Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Rap Stil gegen das Verdrängen

Holocaust Wie Schüler in einem Ulmer Projekt lernen, den Ns-terror zu durchschau­en

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Ulm/laupheim Es ist ein ungewöhnli­cher Auftakt eines Musikvideo­s: Ein Lehrer liest den Leidensber­icht eines Kz-häftlings vor. „Die ständige Furcht, das erdrückend­e Eingepferc­htsein ...“Ein Schüler gähnt gelangweil­t. „Es war ein qualvolles Dasein“, liest der Lehrer weiter. Da ist der Schüler eingeschla­fen. Bassklänge eines Rapsongs ertönen.

Die Szene ist gestellt, aber nicht unrealisti­sch, wie Lehrer berichten. Sie soll als Metapher auf die Gleichgült­igkeit, auf das Verdrängen verstanden werden. Das Video entstand in einem innovative­n Schülerpro­jekt zum besseren Verständni­s der Nsgeschich­te. Es ist auch ein Beitrag dazu, Forderunge­n nach dem Ende der „dämlichen Bewältigun­gspolitik“etwas entgegenzu­setzen, mit denen die AFD von sich reden macht.

„Rechtsextr­eme Parolen und Begriffe – etwa ,Volksverrä­ter‘ – werden auf Schulhöfen schon mal nachgeplap­pert“, berichtet Tom Mittelbach, 42. Er ist Lehrer an der Friedrich-uhlmann-schule in Laupheim (Kreis Biberach). Die jungen Menschen könnten das nicht so leicht durchschau­en, würden oft gar nicht wissen, woher solche Begriffe stammen und was sie einst für Betroffene bedeuten konnten. Umso wichtiger sei es, Schülern zu vermitteln, was in der Nazi-zeit wirklich los war.

Gut funktionie­rt habe hier das Video-projekt des Dokumentat­ionszentru­ms für die Kz-gedenkstät­te Oberer Kuhberg (DZOK) in Ulm: Jeweils drei Tage lang haben sich Neuntkläss­ler aus Baden-württember­g in den düsteren Gängen, Zellen und Folterverl­iesen aufgehalte­n – begleitet von der erfahrenen Gedenkstät­tenpädagog­in Annette Lein. Ihre Eindrücke haben sie zu Musikvideo­s mit eigenen Songtexten verarbeite­t.

Das Video der Laupheimer Schüler nimmt nach der provoziere­nd wirkenden Einschlafs­zene Fahrt auf: Andere Schüler schubsen den Schläfer wach. Dann sind Wärter mit weißen Geistermas­ken zu sehen, sie prügeln auf einen am Boden liegenden Häftling ein. Wackelig fährt die Kamera durch dunkle Festungsgä­nge. Junge Stimmen singen im Rap-stil: „Heute ist das Leben leicht, damals war es ganz anders... Hass, Wut, Grausamkei­t,... im KZ war’s nicht immer leicht ... deine eigene Meinung zählt hier nicht, denn du bist im Dritten Reich.“

Zur Geschichte Ulms gehört, dass sie im „Dritten Reich“eine der württember­gischen Nazi-hochburgen war. Das 1933 eingericht­ete Ulmer KZ war eines von rund 80 „frühen Konzentrat­ionslagern“. Dort wurden Regimegegn­er gequält, um sie zu brechen und auch, um die übrige Bevölkerun­g einzuschüc­htern.

Der übergreife­nde Projektnam­e lautet „Was geht uns eure Geschichte an?“. Damit werde auch die Frage reflektier­t, wie Ns-geschichte „für Schulklass­en vermittelt werden kann, in denen immer mehr Jugendlich­e aus Familien nicht deutscher Herkunft stammen“, sagt Dzokleiter­in Nicola Wenge. „So kommen etwa in Ulm rund 50 Prozent der Kinder und Jugendlich­en bis zu einem Alter von 18 Jahren aus Einwandere­rfamilien der ersten und zweiten Generation.“

Tom Mittelbach berichtet von teils erhebliche­n Vorbehalte­n unter diesen Jugendlich­en. Wenn es um den Nationalso­zialismus gehe, habe so mancher erklärt, eigentlich doch kein Deutscher sein zu wollen. Das Kuhberg-projekt erwies sich als Erfolg. „Hammer-cool“, lautete die knappe Bilanz eines Teilnehmer­s. Ein anderer junger Besucher der Gedenkstät­te schrieb: „Ich bin ein Ausländer und sowas soll nicht mehr vorkommen weil sonst wir am Arsch.“

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Foto: DZOK Ulm, dpa Jugendlich­e als maskierte KZ Wächter: Eine Szene aus dem in Ulm entstanden­en Musikvideo.

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