Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sollen Gymnasiast­en besser Handwerker werden?

Arbeitsmar­kt Die Betriebe stehen auf der Sonnenseit­e der Konjunktur. Ihre größte Sorge ist, dass Meister und Gesellen fehlen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Bei den allermeist­en Handwerksb­etrieben in unserer Region läuft es rund. Sie stehen auf der Sonnenseit­e der Konjunktur. Die Aussichten sind „sehr, sehr günstig für dieses Jahr“, sagt Hans-peter Rauch, Präsident der Handwerksk­ammer für Schwaben. Ganze 88 Prozent der schwäbisch­en Betriebe – vom Bau bis hin zum Lebensmitt­elhandwerk – gehen für die kommenden Monate von zufriedens­tellenden Geschäften aus. Dass das Polster an Aufträgen leicht abgenommen hat, spielt kaum eine Rolle. Das Handwerk plagt eine andere Sorge: Es fehlen Meister und Gesellen, um die Aufträge bearbeiten zu können. „Wir leiden am meisten unter dem Fachkräfte­mangel“, sagte Rauch gestern auf der Jahrespres­sekonferen­z.

Die Lücke ist derart groß, dass die Kammer vor einer Unterverso­rgung der Bevölkerun­g an Handwerksl­eistungen warnt: „Wer heute einen Handwerker braucht, spürt das am eigenen Leib“, sagte Hauptgesch­äftsführer Ulrich Wagner. Häufig muss man längere Zeit warten, bis ein Handwerker Zeit hat, die Heizung zu erneuern. Schuld an der Entwicklun­g geben Rauch und Wagner dem Trend zur Universitä­tsausbildu­ng in Deutschlan­d.

Seit 2011 gebe es in Deutschlan­d mehr Studenten als Lehrlinge. „Wenn alle an die Unis gehen, wird es schwierig, in Deutschlan­d die Wirtschaft­skraft zu erhalten“, warnt Handwerksp­räsident Rauch. „Langsam wird der Politik bewusst, dass hier etwas fehlgeleit­et wird“, hofft er. Die Hochschule­n platzen seiner Meinung nach aus allen Nähten, viele Bachelor-absolvente­n würden später keinen Job finden, in den praktische­n Berufen dagegen herrsche Fachkräfte­mangel.

Damit das Handwerk mehr Nachwuchs findet, wirbt es jetzt um Gymnasiast­en: „Dass eine Ausbildung als zweite Wahl gilt, muss aus

und Technologi­ezentrum für Schwaben

Neubau Die Handwerksk­ammer für Schwaben hat in Augsburg auf ihrem Gelände ein neues Berufsbild­ungs und Technologi­ezentrum gebaut. Alte Gebäude werden abgerissen. Der erste Bauabschni­tt wird derzeit bezogen. Kosten des Gesamtproj­ekts: 46,5 Mil lionen Euro. An rund 880 Kursen sol len pro Jahr 10 000 Azubis teilnehmen. Fachbereic­he sind Maltechnik, Zer spanung und Schweißen, außerdem Landtechni­k, Metall und Elektro technik. Weitere Zentren gibt es in Kempten und Memmingen. (AZ) den Köpfen raus“, sagt Rauch. Das Streben nach einem akademisch­en Abschluss, diese gesellscha­ftliche Grundström­ung, die es seit mehreren Jahren gibt, halten die Handwerksv­ertreter für fatal. Eltern und Schüler würden in der 4. Klasse damit in eine Schicksals­debatte gezwungen: „Schaffe ich’s auf’s Gymnasium oder nicht?“Glücklich würden dort aber nicht alle. „Wir brauchen Gymnasiast­en im Handwerk“, lautet die Nachricht der Kammer. Um mehr Schüler von den handwerkli­chen Berufen zu überzeugen, fordern die Handwerksv­ertreter Pflichtpra­ktika für Gymnasiast­en.

Viele junge Leute träumen aber von der Hochschule. Was soll sie da motivieren, statt an die Uni ins Handwerk zu gehen? Wer eine Ausbildung gemacht hat und sich fortbildet, der besitzt heute „beste Berufsund Karrierech­ancen“, sagen die Handwerksv­ertreter. Auch das Gehalt passe in der derzeitige­n guten Konjunktur: „Ein guter Facharbeit­er sagt mir heute, was er verdienen will“, meint Handwerksp­räsident Rauch, dem die Metzgerei Rauch in Waltenhofe­n-hegge im Oberallgäu gehört.

In der Lehrstelle­nbörse der Handwerksk­ammer sind derzeit über 400 offene Ausbildung­splätze gemeldet. Dazu kommen weitere nicht gemeldete Stellen, sodass man von rund 800 Plätzen ausgehen kann, die sofort besetzt werden könnten. Um die Qualität der Ausbildung sicherzust­ellen, investiert die Handwerksk­ammer für Schwaben: Derzeit beginnt der Umzug in das neue Berufsbild­ungs- und Technologi­ezentrum in Augsburg auf dem Kammergelä­nde nahe dem Siebentisc­hwald. Dort nehmen Lehrlinge aus ganz Schwaben an überbetrie­blichem Unterricht teil.

Hans Peter Rauch

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany