Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Sollen Gymnasiasten besser Handwerker werden?
Arbeitsmarkt Die Betriebe stehen auf der Sonnenseite der Konjunktur. Ihre größte Sorge ist, dass Meister und Gesellen fehlen
Augsburg Bei den allermeisten Handwerksbetrieben in unserer Region läuft es rund. Sie stehen auf der Sonnenseite der Konjunktur. Die Aussichten sind „sehr, sehr günstig für dieses Jahr“, sagt Hans-peter Rauch, Präsident der Handwerkskammer für Schwaben. Ganze 88 Prozent der schwäbischen Betriebe – vom Bau bis hin zum Lebensmittelhandwerk – gehen für die kommenden Monate von zufriedenstellenden Geschäften aus. Dass das Polster an Aufträgen leicht abgenommen hat, spielt kaum eine Rolle. Das Handwerk plagt eine andere Sorge: Es fehlen Meister und Gesellen, um die Aufträge bearbeiten zu können. „Wir leiden am meisten unter dem Fachkräftemangel“, sagte Rauch gestern auf der Jahrespressekonferenz.
Die Lücke ist derart groß, dass die Kammer vor einer Unterversorgung der Bevölkerung an Handwerksleistungen warnt: „Wer heute einen Handwerker braucht, spürt das am eigenen Leib“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Wagner. Häufig muss man längere Zeit warten, bis ein Handwerker Zeit hat, die Heizung zu erneuern. Schuld an der Entwicklung geben Rauch und Wagner dem Trend zur Universitätsausbildung in Deutschland.
Seit 2011 gebe es in Deutschland mehr Studenten als Lehrlinge. „Wenn alle an die Unis gehen, wird es schwierig, in Deutschland die Wirtschaftskraft zu erhalten“, warnt Handwerkspräsident Rauch. „Langsam wird der Politik bewusst, dass hier etwas fehlgeleitet wird“, hofft er. Die Hochschulen platzen seiner Meinung nach aus allen Nähten, viele Bachelor-absolventen würden später keinen Job finden, in den praktischen Berufen dagegen herrsche Fachkräftemangel.
Damit das Handwerk mehr Nachwuchs findet, wirbt es jetzt um Gymnasiasten: „Dass eine Ausbildung als zweite Wahl gilt, muss aus
und Technologiezentrum für Schwaben
Neubau Die Handwerkskammer für Schwaben hat in Augsburg auf ihrem Gelände ein neues Berufsbildungs und Technologiezentrum gebaut. Alte Gebäude werden abgerissen. Der erste Bauabschnitt wird derzeit bezogen. Kosten des Gesamtprojekts: 46,5 Mil lionen Euro. An rund 880 Kursen sol len pro Jahr 10 000 Azubis teilnehmen. Fachbereiche sind Maltechnik, Zer spanung und Schweißen, außerdem Landtechnik, Metall und Elektro technik. Weitere Zentren gibt es in Kempten und Memmingen. (AZ) den Köpfen raus“, sagt Rauch. Das Streben nach einem akademischen Abschluss, diese gesellschaftliche Grundströmung, die es seit mehreren Jahren gibt, halten die Handwerksvertreter für fatal. Eltern und Schüler würden in der 4. Klasse damit in eine Schicksalsdebatte gezwungen: „Schaffe ich’s auf’s Gymnasium oder nicht?“Glücklich würden dort aber nicht alle. „Wir brauchen Gymnasiasten im Handwerk“, lautet die Nachricht der Kammer. Um mehr Schüler von den handwerklichen Berufen zu überzeugen, fordern die Handwerksvertreter Pflichtpraktika für Gymnasiasten.
Viele junge Leute träumen aber von der Hochschule. Was soll sie da motivieren, statt an die Uni ins Handwerk zu gehen? Wer eine Ausbildung gemacht hat und sich fortbildet, der besitzt heute „beste Berufsund Karrierechancen“, sagen die Handwerksvertreter. Auch das Gehalt passe in der derzeitigen guten Konjunktur: „Ein guter Facharbeiter sagt mir heute, was er verdienen will“, meint Handwerkspräsident Rauch, dem die Metzgerei Rauch in Waltenhofen-hegge im Oberallgäu gehört.
In der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer sind derzeit über 400 offene Ausbildungsplätze gemeldet. Dazu kommen weitere nicht gemeldete Stellen, sodass man von rund 800 Plätzen ausgehen kann, die sofort besetzt werden könnten. Um die Qualität der Ausbildung sicherzustellen, investiert die Handwerkskammer für Schwaben: Derzeit beginnt der Umzug in das neue Berufsbildungs- und Technologiezentrum in Augsburg auf dem Kammergelände nahe dem Siebentischwald. Dort nehmen Lehrlinge aus ganz Schwaben an überbetrieblichem Unterricht teil.
Hans Peter Rauch