Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Szenen einer zerütteten Ehe
„Paul und Paula“machte ihn zum Star im Osten. Doch er ging in den Westen. Winfried Glatzeder über die DDR, Altersdreistigkeit und Egozentriker
S
ie waren in den vergangenen Jahren auf der Bühne zu Hause, Ihr jüngster Film „Der letzte Sommer der Reichen“lief auf der Berlinale 2015, schaffte es aber nicht ins Kino. Warum haben Sie sich auf dem Bildschirm und im Kino so rargemacht? Winfried Glatzeder: Als Schauspieler ist es mein Schicksal, nur auf Angebote reagieren zu können. Mir macht das Theaterspielen mehr Spaß, außerdem ist Filmen in meinem Alter beschwerlich. Es warten lange Arbeitstage, ich muss früh raus und langweile mich in den Drehpausen. Wenn ich dann endlich vor der Kamera stehe, fühle ich mich wie in einer Prüfungssituation. Das ertrage ich heute nur, wenn ich für die Rolle brenne und mit dem Regisseur die Weltsicht teile.
So wie jetzt für Ihren Romeo „Kundschafter des Friedens“? Glatzeder: Diese Rolle sollten viele andere spielen, die durch Tod, Krankheit oder Demenz ausgefallen sind. Aber das bin ich gewohnt. Ich habe aus zwei Gründen zugesagt. 1987 habe ich in dem
„Schlüsselblumen“einen Mfs-romeo gespielt, was die Stasi fünf Jahre nach meiner Ausreise genau registriert hat. Daher war es spannend, nochmals einen Spion zu spielen. Und ich wollte mit Robert Thalheim arbeiten. Sein Film „Netto“hat mir außerordentlich gut gefallen. Jetzt seziert er mit scharfem Verstand und liebenswertem Humor das Reich der Ddr-auslandsspionage und fegt nicht großkotzig über die Spezies „Kundschafter des Friedens“hinweg. Der Begriff an sich ist ja schon zum Lachen absurd. Markus Wolf, Chef der Ddr-auslandsspionage, war nie zimperlich. Er platzierte bei Kennedy eine Geliebte, beim Papst einen Spion und Guillaume bei Willy Brandt. Und wie der KGB oder der MI6 nutzte auch die Stasi neben Kugeln auch Giftspritze oder Plutonium, um Verräter zu liquidieren.
Darf man heute endlich über die Stasi lachen? Glatzeder: 25 Jahre nach dem Mauerfall kann man über die Absurditäten dieses Überwachungsapparats natürlich lachen. Nur sollte man die Leiden der Opfer niemals verharmlosen oder vergessen. Diesen schmalen Grat meistert der Film um eine Gruppe alter Männer, die ihren Beruf einst perfekt beherrschten und nun rudern, um mit ihren Enkeln beim BND mitzuhalten. Zeigt nicht die Diskussion um den mittlerweile entlassenen Baustadtrat Andrej Holm in Berlin, dass die Wunden der Vergangenheit noch immer zu tief sind? Glatzeder: Er ist wie Christian Wulff an seinem Krisenmanagement gescheitert. Als junger Mann hat er bei der Stasi unterschrieben. Das war ein Fehler. Dazu sollte er stehen! Dann hätte man die Chance, ihm zu verzeihen.
Welches Gefühl hat die Lektüre Ihrer Stasi-akte 1991 bei Ihnen hinterlassen? Glatzeder: Ich hatte Glück, dass die Stasi während meines ersten Engagements am Potsdamer „Hans-otto Theater“nicht gut vernetzt war. Sonst wäre meine Karriere durch den Bericht des Intendanten, den ich sehr geschätzt habe, beendet gewesen. Sie waren auf mich aufmerksam geworden, weil ich mit Kollegen in Berlin ein freies Theater gründen wollte. Als die Akte später in Berlin ankam, hatte mich Volksbühnen-intendant Benno Besson bereits mit Hauptrollen besetzt und meine ersten Filme waren erfolgreich im Kino. Dadurch wurde es kompliziert, mich fertig zu machen. Also änderten sie das Drehbuch und schrieben mir die Rolle des IM „Liebling“auf den Leib. Die Anwerbung habe ich zufällig erfolgreich abgewimmelt. In meiner Angst habe ich in der Kantine davon erzählt. Die Stasi schrieb danach, Glatzeder habe sich nicht an konspirative Verabredungen gehalten und sei verbrannt.
Anschließend hat die Stasi Sie in Ruhe gelassen? Glatzeder: Mehr oder weniger. Ich wusste, dass uns immer und besonders bei Auslandsgastspielen unsichtbare Schatten folgten, dass mein Telefon abgehört und meine Post geöffnet wurde. Als meine Familie nach einem Ausreiseantrag 1982 in den Westen umzog, inspizierte eine Westberliner Firma aus dem Imperium von Honeckers Devisenbeschaffer Schalck-golodkowski unseren Besitz.