Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Friseur Unternehmen profitiert von Flüchtlingen
Handwerk Die Neusässer Firma Top Hair bildet derzeit zehn junge Menschen mit Fluchthintergrund zum Friseur aus. Dem Syrer Vikin Gazal bedeutet seine Lehre viel
Augsburg/neusäß Vikin Gazal föhnt die frischgeschnittenen Haare des Kunden. Dann nimmt er das Geld entgegen und verabschiedet ihn höflich. „Ich habe einen guten Ausbildungsplatz. Es liegt an mir, das Beste zu geben“, sagt der Syrer. Bei Top Hair ist man mit dem 24-Jährigen zufrieden. Wie auch mit den anderen Flüchtlingen, die von dem Familienunternehmen aus Neusäß ausgebildet werden.
Im Landkreis Augsburg und in der Stadt lernen derzeit 28 junge Menschen mit Fluchthintergrund das Friseurhandwerk, berichtet Monika Treutler-walle von der Handwerkskammer für Schwaben. Zehn davon befinden sich allein bei Top Hair in der Lehre. Dort werden sie zusammen mit 74 weiteren Azubis ausgebildet. Inhaber Rainer Held und Ehefrau Anke betrachten die jungen Männer aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und dem Irak als einen Gewinn für ihr Unternehmen. „Das sind so positive Menschen, die zu uns gekommen sind.“Wenn es Probleme gebe, dann habe es nur mit der Sprache zu tun. „Für uns ist es natürlich wichtig, dass die Auszubildenden Deutsch können. Schließlich stehen sie in Kontakt zu den Kunden“, sagt Anke Held. Hier seien die jungen Menschen selbst gefordert.
Für Vikin Gazal war die Sprache eine große Herausforderung. „Aber Deutsch lernen war für mich der Schlüssel“, sagt der junge Mann, der in seinem Heimatland Anglistik und Amerikanistik studierte. Doch als Syrer mit armenischen Wurzeln wurde es für ihn und seine Familie immer gefährlicher: „Als christliche Minderheit haben wir dort keinen Platz mehr.“Gazal und sein Bruder
„Ich hatte Angst, dass ich es mit meinem Deutsch nicht schaffe.“
flohen. 2012 kamen sie in Deutschland an. Ein Jahr später hatte er, wie er erzählt, seine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche. Die Eltern kamen nach. Während sie in Lechhausen leben, wohnt der 24-Jährige in Langweid. Für Gazal war klar, dass er schnell Deutsch lernen muss.
Über mehrere Monate hinweg nahm er an einem Intensivkurs teil. Dann versuchte er, einen Studienplatz an der Universität zu bekommen. Wegen eines fehlenden Punktes in der Deutsch-prüfung schei- terte der junge Mann jedoch. „Ich entschied mich für etwas Handwerkliches.“Auf der Messe „Fit for Job“wurde Gazal auf Top Hair aufmerksam. „Ich hatte Angst, dass ich es mit meinem Deutsch nicht schaffe. Doch man hat mir Mut gemacht, dass man mich unterstützen wird.“Er wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Seit September 2016 ist er im ersten Lehrjahr – und glücklich damit.
„Ich hatte große Angst vor der Berufsschule, aber jetzt habe ich nur Einser“, freut er sich. Genau dieses Engagement ist das, was Gabriele Maria Balsing, Mentorin und Coach der Top-hair-azubis, an den Flüchtlingen so schätzt. „Es ist sehr beeindruckend, wie stolz sie sind, wenn sie etwas gelernt haben.“Die jungen Menschen durchlaufen die Stationen der Friseurlehre gemeinsam mit ihren anderen Kollegen. Im des Unternehmens in Neusäß lernen sie zunächst den Familienbetrieb kennen. Im Schulungscenter in der Annastraße in der Augsburger Innenstadt dürfen die Lehrlinge unter der Betreuung von zwei Meisterinnen Kunden die Haare schneiden. Was Vikin Gazal an dem Beruf mag? „Ich kann kreativ sein und lerne viele Menschen kennen. Ich habe auch schon Stammkunden.“Seit der Lehre ist er selbstbewusster geworden, findet er. „Das ist gut für meine Persönlichkeit.“Der Arbeitgeber wiederum profitiert von den Mitarbeitern aus dem Ausland. „Sie kommen aus Ländern, die im Bereich des Haarhandwerks andere Traditionen haben“, erklärt Mentorin Balsing. „Die Barberkultur ist anders und es gibt eine andere Kultur an Hochsteckfrisuren.“Die Methode, mit dem Faden Augenbrauen zu zupfen, habe man schon längst mit eingebaut. Unternehmenschef Rainer Held ist es wichtig, voneinander zu lernen. Anke Held, die sich auch um die Ausbildung kümmert, schätzt vor allem die Tugenden, die die jungen Flüchtlinge mitbringen würden. Positiv überrascht sei sie von deren Aufmerksamkeit. „Sie sind an Höflichkeit kaum zu toppen.“Für Vikin Gazal hat das mit Erziehung zu tun. Respekt ist für ihn Gesetz. „Manchmal wundere ich mich, wie an der Berufsschule mit Lehrern geredet wird.“
Josefine Steiger von der Industrieund Handelskammer (IHK) und Leiterin des Projekts „Junge Flüchtlinge in Ausbildung“freut sich, wenn Unternehmen offen sind. Rund 500 junge Geflüchtete befinden sich derzeit in Schwaben in Ausbildung von Ihk-berufen. Aus Sicht der Fachkräfte sei diese Klienstammsitz tel enorm wichtig, sagt Ihk-ausbildungsleiter Oliver Heckemann. Darum hoffe man auch, dass Afghanen weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Ausbildung fortzusetzen und nicht zurück in ihr Heimatland geschickt werden.
Vikin Gazals Aufenthaltserlaubnis geht bis 2018, dann wird sie auf zwei weitere Jahre verlängert oder sogar unbefristet, erzählt er. Sein Bruder und er hätten sich einen guten Ruf erarbeitet. „Wir haben als Dolmetscher bei Behörden und dem Jobcenter mitgeholfen.“Gazals Ziel ist es, in der Ausbildung erfolgreich zu sein. „Sauber, pünktlich und höflich sein und die Schule gut machen, das wird von mir erwartet.“Bei Top Hair fühle er sich zuhause. Für den 24-Jährigen steckt aber noch viel mehr dahinter. Nämlich ein für ihn wichtiges Gefühl. „Ich bin jetzt ein Teil der deutschen Gesellschaft.“