Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das ist Mode, Mann!
Lifestyle Es ist Messezeit – auch was die Herren tragen, wird gezeigt. Doch die tun sich mit Kleidung oft sehr schwer. Warum nur?
Augsburg Leonhard Schlegel hat ein Ziel. Dafür macht sich der 54-Jährige früh auf den Weg. Schnellen Schrittes betritt er bereits kurz nach 8 Uhr das Augsburger Modehaus Rübsamen. Gekleidet in grauer Jeans, sportlicher Jacke, Hemd. Kaum im Laden, biegt er ab. Zu den Hosen. „Ich brauche eine neue Jeans“, sagt er zu der zierlichen, freundlichen Verkäuferin, die sofort zu spüren scheint, dass es hier flott gehen muss. Fachverkäuferin Ursula Eichner reicht Schlegel in passender Größe ein paar Modelle zum Probieren. Gut fünfzehn Minuten später verlässt er mit zwei Hosen in einer Tüte das Geschäft. Sichtlich gut gelaunt. So ist es Schlegel, den seine Frau zur Frühaufsteher-aktion von Rübsamen geschickt hat, am liebsten: „Die Hose muss sitzen, praktisch sein, fertig.“
Männer und Mode – Männer und Kleidung. Ein spannendes Kapitel. Fachverkäuferin Eichner kennt viele Männer, die ähnlich wie Schlegel ticken. Kleidung wird dann gekauft, wenn etwas kaputtgeht oder fehlt. Und dann muss der Einkauf zügig abgeschlossen sein. Oder Mann lässt einkaufen. Denn in der Herrenabteilung von Rübsamen finden sich
Mütter kaufen für Söhne, Ehefrauen für Ehemänner
auffallend viele Frauen mittleren Alters – ganz ohne Mann. So kauft eine, die etliche Boxershorts in Händen hält, für den 39-jährigen verheirateten Sohn die Unterwäsche und – wie sich im Gespräch herausstellt – auch sonst die ganze Kleidung. Die andere trägt einen beachtlichen Stapel mit Hemden, Pullovern und Unterwäsche an die Kasse – alles für den Ehemann. Aber auch viele Ehepaare sind in der gut besuchten Herrenabteilung am frühen Morgen unterwegs. Ulrich und Sarah Wohlfarth beispielsweise. Doch während er sichtlich begeistert in eine Weste nach der anderen schlüpft, mit kritischem Blick vor dem Spiegel steht, weiter zu den Hemden läuft, sich von Ursula Eichner eine Auswahl rosa- bis pinkfarbener Krawatten zeigen lässt, die alle perfekt zu seinem eleganten grauen Nadelstreifenanzug passen, steht seine Frau eher unbeteiligt daneben. „Ihm ist Kleidung erheblich wichtiger als mir“, sagt Sarah Wohlfarth. Im Schlabberlook würde ihr Mann nie herumlaufen. Es gibt ihn also, den modebewussten Mann? „Als modisch würde ich mich nicht bezeichnen“, schränkt der Patentanwalt ein, „eher als stilbewusst.“
Doch es gibt ihn natürlich, den modischen Mann. Immer öfter sogar, sagt Rübsamen-chef Marcus Vorwohlt, der mit seinem Team am Dienstag die Berliner Fashion Week besucht hat und alle Trends auf den Modemessen exakt verfolgt. Aber viele Männer muss man behutsam hinführen, sagt die erfahrene Verkäuferin Eichner. „Männer sind bei der Mode einfach nicht so nah dran wie Frauen“, erklärt André Bangert von der Fachzeitschrift
Textilwirtschaft. Pflegeprodukte, Schönheitsoperationen – das sind zwar alles keine reinen Frauenthemen mehr. „Aber der Abstand zu den Frauen bleibt“, sagt Bangert: „Es ist nicht so leicht, Mode an den Mann zu bekommen.“
Doch warum tun sich viele Männer mit Mode eigentlich so schwer? Für den Soziologen Professor Udo Thiedeke von der Universität Mainz ist eine Antwort in der Entwicklung der Gesellschaft zu finden: Über Jahrhunderte definierte sich der Mann vor allem über seine Arbeit und den damit erreichten sozialen Status. Eine Einstellung, die noch heute für viele gilt. Die Frau dagegen habe früh in der Mode einen Weg gefunden, weil es zunächst eine der wenigen Chancen war, sich gesellschaftlich zu positionieren. Die Folge: Nicht er ist nach dem neuesten Chic gekleidet, sondern sie, die Ehefrau – und die Töchter.
Amerikanische Soziologen stellten etwa für die amerikanische Gesellschaft der 50er und 60er Jahre fest, dass die modisch angezogene Frau dazu diente, zu zeigen, dass es der Gatte gesellschaftlich geschafft hat. Ein Phänomen, das für Thiedeke langsam verschwindet. Schließlich sind immer mehr Frauen berufstätig. Einen Nachhall der alten Muster finde sich heute noch in dem Beziehungsmodell, in dem sie sich zur Modespezialistin erklärt und ihm im beherrschenden oder betüddelnden Tonfall das Outfit diktiert.
Thiedeke, der sich seit Jahren mit dem Thema Mode auseinandersetzt, führt weitere Gründe an, warum viele Männer glauben, Mode getrost vernachlässigen zu können: „Sie definieren sich über andere Statussymbole und deren Modetrends.“Das Auto etwa. Reisen. Wohnungseinrichtung. Immer wichtiger werde die Technik – das neueste Smartphone, der neueste Fernseher. Aber auch ein anderer Aspekt darf nach seiner Auffassung nicht ganz außer acht gelassen werden: Mode gilt vielen als oberflächlicher Schnickschnack. Das eigene Haus, die berufliche Leistung, Geld – das sind erstrebenswerte Güter. Nicht das neueste Outfit. Auch die Religion, die Verbundenheit mit traditionellen Gemeinschaften prägen oft das
Auf was Mann achten sollte
Die Trends für Herbst 2017:
Silhouettenwandel André Ban gert von der Fachzeitschrift Textil wirtschaft sieht entspanntere Schnitte kommen. Weg also vom angesag ten schlanken Hosenschnitt hin zum bequemeren mit Bundfalten. Auch die Mäntel werden voluminöser. Das Sakko bleibe dagegen „knackig“und werde mit der weiteren Hose kombiniert. Schwer im Kommen seien auch Stretchstoffe. Jersey vor allem. Das führe dazu, dass bei spielsweise der Anzug elegant wirkt, aber viel bequemer ist. Die Funk tionalität spiele eine große Rolle.
Rollkragen und Bundfalten Die se Teile sind für Bangert ein Muss im Kleiderschrank: ein hochwertiger Rollkragenpullover (wieder sehr angesagt!). Ein dunkelblauer Woll blazer. Eine graue Tuchhose mit Bundfalten. Braune Blücher Schuhe mit kräftigen Sohlen. (huda) Verhalten. Wo Bescheidenheit gepredigt wird, fällt Extravaganz auf. Negativ natürlich. Wo alle sich gleichen wollen, wirkt der individuelle Kleidungsstil störend.
Doch warum sollte Mann sich überhaupt mit Mode befassen? „Mode wird wichtiger, Mann entkommt ihr nicht“, ist Soziologe Thiedeke überzeugt. In einer individualisierten Gesellschaft gewinne sie sogar an Macht. Althergebrachte Statussymbole verlieren seiner Meinung nach dagegen an Bedeutung. Die Mode aber biete jedem eine leicht umzusetzende Möglichkeit, zu zeigen, dass man Teil der Gesellschaft ist und wo man steht.
Aber ist es nicht nach wie vor so, dass Frauen bei der Partnersuche mehr auf den Status achten als auf das Äußere des Mannes? Darauf sollten sich Männer nach Ansicht von Stilberaterin Simone Hahnemann nicht verlassen. Die 52-Jährige aus Dinkelscherben beobachtet, dass gerade Männer im Alter von 40 aufwärts mehr auf ihr Äußeres achten. Sie erkennen, nicht selten nach einer gescheiterten Ehe, dass dies in der wachsenden Zahl von Singles stärker zähle. Kein Wunder also, dass Hahnemann mehr Männer in ihrem Kundenkreis registriert. Auch Gabriele Lindstedt von der
Männer definieren sich über andere Statussymbole
Volkshochschule Augsburg berichtet, dass die Nachfrage nach Kursen in Stilberatung für Männer steigt.
Doch auch Stilberaterin Hahnemann kann bestätigen: Viele Männer gehen anders an die Sache ran. Bedarfsorientierter. Erst wenn ein neues Hemd nötig ist, wird eines gekauft. Die Frau lässt sich im Laden inspirieren, geht spielerischer mit Mode um – hat aber auch mehr Möglichkeiten. Doch Verkäuferin Eichner weiß auch: Stehen die Herren erst einmal im Laden und finden Geschmack am neuen Look, lassen sie sich sehr wohl überzeugen.
Michael Vogler steht im Laden. Genauer gesagt vor einem Spiegel. Er streckt die Arme nach vorne. Mist. Die Jacke passt nicht. Also schlendert er weiter. Genüsslich. Das macht er oft, erzählt der 53-Jährige. Ist er modebewusst? „Ja, das bin ich schon. Ich schaue gern.“Doch was er in Herrengeschäften oft beobachtet, ärgert ihn: „Wie sich manche Männer bevormunden lassen“, was die sich von ihren Frauen oder Müttern gefallen lassen, das sei unglaublich. Verkäuferin Eichner erlebt viel. Sie erzählt aber nichts. Denn Diskretion gehört zu ihrer Arbeit. Und oft sind es ja die Frauen, die ihre Männer darin bestärken, modisch mutiger zu sein. Allerdings komme es auch vor, dass Männer tadellos eingekleidet stolz den Laden verlassen und am nächsten Tag wieder dastehen, weil es der Frau nicht gefallen hat. Das könnte Michael Vogler nicht passieren. Für ihn ist es wichtig, dass Kleidung gut aussieht und vor allem bequem ist. Nur eines hasst er: das Anprobieren. Ein Problem, das viele eint. Nicht umsonst hat sich Leonhard Schlegel so gefreut, dass er in kurzer Zeit gleich zwei Hosen ergattert hat.