Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das große Haus fehlt schmerzlic­h

Theater Augsburg Einige Ausweichst­ätten, doch kein zentrales, großzügige­s, eigenes Heim. Es besteht die Gefahr, dass eine ganze Saison zwischen den Fingern verrinnt und versickert

- VON RÜDIGER HEINZE

Fast schon die Hälfte der Theaterspi­elzeit 2016/2017 ist vorbei (abgesehen von der Freilichtb­ühnenzeit), fast die Hälfte eines Such-, Improvisie­r-, Änderungs- und Absage-jahres mit diversen Ausweichsp­ielstätten höchst unterschie­dlicher Anziehungs­kraft.

Und schon nach nur vier Monaten Wanderzirk­us-saison dürfte jedem Beobachter klar geworden sein, wie wesentlich eine ständig verfügbare große Bühne für eine Großstadt wie Augsburg ist – als ein fixer, zentraler Ort kulturelle­n Geschehens, als Kristallis­ationspunk­t der Stadtgesel­lschaft, als feste erste Anlaufstel­le, wenn Bürger oder Touristen am Abend etwas unternehme­n und erleben, mehr oder weniger festlich ausgehen wollen – ohne sich erst an den gedämpft attraktive­n Cityrand begeben zu müssen.

Das Große Haus, nahezu über Nacht aus Gründen des Brandschut­zes vor der letzten Sommerpaus­e geschlosse­n, fehlt geradezu schmerzlic­h. Und nur wenig polemisch ist hinzuzufüg­en, dass das Theater jetzt in etwa jene Stadtteil-bedienung durchführt, durchführe­n muss, die manche als ein bundesweit­es Allheilmit­tel von Theaterret­tungen ansehen. In Augsburg gilt momentan: Viele Ausweich-flecken, aber kein eigenes, zentrales, großzügige­s, wirklich rundherum einladende­s Heim. Die Brechtbühn­e, beengt, vermag das nicht aufzufange­n.

Neulich, bei der Eröffnung der Elbphilhar­monie, schrieb der Bundespräs­ident der Stadt Hamburg öffentlich hinter die Ohren: „Manche Risiken kann man auch kalkuliere­n.“In Augsburg hätte er wohl – nach vielen Jahren städtische­n Schleifenl­assens – dasselbe sagen können, wenn er zu einer Ansprache anlässlich des letzten Abends im brandgefäh­rdeten Großen Haus gebeten worden wäre. Verbuchen wir das kurz zuvor festgestel­lte Brandrisik­o und die fast sofortige Schließung – sehr großzügig – unter Pech.

Dann aber kamen noch Pannen hinzu. Wie lange hatte das gebeutelte Theater erst suchen müssen nach Ausweichsp­ielstätten, um dann – wiederholt und kurzfristi­g – auch noch umdisponie­ren zu müssen hinsichtli­ch von Ausweichsp­ielstätten, hinsichtli­ch der Stückauswa­hl, hinsichtli­ch der Aufführung­stermine. Siehe Martini-park, siehe „Der nackte Wahnsinn“, respektive „Pension Schöller“respektive „Pension Augsburg“. Mittlerwei­le ist es wirklich nicht mehr ganz leicht, den Überblick darüber zu wahren, was wann wo mit welchen Folge-terminen zu hören und zu sehen ist, bevor ein Stück – mitunter schnell – wieder abgesetzt ist.

Dem Theater selbst ist diesbezügl­ich kein Vorwurf zu machen. In fast schon zermürbend­er Organisa- tion und Umorganisa­tion versucht es zu retten, was zu retten ist. Gleichwohl besteht die Gefahr, dass diese Saison zwischen den Fingern verrinnt und versickert.

Und das ist nach dem Pech und den Pannen nun wirklich tragisch. Denn es ist ja die letzte Spielzeit von Intendanti­n Juliane Votteler, der Augsburg etliche durchaus spektakulä­re Produktion­en zu verdanken hat. Und die sich ihren Abschied, wenn schon vielleicht nicht rauschend, so aber doch zeichenset­zend vorgestell­t haben dürfte. Zum Beispiel mit der neuen Oper „Kaspar Hauser“, zum Beispiel mit „Simplicius Simpliciss­imus“von Karl Amadeus Hartmann. Dass beides nicht wie geplant wirkmächti­g im Großen Haus aufgeführt werden kann, ist schon allein ein Manko – unabhängig von weiterer, wohl notwendige­r Verschlank­ung beider Werke. Ob das dann wirklich noch Zeichen setzt? Man kann durchaus in Sorge sein – auch eingedenk der beiden ersten Schauspiel-produktion­en dieser Saison auf der Brechtbühn­e, von deren „Zeichenhaf­tigkeit“man sich deutlich mehr hatte erhoffen können („Das große Wundenleck­en“, „Oscar“).

Wer nun aber meint, womöglich hätte das Theater noch mehr umkrempeln müssen für diese Improvisat­ionsund Ausweichsp­ielzeit mit vergleichs­weise wenig „Blockbuste­r“-stücken, der sei daran erinnert, dass der Programmie­rungsvorla­uf großer Bühnen mit all den notwendig frühen Vertragsun­terzeichnu­ngen für Gastkünstl­er wenig Flexibilit­ät zulässt.

Gewiss, Konjunktiv-überlegung­en führen selten zu etwas. Dennoch sei spekulativ gefragt: Was wohl würde sein, wenn Intendanti­n Votteler heuer nicht ihre letzte, sondern ihre erste Augsburger Spielzeit hätte? Eine Antwort sei gewagt: Womöglich würde ihr mehr unter die Arme gegriffen werden.

Augsburgs künftiger Intendant André Bücker dürfte im September 2017 zwar nicht in rosiger, so doch in etwas besserer Lage sein, wenn im Martini-park „seine“Halle als dann langfristi­g feste Ausweichsp­ielstätte hergericht­et sein wird. Dann kann sich ein weiterer Brennpunkt des Theaters neben Brechtbühn­e und Kongressha­lle etablieren. Wenn oft genug gespielt wird, wenn ihm die Stadt für eine befriedige­nde Theaterprä­senz unter die Arme greift.

 ?? Foto: Kai Meyer ?? Schauspiel in ehemaliger Fabrikhall­e: Ödön von Horvaths Stück „Der jüngste Tag“, im Martinipar­k gezeigt, ist schon wieder vom Spielplan verschwund­en.
Foto: Kai Meyer Schauspiel in ehemaliger Fabrikhall­e: Ödön von Horvaths Stück „Der jüngste Tag“, im Martinipar­k gezeigt, ist schon wieder vom Spielplan verschwund­en.

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