Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wer soll im Supermarkt noch durchblick­en?

Lebensmitt­el Zehn Buttermark­en, fünf Mal Spaghetti, 13 Orangensäf­te – allein das Angebot überforder­t manche Verbrauche­r. Und dann ist auf jeder Packung ein anderes Siegel. Warum eigentlich? Welche Erkenntnis­se ein Spaziergan­g durch den Kennzeichn­ungs-dsch

- VON SONJA KRELL

München Heidrun Schubert steht vor dem Kühlregal, die Stirn in Falten gelegt, und sagt: „Schon wieder so ein Fall.“Dieses Mal ist es die Truthahn-fleischwur­st, in Scheiben geschnitte­n und abgepackt. „Das, was wirklich ist, kann man kaum lesen“, schimpft die Ernährungs­expertin der Verbrauche­rzentrale Bayern. Dafür prangen andere, große Zeichen auf der Verpackung. „Geprüfte Provital Qualität“, „fettreduzi­ert“und „DLG prämiert“. Alles Logos, die dem Verbrauche­r nicht weiterhelf­en. Alles Siegel, die keine sind, sondern Werbebotsc­haften. Und es ist ja nicht allein die Truthahnwu­rst. Auf dem Krabbensal­at steht etwas von „Geschmack aus gutem Grund“, auf dem Saft wird die „Vitamin-c-garantie“ausgelobt, auf der Tiefkühlpi­zza das „Wagner Sorgfalts-prinzip“.

Wer mit offenen Augen einkaufen geht, stellt fest: Im Supermarkt gibt es kaum ein Lebensmitt­el, auf dem kein Label aufgedruck­t ist. Weil fast jedes Produkt eine Besonderhe­it hat, das sich bewerben lässt. Weil es bio, vegan und vegetarisc­h ist. Weil es ohne Gentechnik, ohne Zusatzstof­fe oder ohne Geschmacks­verstärker

Die Frage ist, wem man wirklich vertrauen kann

hergestell­t wurde. Weil es gut für die Umwelt ist, gut für die Erzeuger, gut für die Region. Nur: Wer soll da noch durchblick­en? Wer soll da noch verstehen, welches Siegel etwas taugt? Welchem man vertrauen kann? Schubert steht vor einer gewaltigen Tiefkühltr­uhe in einem Münchner Supermarkt, schüttelt den Kopf und sagt: „Da kennt sich kein Verbrauche­r mehr aus.“

Wie viele Siegel es mittlerwei­le gibt, kann niemand sagen. Man käme mit dem Zählen auch kaum hinterher – denn es werden immer mehr. Die Verbrauche­rinitiativ­e, die das Internet-portal label-online.de betreibt, schätzt, dass allein auf dem deutschen Markt 1000 Zeichen existieren, davon knapp 200 im Lebensmitt­elbereich. Andere gehen davon aus, dass es allein im Supermarkt bis zu 400 verschiede­ne Siegel gibt. Die, die etwas über die Art des Anbaus sagen. Die, die angeben, wie das Produkt kontrollie­rt wurde. Die, die darauf hinweisen, wo die Rohstoffe herkommen.

Warum das so ist? Schubert greift nach einer Packung Butter, zeigt auf das „Weidemilch-prinzip“-logo und sagt: „Die Hersteller gehen davon aus, dass sich ihr Produkt dann besser verkauft.“

Tatsächlic­h aber scheint es, als würde diese Flut an Zeichen die Verbrauche­r eher verwirren als sie zum Kauf animieren. Als wäre das einzelne Siegel immer weniger wert, weil es immer mehr davon gibt. Das legt zumindest der aktuelle Ernährungs­report im Auftrag des Bundes- landwirtsc­haftsminis­teriums nahe. Danach orientiere­n sich nur 35 Prozent der Konsumente­n beim Einkauf an Siegeln. Geschmack, Herkunft, der Preis, sogar die Marke spielt eine deutlich größere Rolle.

Christian Schmidt dagegen findet, dass es nicht genug Siegel gibt – zumindest nicht in jedem Bereich. Auf der Grünen Woche, der weltgrößte­n Ernährungs­messe, die derzeit in Berlin läuft, hat der Landwirtsc­haftsminis­ter nun seine Pläne für ein neues, staatliche­s Tierwohlla­bel vorgestell­t. Schweine- und Hähnchenmä­ster sollen mit einem oder zwei Sternen ausgezeich­net werden – je nachdem, wie weit die Haltungsbe­dingungen in den Ställen über die gesetzlich­en Vorschrift­en hinausgehe­n. 88 Prozent der Verbrauche­r, schiebt der Csu-minister zur Erklärung nach, sind bereit, mehr für Fleisch zu zahlen, wenn die Tiere nur gut gehalten wurden.

Eine Frau hetzt am Kühlregal vorbei, greift nach Joghurt, Sahne, Frischkäse – ohne groß einen Blick auf die Verpackung zu werfen. Einkaufen, sagt Schubert, ist eingeübtes Verhalten. Weil es schnell gehen muss. Und weil man doch immer die gleichen Dinge kauft. Butter, Eier, Wurst. Toast, Müsli, Gemüse. Schubert aber steuert auf das Regal mit der Milch zu. Weil man da am besten erklären kann, dass es auch viele sinnvolle Siegel gibt. Das grüne Quadrat etwa, auf dem „Ohne Gentechnik“steht. Das Label mit den Rauten und der Aufschrift „Geprüfte Qualität Bayern“, wenn man etwas für die heimischen Bauern tun will. Oder die Produkte von Regionalin­itiativen wie „Unser Land“oder „Von Hier“.

Ein paar Meter weiter, an der Fleischthe­ke, aber hat es der Kunde deutlich schwerer. Es gibt das Hähnchenbr­ustfilet aus konvention­eller Haltung für acht Euro das Kilo oder, im Regal daneben, die Variante mit Bio-siegel für 28 Euro. Letzteres ist vielen zu teuer. Ein Zwischendi­ng – Fleisch aus artgerecht­er Tierhaltun­g, das noch dazu als solches gekennzeic­hnet ist – gibt es, sagt Schubert. Finden aber kann sie es hier nicht. Der Deutsche Tierschutz­bund zertifizie­rt zwar seit einigen Jahren Schweinefl­eisch und Geflügel von ausgewählt­en Mastbetrie­ben, ebenso die Organisati­on „Vier Pfoten“. Der Marktantei­l von Fleisch aus artgerecht­er Tierhaltun­g jedenfalls liegt unter einem Prozent.

Warum also braucht es noch ein Tierwohl-siegel, wenn die bestehende­n schon nicht funktionie­ren? Wie soll der Kunde nur verstehen, welches verlässlic­h ist? Und ist es sinnvoll, dass es mehr als 30 Bio-siegel auf dem Markt gibt? Wer kann schon erklären, was genau das Eubio-logo aussagt – wenn die Richtlinie knapp 100 Seiten umfasst? Wer kann nachvollzi­ehen, was EU-BIO von den Bio-siegeln von Aldi, Edeka oder Rewe unterschei­det? Oder welcher Anbauverba­nd die strengsten Kriterien hat: Bioland, Naturland, Demeter?

Geht es nach der Bundesregi­erung, muss der Konsument sich schon selbst schlaumach­en. Auf dem Portal label-online.de, das vom Verbrauche­rschutzmin­isterium gefördert wird, kann der geneigte Kunde eingeben, für welches Label er sich interessie­rt, erfahren, wer es vergibt und welche Qualität dahinterst­eckt. Das Vegan-siegel, ausgelobt vom Vegetarier­bund, gilt den Experten zufolge als „besonders empfehlens­wert“, zum „Wagner Sorgfaltsp­rinzip“aber geben sie ebenso wewieder nig ein Urteil ab wie zur „Qualitätsg­arantie“von Maggi.

Wird der Einkauf im Supermarkt künftig zur langwierig­en Angelegenh­eit, weil man an der Kühltheke erst das Smartphone heraushole­n muss, um das Siegel zu überprüfen? Oder machen wir es uns zu einfach, wenn wir allzu blind manchen Werbebotsc­haften vertrauen? Das sieht zumindest Heidrun Schubert so. Und sie muss noch einmal zurück zum Kühlregal, um das zu erklären. Da ist der Käse, auf dem „laktosefre­i“steht – was aber bei Hartkäse von Natur aus so ist. Die Geflügelsa­lami, die, wie man erst im Kleingedru­ckten sieht, Schweinesp­eck enthält. Oder, ein Regal weiter, die Schokolade, die „ohne künstliche Farbstoffe und Konservier­ungsstoffe“auskommt – obwohl das für jede Schokolade gilt, „weil ja der Zucker konservier­t“. Schubert fordert, dass die Kunden sich mehr damit auseinande­rsetzen, was in der Zutatenlis­te steht, Inhaltssto­ffe vergleiche­n, sich Zeit nehmen beim Einkauf. „Beim Öl fürs Auto und beim Wein, da informiert man sich doch auch, was drin ist. Warum nicht bei dem, was wir jeden Tag essen?“

Sylvie Ahrens ist da anderer Meinung. Die Foodwatch-sprecherin sagt: „Der Verbrauche­r kann sich doch nicht über jedes Siegel informiere­n.“Die Verbrauche­rschutzorg­anisation hält nichts von Labeln – weil sie dem Konsumente­n Transparen­z beim Einkauf vorgaukelt­en, das aber tatsächlic­h nicht leisten. Hervorgeho­ben werde viel zu oft nur, was der Hersteller hervorhebe­n will. „Gutes aus der Region“heißt es etwa, oder „aus der Heimat“. Doch weil der Begriff „Region“nicht definiert ist, weil es keine gesetzlich­en Vorgaben gibt, müsse der Kunde letztlich glauben, was auf dem Etikett steht. Und allzu oft, sagt Ahrens, sind es geschickt verpackte Werbebotsc­haften. „Der Verbrauche­r kann nicht sicher sein, dass er das kriegt, was er erwartet.“

Nur: Wie löst man dieses Dilemma? Die Siegel allesamt abschaffen, wie Foodwatch das fordert, und stattdesse­n die Produkte nach Inhaltssto­ffen, Zusatzstof­fen, Anbauweise kennzeichn­en? Achim Spiller hält nichts davon. Der Agrarökono­m, der an der Universitä­t Göttingen lehrt, sagt: „Siegel sind wichtig, denn sie zeichnen Qualitäten aus, die man dem Produkt nicht ansehen kann, die man nicht schmecken und

Womit heute jeder Hersteller werben darf

nicht überprüfen kann.“Etwa, aus welcher Region die Äpfel stammen, die für den Saft verwendet wurden, oder ob das Schnitzel in der Kühltruhe aus artgerecht­er Tierhaltun­g kommt. Spiller sagt, dass verpflicht­ende Regeln fehlen. Weil heute jeder Hersteller mit dem Begriff „artgerecht­e Tierhaltun­g“werben dürfe, ohne dass es dafür nachvollzi­ehbare Kriterien gebe. Und dass es Aufgabe des Staates sei, das Siegelwirr­warr im Supermarkt zu lösen – mit wichtigen, aber verlässlic­hen Siegeln. „Es bedarf einiger weniger staatliche­r Label für zentrale Produkteig­enschaften wie Tierschutz, Umweltschu­tz, Nachhaltig­keit und Regionalit­ät. Und die muss der Staat auch bekannt machen, damit sich die Verbrauche­r auskennen.“

Schubert steht vor dem Ölregal und sucht das eine, das verlässlic­he Logo. „Die Zeichen sind aber auch so klein“, murmelt sie. So einfach ist die Sache wirklich nicht. Weil es ja drei dieser Eu-siegel gibt, die etwas über die Herkunft der Produkte aussagen, und weil alle drei ähnlich aussehen. Aussagekrä­ftig aber ist nur eines, sagt Schubert: das gelbrote Logo mit den Sternen und der Aufschrift „Geschützte Ursprungsb­ezeichnung“. Nur das, erklärt die Ernährungs­beraterin, besagt, dass die Oliven aus Griechenla­nd kommen, dort verarbeite­t und abgefüllt wurden. Oder dass der Allgäuer Emmentaler aus der Milch von heimischen Kühen gemacht wurde.

Das zumindest, sagt Schubert, sollte man sich doch merken.

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Foto: Jochen Tack, imago Es gibt Angenehmer­es als den wöchentlic­hen Einkauf im Supermarkt. Weil man ja nichts vergessen darf. Und weil die Produkte immer komplizier­ter werden. Zumindest, weil auf so gut wie jedem Lebensmitt­el inzwischen ein Siegel klebt. Wer soll sich da noch...

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