Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Betrifft: Schneeräumen
Schnee fällt – und hinter dem Vorhang aus weißen Flocken, die schweben und segeln, öffnet sich Raum für eine neue Wahrnehmung der Welt. Schnee bringt Stille, sagt man, er dämpft die Hektik unseres Alltags und dimmt das Dauerdröhnen der Zivilisation. Schnee verschluckt die unschönen Nebengeräusche unseres schnell getakteten Daseins.
So weit Poesie.
Die Wahrheit ist: Wir haben ein funktionierendes Gemeinwesen. Schnee fällt – und dann setzt in der Praxis eine Kakofonie von Gekratze und Geschabe, Gepolter und Geschiebe ein, die aufs Gemüt schlägt. Stille? Was? Kaum sind zwei Zentimeter Neuschnee gefallen, zieht die Menschheit in die Schlacht gegen den Eindringling Schnee. Der Eifer, mit dem da herumgefuhrwerkt wird, ist mit der allgemeinen Räumpflicht und der allgegenwärtigen Angst vor Haftung allein nicht zu erklären. die Theorie und die Wie erwachsene Männer von Hausmeisterdiensten auf kleinen wendigen Allzweckminitraktoren, denen eine Schneeschaufel vorgeschnallt ist wie der Maulkorb einem Hund, aufgedreht herumrasen und kratzend die dünne Neuschneedecke attackieren und immer wieder dagegen anrangieren, das ist ein geräuschvolles Schauspiel nicht minder wie jenes, das zuständige Privatleute vor ihren Häusern aufführen. Der Lärm dieser beflissenen Räumkommandos verfolgt den naiven, verantwortungslosen Stadtspaziergänger, der gerade noch über die helle Zartheit der Seitenstraße im Schnee schlittert und sinniert, durch die Mütze bis ganz tief ins Ohr. Es gibt keine Sonntagsruhe, alles nur Illusion! Ein wenig ist das mit dem Schneeräumen wohl so wie mit dem Nordic Walking: Es sollen nur ja alle hören, wie aktiv man ist, weshalb den Schaufeln wie den Stöcken mit Fleiß Schleif- und Scharrgeräusche entlockt werden.