ist oben im Saal. Früher hörten wir es in der Küche auch. Aber jetzt hören wir es nicht mehr; wir haben uns daran gewöhnt.“

„Ist es denn etwas Besonderes damit?“

„O Gott bewahre, nicht im geringsten. Eine Weile wußte man nicht recht, woher es käme, und der Herr Prediger machte ein verlegenes Gesicht, trotzdem Doktor Gieshübler immer nur darüber lachte. Nun aber wissen wir, daß es die Gardinen sind. Der Saal ist etwas multrig und stockig, und deshalb stehen immer die Fenster auf, wenn nicht gerade Sturm ist. Und da ist denn fast immer ein starker Zug oben und fegt die alten weißen Gardinen, die außerdem viel zu lang sind, über die Dielen hin und her. Das klingt dann so wie seidne Kleider oder auch wie Atlasschuh­e, wie die gnäd’ge Frau eben bemerkte.“

„Natürlich ist es das. Aber ich begreife nur nicht, warum dann die Gardinen nicht abgenommen werden. Oder man könnte sie ja kürzer machen. Es ist ein so sonderbare­s Geräusch, das einem auf die Nerven fällt. Und nun, Johanna, bitte, geben Sie mir noch das kleine Tuch, und tupfen Sie mir die Stirn. Oder nehmen Sie lieber den Rafraichis­seur aus meiner Reisetasch­e. Ach, das ist schön und erfrischt mich. Nun werde ich hinübergeh­en. Er ist doch noch da, oder war er schon aus?“

„Der aus, ich gnäd’ge glaube, Herr war schon drüben auf dem Amt. Aber seit einer Viertelstu­nde ist er zurück. Ich werde Friedrich sagen, daß er das Frühstück bringt.“

Und damit verließ Johanna das Zimmer, während Effi noch einen Blick in den Spiegel tat und dann über den Flur fort, der bei der Tagesbeleu­chtung viel von seinem Zauber vom Abend vorher eingebüßt hatte, bei Geert eintrat.

Dieser saß an seinem Schreibtis­ch, einem etwas schwerfäll­igen Zylinderbü­ro, das er aber, als Erbstück aus dem elterliche­n Hause, nicht missen mochte.

Effi stand hinter ihm und umarmte und küßte ihn, noch eh euch von seinem Platz erheben konnte. „Schon?“„Schon, sagst du. mich zu verspotten.“

Innstetten schüttelte den Kopf. „Wie werd ich das?“Effi fand aber ein Gefallen daran, sich anzuklagen, und wollte von den Versicheru­ngen ihres Mannes, daß sein „schon“ganz aufrichtig gemeint gewesen sei, nichts hören. „Du mußt von der Reise her wissen, daß ich morgens nie habe warten lassen. Im Laufe des Tages, nun ja, da ist es etwas anderes. Es ist wahr, ich bin nicht sehr pünktlich, aber ich bin keine Langschläf­erin. Darin, denk ich, haben mich die Eltern gut erzogen.“

„Darin? In allem, meine süße Effi.“»15. Fortsetzun­g folgt Natürlich um

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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