Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wulff rät zu mehr Selbstbewusstsein
Rede Der ehemalige Bundespräsident plädiert für eine liberale Gesellschaft zwischen kultureller Vielfalt und Leitkultur
In der Reihe der „Augsburger Reden“hat der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff davor gewarnt, es sei nicht garantiert, dass Deutschland ein liberales Land mit Minderheitenschutz und einer offenen Gesellschaft bleibe. Ursache sei eine tiefe Verunsicherung weiter Bevölkerungskreise. Die Deutschen sollten selbstbewusster sein, mahnte Wulff und führte seinen Zuhörern im Goldenen Saal des Rathauses vor Augen, welchen Wohlstand das Land seiner repräsentativen Demokratie zu verdanken habe.
Mit viel Charme und einer engagierten Rede überzeugte der gebürtige Osnabrücker das Augsburger Publikum, darunter viele Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kirche. Es war sein erster Besuch in Augsburg, aber er betonte, auch Osnabrück sei eine Friedensstadt, nämlich die Stadt des Westfälischen Friedens nach dem Dreißigjährigen Krieg. Statt einer Parität gab es dort lange abwechselnd eine katholische und eine evangelische Herrschaft. Und dann nährte Wulff den Augsburger Lokalstolz: Die große goldene Tür, durch die er den Saal betreten habe, erinnere ihn an den Kreml, den er auf Einladung des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew besucht habe.
„Wenn die Demokratie einschläft, kann die Diktatur aufkommen“, sagte Wulff. Er benannte drei Problembereiche, die dazu geführt hätten, dass die Menschen sich zunehmend populistischen und extremen Parteien zuwendeten: Die Globalisierung habe die Gesellschaft gespalten und dazu geführt, dass der Gerechtigkeit zu wenig Augenmerk geschenkt werde. Die Digitalisierung
Wie die Globalisierung die Menschen spaltet
habe sie radikalisiert; Maß und Mitte und gute Umgangsformen gingen im Internet verloren. Und die kulturelle Vielfalt treibe sie in eine falsche Konfrontation. Wulff, der 2010 mit der Aussage, auch der Islam gehöre zu Deutschland, eine Kontroverse ausgelöst hatte, betonte, vielfältige Gesellschaften seien leistungsfähiger, flexibler und innovativer, und auch unser Land habe davon profitiert.
Wulff bemerkte, er wundere sich, dass Bayern seine sehr erfolgreiche Integrationsarbeit meist verschämt unter der Decke halte. Ebenso wie für Multikulturalität sprach er sich jedoch für die deutsche Leitkultur aus. Zuwanderer müssten die deutsche Sprache beherrschen, sich auf unsere Geschichte einlassen und das Grundgesetz beachten. In Deutsch- land habe es bisher daran gemangelt, „Offenheit und Haltung zusammenzubringen“.
Nebenbei sprach sich Christian Wulff für die wichtige Rolle der klassischen Medien in einer Demokratie aus. Redakteure verglich er mit Kuratoren (also Ausstellungsmachern), die sich permanent darüber Gedanken machten, wie schwierige Themen vermittelt und erklärt werden könnten. Im Netz und besonders in sozialen Netzwerken finde das nicht statt. Es regte sich im Saal Widerspruch. Doch Wulff verteidigte seine Position. Nötig seien aus seiner Sicht Qualität der Medien und die Medienkompetenz der Nutzer.