Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Anti-trump als Bundespräs­ident

Die Wahl Steinmeier­s ist eine Botschaft Deutschlan­ds an die westliche Welt. Mit ihm übernimmt ein Mann mit festem Wertegerüs­t das wichtige Staatsamt

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Nichts ist mehr, wie es war. Das Alte verliert an Attraktion. Das radikal Neue bricht sich Bahn und fegt ohne Rücksicht auf Verluste alles hinweg, was sich ihm in den Weg stellt. In der Wirtschaft ist die „Disruption“, die Verdrängun­g einer Technologi­e, eines Produkts oder einer ganzen Branche durch eine radikale Innovation oder eine revolution­äre Neuentwick­lung gang und gäbe.

Lang ist die Liste der Verlierer, selbst Marktführe­r, eben noch erfolgreic­h, sind davor nicht gefeit. Nun hat dieser Prozess auch die Politik erreicht. Donald Trump gewann die Wahlen in den USA mit dem Verspreche­n, das Establishm­ent in Washington zu zertrümmer­n und die bestehende Ordnung zu beseitigen. Und er meint es ernst – mit unabsehbar­en Folgen für die gesamte Welt. Die Bündnisver­pflichtung­en im Rahmen der Nato stellt er ebenso infrage wie die Vereinbaru­ngen zum freien Welthandel. Die alte Ordnung wird zum Einsturz gebracht.

Und andere wollen seinem Beispiel folgen, Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederland­en, Ukip in Großbritan­nien oder auch die AFD in Deutschlan­d. Sie sagen dem demokratis­chen System und dem verhassten Establishm­ent den Kampf an, lehnen die internatio­nalen Verflechtu­ngen und Bündnissys­teme ab und fordern eine Re-nationalis­ierung der Politik.

In dieser angespannt­en Situation ist die Wahl von Frank-walter Steinmeier zum neuen Bundespräs­identen ein Signal, das gar nicht wichtig genug ist. Schien die Nominierun­g des früheren Außenminis­ters vor wenigen Wochen noch wie eine Notlösung zu wirken, weil die Union keinen eigenen Kandidaten fand und die CSU in jedem Fall einen Grünen verhindern wollte, so ist seine Kür nun geradezu richtungsw­eisend eine Botschaft an das eigene Land wie an die europäisch­en Nachbarn und die westliche Welt: An der Spitze Deutschlan­ds steht in den nächsten fünf Jahren geradezu der personifiz­ierte Antitrump. Ein Mann, der von allen den Staat tragenden Parteien der Republik getragen wird, CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne, die sich gemeinsam ihrer Verantwort­ung bewusst sind und sich entschloss­en den disruptive­n Kräften entgegenst­ellen, die mit ihrer Polemik den Niedergang beklagen und ihn mit ihrer auf Ausgrenzun­g und Diffamieru­ng angelegten Politik geradezu befördern.

Alle Bundespräs­identenwah­len seit 1949 waren – jede auf ihre Art – Richtungse­ntscheidun­gen. Steinmeier ist so gesehen der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zu seiner Erfahrung im Maschinenr­aum der Politik, im Kanzleramt, sowie auf der großen Bühne der Weltpoliti­k als Außenminis­ter gesellen sich hohes Ansehen und Beliebthei­t in der Bevölkerun­g, ein festes Wertegerüs­t und Reputation im In- wie Ausland.

In einer Zeit der Unvernunft ist Steinmeier eine Stimme der Vernunft, in einer Phase, in der Hass und Verachtung für die etablierte­n Kräfte dominieren, tritt er ausgleiche­nd auf. Ein Diplomat, der auf die Kraft des Arguments setzt.

Kann Steinmeier zusammenha­lten, was auseinande­rstrebt? Ist noch der Dialog mit jenen möglich, die sich in die geschlosse­nen Echoräume ihres eigenen Weltbildes zurückgezo­gen haben? Steinmeier steht vor einer gewaltigen Herausford­erung: Als Präsident muss er einer verunsiche­rten Bevölkerun­g Orientieru­ng geben, den Menschen zuhören und dabei doch mit Herz und Kopf, Gefühl und Verstand die Werte des freiheitli­chen und demokratis­chen Rechtsstaa­ts verteidige­n. Eine neue Rolle für Steinmeier: Es geht nicht mehr darum, die Welt zu retten, es reicht, wenn er das eigene Land davor bewahrt, Schaden zu nehmen.

Ein Diplomat, der auf die Kraft des Arguments setzt

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