Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Nummer 439, vortreten!“
Interview Alexander J. Probst war bei den weltberühmten Regensburger Domspatzen. Und wurde missbraucht. Was er von Papst-bruder Georg Ratzinger und Kardinal Müller hält. Und warum er jetzt mit der Vergangenheit abschließen will
Herr Probst, wie oft haben Sie in den vergangenen Jahren eigentlich erzählt, dass Sie in Vorschule und Internat der Regensburger Domspatzen körperlich misshandelt und sexuell missbraucht worden sind? Alexander J. Probst: Male. Bestimmt hunderte
Probst: Als befreiend habe ich das immer schon empfunden. Mittlerweile sehe ich es vor allem als Aufklärung und als Hilfe dazu an, dass so etwas nicht mehr passiert.
Sie sind 2010 mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen. Nun haben Sie ein Buch geschrieben, mehr als 200 Seiten lang. Warum? Probst: Dafür gibt es zwei Gründe. Irgendwann muss jeder Betroffene einmal mit seiner Geschichte abschließen. Wer das nicht kann, an dem wird die Vergangenheit immer und immer und immer nagen.
Das Buch ist ein Stück weit Therapie? Probst: Ganz klar, das ist es. Professionelle psychologische Hilfe hatte ich nie, aber meine Freunde und Kollegen hatten viel Verständnis für mich: Ich konnte mit ihnen darüber reden. Der zweite Grund für das Buch war: Vielleicht kann ich damit manchen noch dazu bringen, sich jemandem anderen zu öffnen. Manchen, der bislang schweigt, der Angst hat, der sich schmutzig fühlt.
Sie waren acht Jahre alt, als Ihre Leidenszeit begann. Probst: Schon in den ersten beiden Tagen in der Vorschule der Regensburger Domspatzen in Etterzhausen gab es beim morgendlichen Antritt die ersten Ohrfeigen: „439, vortreten!“ Auseinandersetzung mit Georg Ratzinger. Ich stand vor der Tür und hörte, dass es sehr laut wurde. Mein Vater war knapp davor, dass er zuschlug, glaube ich. Er hat darüber aber nie gesprochen.
Im Buch beschreiben Sie auch, wie Sie Klavierspielen lernten. Probst: Man hat uns das Klavierspielen eingeprügelt. Ich habe es Anfang der 2000er Jahre nochmals probiert, ich konnte es nicht. Ich bin blockiert. Seit ich bei den Domspatzen rausgekommen bin, konnte ich kein Klavier mehr anfassen.
Bis auf einen Präfekten sind alle bekannten mutmaßlichen Täter – was die Sexualdelikte betrifft – gestorben. Er arbeitete im Internat bis 1972 als studentische Hilfskraft und heißt in Ihrem Buch „Cornelius Hafner“. Probst: Ich werde künftig, etwa bei Fernsehauftritten, wieder seinen wahren Namen nennen. Im Buch heißt er aus juristischen Gründen „Hafner“. Er hat mich rund 200 Mal sexuell missbraucht, und nicht nur mich. Noch 2010 und 2011 zeigte er kein Einsehen oder Unrechtsbewusstsein, ganz im Gegenteil. Er hat sich niemals entschuldigt.
Probst: Nein. Damals rief er mich an, es war ein kurzes Gespräch. Er hat mir vorgeschlagen, ein gemeinsames Buch über unsere schöne Zeit bei den Domspatzen zu schreiben. Er sagte wirklich: „schöne Zeit“!
„Hafner“wurde 1978 in Eichstätt zum Priester geweiht und war im Bistum Eichstätt Pfarrer. Im März 2010 entband ihn Bischof Hanke von seinen seelsorglichen Aufgaben und priesterlichen Vollmachten. Er ist heute Ende 60 und lebt nach meinen Informationen außerhalb des Bistums Eichstätt. Was verlangen Sie von ihm? Probst: Ach ... Ich hoffe vor allem, dass er nie mehr mit Kindern arbeiten darf. Der Institution Kirche kann ich ja nicht vergeben, aber ich habe einzelnen Tätern von damals vergeben. Wem ich nie vergeben werden kann, das ist einem Kinderschänder. Auf der anderen Seite: Irgendwann muss Schluss sein.
Alexander J. Probst mit Daniel Bachmann: Von der Kirche missbraucht. Riva, 207 Seiten, 19,95 Euro. Das Buch erscheint am 13. Februar.
Alexander J. Probst
Alexander J. Probst wurde 1960 in Regensburg geboren. Ihm gehört die „Hundeschule Altmühltal“im etwa 30 Kilometer von Ingolstadt entfernten Dietfurt. Aus erster Ehe hat er zwei Söhne. Probst ist Mit glied des „Aufarbeitungsgremiums“, das seit einem Jahr die Miss brauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen aufarbeitet. Es hat ein Konzept entwickelt, das unter an derem eine unabhängige Anlauf stelle für Betroffene vorsieht, die the rapeutische Hilfe leistet. (wida)