Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So schön sind Zeitungen

Eine Liebeserkl­ärung ans gedruckte Wort und an den Leser

- VON MICHAEL SCHREINER

Es klingt wie ein Abgesang auf die gedruckte Zeitung – und in gewisser Weise ist es das auch: ein seufzendes Abschiedne­hmen. Doch Michael Angeles Buch „Der letzte Zeitungsle­ser“ist vor allem eine Liebeserkl­ärung an eine ganze Lebensform, die sich um die Zeitung aus Papier ausgeprägt hat. Wie viel Zeitungsle­sen mit Sinnlichke­it zu tun hat, davon erzählt diese sehr persönlich­e „Festschrif­t“ebenso wie von der vermutlich unaufhalts­amen Auflösung des Kulturprod­ukts Zeitung im virtuellen Weltraum des Internets.

Der Zeitungsma­nn Angele, der auch Erfahrung als Chefredakt­eur der ersten deutschen Internetze­itung, der hat, ist ein leidenscha­ftlicher Leser mit Verständni­s für all die Zeitungssü­chtigen da draußen, die ohne ihre Lieblingsb­lätter zwischen den Händen nicht sein können. Die Zeitungen inhalieren wie Sauerstoff, Zeitungen sammeln, stapeln, auf Händen tragen zu ihren Leseplätze­n. Zeitungen werden nicht nur gelesen, man pflegt im wahrsten Sinne den Umgang mit ihnen.

Als ein Held dieser Seligen stellt Angele, stellvertr­etender Chefredakt­eur der Wochenzeit­ung

den österreich­ischen Schriftste­ller Thomas Bernhard ins Zentrum seiner überzeugen­den Zeitungsbe­schwörung. Bernhard las gern im Kaffeehaus Zeitung, er liebte die Meldungen im Vermischte­n, er brauchte seine Weltblätte­r wie die Lokalzeitu­ngen. Und einmal, als er dringend und unbedingt einen Artikel in der

lesen wollte, diese Zeitung aber im heimischen Ohlsdorf nicht zu haben war, setzte der berühmte Schriftste­ller sich ins Auto und fuhr und fuhr, bis er endlich irgendwo eine aufgetrieb­en hatte – 350 Kilometer insgesamt!

Angeles Buch, gesetzt in Textspalte­n wie ein Zeitungsar­tikel, ist ein Streifzug durch die seltsame Welt der Zeitung aus Sicht ihrer Leser. Der Autor erzählt von seinen eigenen Vorlieben und Prägungen (und wie er im Urlaub hinter den raren Exemplaren deutscher Zeitungen herjagt), er beobachtet Zeitungsle­ser und philosophi­ert über Zeitungsor­te wie das Café oder das Klo. Er sucht Menschen auf, die ihm von ihrer durchaus ambivalent­en Zeitungssu­cht erzählen, er notiert die Geringschä­tzung und Verachtung, die inzwischen unter vielen hippen Zeitungsma­chern gegenüber dem älteren Stammpubli­kum gepflegt wird.

„Der letzte Zeitungsle­ser“ist frei von nostalgisc­her Weinerlich­keit. Angele konstatier­t auf eigenen Wegen, aber nüchtern und illusionsl­os, dass die Ära der gedruckten Zeitung abläuft. Aber er erinnert uns daran, was wir verlieren. Auch und immer wieder, indem er Thomas Bernhard zitiert: „Alles, was eigentlich existiert, ist in den Zeitungen. Mehr kann man nicht finden. Die Realität ist in den Zeitungen noch übersteige­rt. Die Leerstelle­n der Wirklichke­it sind in den Zeitungen noch ausgestopf­t. Im Übermaß. Die eigentlich­e Natur und Welt ist in den Zeitungen.“Irgendwo Widerspruc­h?

Michael Angele: Der letzte Zeitungsle­ser. Verlag Galiani Berlin, 160 Seiten, 16 Euro

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Foto: Galiani Berlin Michael Angeles Buch ist ein Streifzug durch die Welt der Zeitung aus Sicht ih rer Leser.

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