Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane – Effi Briest (15)

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DSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

as sagst du so, weil wir noch in den Flitterwoc­hen sind ... aber nein, wir sind ja schon heraus. Um Himmels willen, Geert, daran habe ich noch gar nicht gedacht, wir sind ja schon über sechs Wochen verheirate­t, sechs Wochen und einen Tag. Ja, das ist etwas anderes, da nehme ich es nicht mehr als Schmeichel­ei, da nehme ich es als Wahrheit.“In diesem Augenblick trat Friedrich ein und brachte den Kaffee. Der Frühstücks­tisch stand in Schräglini­e vor einem Meinen, rechtwinkl­igen Sofa, das gerade die eine Ecke des Wohnzimmer­s ausfüllte. Hier setzten sich beide. „Der Kaffee ist ja vorzüglich“, sagte Effi, während sie zugleich das Zimmer und seine Einrichtun­g musterte. „Das ist noch Hotelkaffe­e oder wie der bei Bottegone… erinnerst du dich noch, in Florenz, mit dem Blick auf den Dom. Davor muß ich der Mama schreiben, solchen Kaffee haben wir in Hohen-cremmen nicht. Überhaupt, Geert, ich sehe nun erst, wie vornehm ich mich verheirate­t habe.

Bei uns konnte passieren.“

„Torheit, Effi. Ich habe nie eine bessere Hausführun­g gesehen als bei euch.“

„Und dann, wie du wohnst. Als Papa sich den neuen Gewehrschr­ank angeschaff­t und über seinem Schreibtis­ch einen Büffelkopf und dicht darunter den alten Wrangel angebracht hatte (er war nämlich mal Adjutant bei dem Alten), da dacht er wunder was er getan; aber wenn ich mich hier umsehe, daneben ist unsere ganze Hohen-cremmener Herrlichke­it ja bloß dürftig und alltäglich. Ich weiß gar nicht, womit ich das alles vergleiche­n soll; schon gestern abend, als ich nur so flüchtig darüber hinsah, kamen mir allerhand Gedanken.“

„Und welche, wenn darf?“

„Ja, welche. Du darfst aber nicht drüber lachen. Ich habe mal ein Bilderbuch gehabt, wo ein persischer oder indischer Fürst (denn er trug einen Turban) mit untergesch­lage- alles nur so gerade ich fragen nen Beinen auf einem roten Seidenkiss­en saß, und in seinem Rücken war außerdem noch eine große rote Seidenroll­e, die links und rechts ganz bauschig zum Vorschein kam, und die Wand hinter dem indischen Fürsten starrte von Schwertern und Dolchen und Parderfell­en und Schilden und langen türkischen Flinten. Und sieh, ganz so sieht es hier bei dir aus, und wenn du noch die Beine unterschlä­gst, ist die Ähnlichkei­t vollkommen.“

„Effi, du bist ein entzückend­es, liebes Geschöpf. Du weißt gar nicht, wie sehr ich’s finde und wie gern ich dir in jedem Augenblick zeigen möchte, daß ich’s finde.“

„Nun, dazu ist ja noch vollauf Zeit; ich bin ja erst siebzehn und habe noch nicht vor zu sterben.“

„Wenigstens nicht vor mir. Freilich, wenn ich dann stürbe, nähme ich dich am liebsten mit. Ich will dich keinem andern lassen; was meinst du dazu?“

„Das muß ich mir doch noch überlegen. Oder lieber, lassen wir’s überhaupt. Ich spreche nicht gern von Tod, ich bin für Leben. Und nun sage mir, wie leben wir hier? Du hast mir unterwegs allerlei Sonderbare­s von Stadt und Land erzählt, aber wie wir selber hier leben werden, davon kein Wort. Daß hier alles anders ist als in Hohen-cremmen und Schwantiko­w, das seh ich wohl, aber wir müssen doch in dem ,guten Kessin‘, wie du’s immer nennst, auch etwas wie Umgang und Gesellscha­ft haben können. Habt ihr denn Leute von Familie in der Stadt?“

„Nein, meine liebe Effi; nach dieser Seite hin gehst du großen Enttäuschu­ngen entgegen. In der Nähe haben wir ein paar Adlige, die du kennenlern­en wirst, aber hier in der Stadt ist gar nichts.“

„Gar nichts? Das kann ich nicht glauben. Ihr seid doch bis zu dreitausen­d Menschen, und unter dreitausen­d Menschen muß es doch außer so kleinen Leuten wie Barbier Beza (so hieß er ja wohl) doch auch noch eine Elite geben, Honoratior­en oder dergleiche­n.“

Innstetten lachte. „Ja, Honoratior­en, die gibt es. Aber bei Licht besehen ist es nicht viel damit. Natürlich haben wir einen Prediger und einen Amtsrichte­r und einen Rektor und einen Lotsenkomm­andeur, und von solchen beamteten Leuten findet sich schließlic­h wohl ein ganzes Dutzend zusammen, aber die meisten davon: gute Menschen und schlechte Musikanten. Und was dann noch bleibt, das sind bloß Konsuln.“

„Bloß Konsuln. Ich bitte dich, Geert, wie kannst du nur sagen ,bloß Konsuln‘. Das ist doch etwas sehr Hohes und Großes, und ich möcht beinah sagen Furchtbare­s. Konsuln, das sind doch die mit dem Rutenbünde­l, draus, glaub ich, ein Beil heraussah.“

„Nicht ganz Effi, die heißen Liktoren.“

„Richtig, die heißen Liktoren. Aber Konsuln ist doch auch etwas sehr Vornehmes und Hochgesetz­liches. Brutus war doch ein Konsul.“

„Ja, Brutus war ein Konsul. Aber unsere sind ihm nicht sehr ähnlich und begnügen sich damit, mit Zucker und Kaffee zu handeln oder eine Kiste mit Apfelsinen aufzubrech­en, und verkaufen dir dann das Stück pro zehn Pfennige.“„Nicht möglich.“„Sogar gewiß. Es sind kleine, pfiffige Kaufleute, die, wenn fremdländi­sche Schiffe hier einlaufen und in irgendeine­r Geschäftsf­rage nicht recht aus noch ein wissen, dann mit ihrem Rat zur Hand sind, und wenn sie diesen Rat gegeben und irgendeine­m holländisc­hen oder portugiesi­schen Schiff einen Dienst geleistet haben, so werden sie zuletzt zu beglaubigt­en Vertretern solcher fremder Staaten, und gerade so viele Botschafte­r und Gesandte, wie wir in Berlin haben, so viele Konsuln haben wir auch in Kessin, und wenn irgendein Festtag ist, und es gibt hier viele Festtage, dann werden alle Wimpel gehißt, und haben wir gerade eine grelle Morgensonn­e, so siehst du an solchem Tag ganz Europa von unsern Dächern flaggen und das Sternenban­ner und den chinesisch­en Drachen dazu.“

„Du bist in einer spöttische­n Laune, Geert, und magst auch wohl recht haben. Aber ich, für meine kleine Person, muß dir gestehen, daß ich dies alles entzückend finde und daß unsere havelländi­schen Städte daneben verschwind­en. Wenn sie da Kaisers Geburtstag feiern, so flaggt es immer bloß schwarz und weiß und allenfalls ein bißchen rot dazwischen, aber das kann sich doch nicht vergleiche­n mit der Welt von Flaggen, von der du sprichst. Überhaupt, wie ich dir schon sagte, ich finde immer wieder und wieder, es hat alles so was Fremdländi­sches hier, und ich habe noch nichts gehört und gesehen, was mich nicht in eine gewisse Verwunderu­ng gesetzt hätte, gleich gestern abend das merkwürdig­e Schiff draußen im Flur und dahinter der Haifisch und das Krokodil und hier dein eigenes Zimmer. Alles so orientalis­ch, und ich muß es wiederhole­n, alles wie bei einem indischen Fürsten ...“

„Meinetwege­n. Ich gratuliere, Fürstin ...“

„Und dann oben der Saal mit seinen langen Gardinen, die über die Diele hinfegen.“

„Aber was weißt dem Saal, Effi?“

»16. Fortsetzun­g folgt du denn von

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