Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Bis auf Trümmer hat man gar nichts“

Unglück Die Suche nach dem Flug MH 370 im Indischen Ozean wurde gestern offiziell beendet. Für die Angehörige­n der 239 Vermissten an Bord ist das frustriere­nd. Ein Experte sagt: Es wurde alles Menschenmö­gliche getan

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Herr Großbongar­dt, nach drei Jahren endet die Suche nach dem Flug MH370. Gab es das in der Luftfahrtg­eschichte schon einmal, dass ein Flugzeug nicht mehr zu finden war? Heinrich Großbongar­dt: Das Verschwind­en von MH370 und der Umstand, dass man das Wrack trotz des riesigen Aufwands nicht gefunden hat, ist einzigarti­g. In der Vergangenh­eit gab es nur selten solche Fälle und die liegen deutlich länger zurück. In den letzten Jahrzehnte­n hat man eigentlich immer das Wrack gefunden und meist den Flugdatens­chreiber bergen können.

Wie kann ein Flugzeug denn spurlos verschwind­en? Großbongar­dt: Bei langen Strecken über Wasser weiß man nicht zu jedem Zeitpunkt, wo sich ein Flugzeug befindet. Sobald es sich etwa 200 Kilometer vom Land entfernt hat, ist es für das Radar nicht mehr sichtbar. Die ungefähre Position weiß man durch ein Signal, das das Flugzeug automatisc­h etwa alle 15 Minuten meldet. Aber in dieser kurzen Zeit bewegt sich ein Flieger 200 bis 250 Kilometer weiter. Es ergibt sich ein riesiger Unsicherhe­itskreis.

So wie beim Flug MH 370... Großbongar­dt: Genau. Wir wissen, dass das System, das die Position meldet, abgeschalt­et worden ist. Und, dass das Flugzeug von seiner Route abgewichen ist. Statt weiter in Richtung Vietnam flog es nach Westen über die Malaiische Halbinsel hinweg auf den Indischen Ozean.

Im März jährt sich das Unglück zum dritten Mal. Warum wurde die Suche gerade jetzt eingestell­t? Großbongar­dt: Nach dem Ver- schwinden der Maschine konnte man ein Suchgebiet errechnen. Irgendwo in einem 120000 Quadratkil­ometer großen Gebiet wird die letzte Position des Flugzeuges vermutet. Das entspricht in etwa der Fläche von Bayern, Baden-württember­g und Hessen zusammen. Dort wurde bis jetzt gesucht.

Großbongar­dt: Der Indische Ozean ist dort bis zu vier Kilometer tief und man weiß über den Meeresbode­n nur sehr wenig. Das Gebiet musste erst vermessen und nach Schluchten und Höhenzügen untersucht werden. Dann wurde systematis­ch mit Robotern gesucht. Das hat einen hohen dreistelli­gen Millionenb­etrag gekostet. Den Australier­n, die das Projekt in den Händen hatten, kann man nicht nachsagen, sie hätten die Suche leichtfert­ig aufgegeben. Doch die vielen Millionen Quadratkil­ometer des Indischen Ozeans abzusuchen – das kann niemand bezahlen und dafür gibt es auch die technische­n Mittel nicht.

Wieso haben Behörden aus Australien, Malaysia und China zusammenge­arbeitet? Großbongar­dt: Für die Untersuchu­ng von Flugunfäll­en gibt es ganz klare Regeln. Miteinbezo­gen werden das Land, aus dem die Airline stammt, das, in dem sich die Absturzste­lle befindet, das, in dem der Flieger hergestell­t wurde und die Herkunftsl­änder der Passagiere.

Welche Konsequenz­en werden aus der Suche gezogen? Großbongar­dt: Man will aus so einem Unglück lernen, da werden keine Kosten und Mühen gescheut. Nur deshalb ist Fliegen heute so sicher. Nach MH370 arbeiten die Fluggesell­schaften mit Hochdruck daran, immer genau Bescheid zu wissen, wo sich ein Flugzeug befindet.

Könnte es einen Grund geben, die Suche erneut aufzunehme­n? Großbongar­dt: Wenn eine Informatio­n auftaucht, durch die sich der Absturzort eingrenzen lässt, ganz sicher. Für die Menschen, die an der Suche beteiligt waren, ist so ein Ende frustriere­nd. Sie konnten ihren Job nicht zu Ende machen. Denn bis auf die Trümmer an der afrikanisc­hen Küste hat man gar nichts.

Angehörige haben gestern bereits gegen das Ende der Suche protestier­t. Für Sie nachvollzi­ehbar? Großbongar­dt: Diese Ungewisshe­it ist natürlich schrecklic­h. Hinterblie­bene wollen den konkreten Ort des Unglücks kennen, selbst wenn sie akzeptiert haben, dass ihre Angehörige­n tot sind. Aber es ist einfach nicht zu leisten, weiterzusu­chen.

Zum Verschwind­en des Flugs gibt viele Theorien. Was denken Sie, mit der Maschine passiert? Großbongar­dt: Ich glaube nicht an eine Entführung oder einen Terrorakt. Auch technisch kann ich mir den Verlauf des Fluges nicht erklären. Für mich ist ein Angriff von innen die wahrschein­lichste These – einer der beiden Piloten vielleicht.

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Foto: Rob Griffith, AP, dpa Irgendwo dort im Wasser muss das Wrack sein: Ein Versorgung­sschiff der australi schen Marine sucht im Indischen Ozean.

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