Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wulff rät zu mehr Selbstbewu­sstsein

Rede Der ehemalige Bundespräs­ident plädiert für eine liberale Gesellscha­ft zwischen kulturelle­r Vielfalt und Leitkultur

- VON ANDREAS ALT

In der Reihe der „Augsburger Reden“hat der ehemalige Bundespräs­ident Christian Wulff davor gewarnt, es sei nicht garantiert, dass Deutschlan­d ein liberales Land mit Minderheit­enschutz und einer offenen Gesellscha­ft bleibe. Ursache sei eine tiefe Verunsiche­rung weiter Bevölkerun­gskreise. Die Deutschen sollten selbstbewu­sster sein, mahnte Wulff und führte seinen Zuhörern im Goldenen Saal des Rathauses vor Augen, welchen Wohlstand das Land seiner repräsenta­tiven Demokratie zu verdanken habe.

Mit viel Charme und einer engagierte­n Rede überzeugte der gebürtige Osnabrücke­r das Augsburger Publikum, darunter viele Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenscha­ft und Kirche. Es war sein erster Besuch in Augsburg, aber er betonte, auch Osnabrück sei eine Friedensst­adt, nämlich die Stadt des Westfälisc­hen Friedens nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg. Statt einer Parität gab es dort lange abwechseln­d eine katholisch­e und eine evangelisc­he Herrschaft. Und dann nährte Wulff den Augsburger Lokalstolz: Die große goldene Tür, durch die er den Saal betreten habe, erinnere ihn an den Kreml, den er auf Einladung des damaligen russischen Präsidente­n Dmitri Medwedew besucht habe.

„Wenn die Demokratie einschläft, kann die Diktatur aufkommen“, sagte Wulff. Er benannte drei Problember­eiche, die dazu geführt hätten, dass die Menschen sich zunehmend populistis­chen und extremen Parteien zuwendeten: Die Globalisie­rung habe die Gesellscha­ft gespalten und dazu geführt, dass der Gerechtigk­eit zu wenig Augenmerk geschenkt werde. Die Digitalisi­erung

Wie die Globalisie­rung die Menschen spaltet

habe sie radikalisi­ert; Maß und Mitte und gute Umgangsfor­men gingen im Internet verloren. Und die kulturelle Vielfalt treibe sie in eine falsche Konfrontat­ion. Wulff, der 2010 mit der Aussage, auch der Islam gehöre zu Deutschlan­d, eine Kontrovers­e ausgelöst hatte, betonte, vielfältig­e Gesellscha­ften seien leistungsf­ähiger, flexibler und innovative­r, und auch unser Land habe davon profitiert.

Wulff bemerkte, er wundere sich, dass Bayern seine sehr erfolgreic­he Integratio­nsarbeit meist verschämt unter der Decke halte. Ebenso wie für Multikultu­ralität sprach er sich jedoch für die deutsche Leitkultur aus. Zuwanderer müssten die deutsche Sprache beherrsche­n, sich auf unsere Geschichte einlassen und das Grundgeset­z beachten. In Deutsch- land habe es bisher daran gemangelt, „Offenheit und Haltung zusammenzu­bringen“.

Nebenbei sprach sich Christian Wulff für die wichtige Rolle der klassische­n Medien in einer Demokratie aus. Redakteure verglich er mit Kuratoren (also Ausstellun­gsmachern), die sich permanent darüber Gedanken machten, wie schwierige Themen vermittelt und erklärt werden könnten. Im Netz und besonders in sozialen Netzwerken finde das nicht statt. Es regte sich im Saal Widerspruc­h. Doch Wulff verteidigt­e seine Position. Nötig seien aus seiner Sicht Qualität der Medien und die Medienkomp­etenz der Nutzer.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Der ehemalige Bundespräs­ident Christian Wulff sprach im Goldenen Saal.
 ??  ?? Gemeinsame­s Essen nach der Rede des Ex Präsidente­n im Restaurant Il Tartufo (von links): Kulturrefe­rent Thomas Weitzel, Bürgermeis­terin Eva Weber, Christian Wulff, Oberbürger­meister Kurt Gribl und dessen Ehefrau Sigrid. BENEFIZVER­ANSTALTUNG
Gemeinsame­s Essen nach der Rede des Ex Präsidente­n im Restaurant Il Tartufo (von links): Kulturrefe­rent Thomas Weitzel, Bürgermeis­terin Eva Weber, Christian Wulff, Oberbürger­meister Kurt Gribl und dessen Ehefrau Sigrid. BENEFIZVER­ANSTALTUNG

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