Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ach, du schöner Schnickschnack
Wohnen Die Deutschen lieben ihre eigenen vier Wände. Und sie lieben es, ihr Heim zu dekorieren. Mit Kissen und Kerzen, Tischläufern und Trockenblumen. Warum das Schönmachen quasi in unseren Genen liegt und wir dabei auch ziemlich merkwürdige Dinge tun
Landsberg/mindelheim Endlich, ein Farbtupfer. Wenn der Himmel so grau ist wie an diesem Tag, der Winter noch hartnäckiger und der Frühling noch unerreichbarer erscheint, braucht es Farbtupfer. Blassblaue Kaffeebecher, grasgrüne Windlichter, pinkfarbene Tischdecken, wie sie Stephanie Blässing vor ihrem Laden in der Landsberger Innenstadt drapiert hat. Dazwischen Vasen, Ostereier und diese Blechschilder, die aussehen, als wären sie Jahrzehnte alt. „I love my Home“, steht auf einem, „Her mit dem schönen Leben“auf einem anderen.
Ulrike Gläser ist da schon einen Schritt weiter. Den braunen Hirschfell-läufer, der die letzten Monate ihren Tisch zierte, hat sie weggeräumt, ebenso das braune Kissen mit dem Stern drauf. Jetzt muss Schluss sein mit Winter, sagt die Landsbergerin und streicht über den Tischläufer mit den pastellfarbenen Blumen. „Das ist der letzte, den ich da habe“, meint Blässing und zeigt ihr das Kissen mit demselben Muster. Die Kundin nickt begeistert. Weil das so gut zum pinkfarbenen Kissen passt, das sie daheim hat. Und zum hellgrünen. Und zu der Vase in Puderrosé. „Kunterbunt und wild durcheinander, das gibt’s bei mir nicht“, sagt sie.
Für die einen mag es Kitsch sein, die Sache mit Kissen und Kerzen, mit Tischläufern und Trockenblumen. Alles nur Schnickschnack, Staubfänger, Sondermüll. Für Gläser aber ist Dekorieren eine Leidenschaft. „Das ist mein Hobby.“Im Winter taucht sie das Wohnzimmer in warme Brauntöne, im Frühling in sanftes Pastell. Oder sie widmet sich dem Bad, kauft Handtücher, Badematten, Seifenspender in Türkis – weil dadurch der ganze Raum anders wirke, sagt sie. „Man kann mit ein wenig Farbe so viel schaffen.“
Das Wohlfühlbedürfnis der Deutschen scheint immer größer zu werden – zumindest, wenn es nach dem Angebot geht. Denn längst sind es nicht mehr nur die spezialisierten Einzelhändler, Läden wie „Kraus Home & Garden“in Landsberg, die Wohnaccessoires verkaufen. Oder die Möbelhäuser, die den Markt für Teller, Tischdecken und Teelichter vor Jahren für sich entdeckt haben. Deko-artikel gibt es überall – in Buchhandlungen und Baumärkten, in Kaufhäusern, bei Tchibo, bisweilen auch im Supermarkt. Selbst Modeketten wie H&M, Esprit und Zara sind mit Home-kollektionen in das Geschäft eingestiegen. Und dann sind da natürlich die Deko-tempel, wie es sie in vielen Fußgängerzonen gibt – Nanu-nana, Butlers, Depot.
In Mindelheim sind die Wohnideen im Gewerbegebiet daheim, zwischen Drogeriemarkt, Schuhhaus und Discounter. Den Plastikhirschkopf gibt es bei Depot im Sonderangebot, auch den Kunstfell-hocker und das Holzgestell, das aussieht wie ein Kamin – nur ohne Feuer. Auf den Verkaufstischen stehen jetzt Schmetterlinge, Vögel und Hasen. Hasen, die den Löffel schräg legen, traurig dreinschauende Hasen, süße, schnüffelnde Hasen, Hasen auf Kissen, Servietten und solche aus Porzellan, die man irgendwohin stellen kann. Ostern, so scheint es, naht unweigerlich.
Die junge Frau aber braucht erst einmal Blumen. Und davon gibt es jede Menge: Tulpen, Magnolienblütenzweige, Muscari, aus Stoff oder Plastik. Geht es nach Depotchef Christian Gries, kauft die Kundin nicht nur Blumen, sondern das gesamte Frühlingsarrangement: die roséfarbene Magnolie, das Kissen in Rosé und Mintgrün, die kleinen Vögel in denselben Farben – und vielleicht noch den passenden Käfig.
Dieses Gesamtkonzept, diese Wohnwelten, in denen ein Produkt auf das andere abgestimmt ist – das macht Depot Experten zufolge so erfolgreich. Mehr als 500 Millionen Euro Umsatz erzielte die unterfränkische Kette zuletzt, zehnmal mehr als noch 2005, und ist damit klarer Marktführer. Firmenchef Christian Gries, den das Wirtschaftsmagazin den „Chefdekorateur des Landes“, den Herrn im „Reich des Schönen und Nutzlosen“nennt, hat klare Vorgaben: Eine Filiale hat auszusehen wie die andere, die Verkaufsflächen müssen exakt nach Vorgabe der Zentrale aufgebaut werden. Und: Das Sortiment wechselt alle vier Wochen. Der Kunde soll bei jedem Besuch etwas Neues entdecken.
Plötzlich steht man dann an der Kasse, den Einkaufskorb voller Sachen, die man nicht gesucht, aber trotzdem gefunden hat. „Impulskauf“nennen das Fachleute wie Gerrit Heinemann. Der Handelsexperte der Hochschule Niederrhein sagt, darauf ist das Sortiment der Deko-ketten ausgelegt: „Es sind Dinge, bei denen man nicht lange überlegt – etwas Schickes, Neues
Der Mann geht zum Jagen, die Frau pflegt die Höhle
und nicht zu teuer.“Das kann die kleine Vase sein, die neuen Weingläser, das gepunktete Kissen.
Wobei sich eines nicht zu ändern scheint: Vor allem Frauen sind für diesen Krimskrams empfänglich. Heinemann sagt: „Das Zuhause ist das Reich der Frau. Sie entscheidet über alles, was aufgestellt, eingerichtet und dekoriert wird.“Männer dürften bei grundlegenden Entscheidungen mitreden – ein neues Bett, ein neues Sofa. Die kleinen Dinge aber, die die Wohnung schön machen, seien nach wie vor Frauensache, sagt er. Weil das schon seit der Steinzeit so ist: Der Mann geht raus zum Jagen, die Frau macht die Höhle schön.
Wenn das so stimmt, dann ist der Laden von Christine Schelz einer, in dem Frau sich wohlfühlen muss. Weil es hier, in der „Zuckerdose“in Landsberg, vor allem „Blingbling, Schnickschnack, Kitsch“gibt, wie die Inhaberin sagt, „die schönen Dinge des Lebens“. Bonbongläser und Blechdosen mit Coca-colaschriftzug, Kaffeebecher, bedruckt mit Blättern, Blumen und Ornamenten, Prosecco-fläschchen, auf denen „Mein lieber Hirsch“oder „Alles wird gut“steht. Viele Kunden suchen hier ein Mitbringsel, ein kleines Geschenk, sagt sie. Und dass es diejenigen gibt, denen das Herz aufgehe, wenn sie den Laden betreten. „Aber es gibt auch Leute, die kaufen alles im Internet.“
150 Euro gibt jeder Deutsche für Wohnaccessoires und Dekoration im Jahr aus – sagt zumindest der Verband der Deutschen Möbelindustrie. Heinemann schätzt, dass die Branche rund zehn Milliarden Euro Umsatz macht – und davon mehr als 20 Prozent im Internet, Tendenz stark steigend. Online-anbieter wie Home24, Westwing, Fashionfor-home oder Otto verkaufen ja nicht nur. Sie wecken Bedürfnisse. Weil der Kunde Vorschläge erhält, wie er den neuen Sessel samt Lammfellüberwurf, Kissen und Kerzen arrangieren kann. Weil sich die Suche eingrenzen lässt – nach Tischläufern samt Platzsets und Servietten, bitte in Taubenblau. Und weil es immer mehr Plattformen gibt, auf denen die Leute zeigen, wie perfekt ihr eigenes Zuhause aussieht.
Das Internet, sagt Heinemann, ist nur einer von vielen Faktoren, die manchen Anbietern Probleme machen. So wie der Einrichtungskette Butlers, die zuletzt in die Pleite rutschte. Oder Strauss Innovation, das nach drei Insolvenzen Ende Februar die letzten Filialen dicht macht. Vom „Sterben der Deko-läden“ist bereits die Rede, von der „Krimskramskrise“. Davon, dass für die Anbieter die Mieten in den Innenstädten zu hoch sind und viele Kunden zwar schauen, aber kaum kaufen. So einfach, sagt Heinemann, ist es nicht. Weil bei den jüngsten Insolvenzen auch Managementfehler eine Rolle spielten. Und der starke Dollar, der die Waren, die aus Fernost kommen, verteuere.
Oder lässt die Deko-lust der Deutschen nach? Haben sie langsam genug von all dem „Schöner Wohnen“?
In der Landsberger Innenstadt sieht es nicht danach aus. Im „Culiente“verkauft Monika Bigus alles, was das Zuhause schöner macht: Geschirrtücher mit lilafarbenen Tupfen, pastellfarbene Teller, die biologisch abbaubar sind, Badteppiche. Im Teeladen gibt es Kissen mit „Relax“-aufdruck, in der Buchhandlung grüne Vasen, Windlichter und Weidekörbchen – noch bevor ein Buch in Sichtweite kommt. Draußen machen Passanten an dem Ständer mit den Schildern halt.
Warum aber ist das so? Warum mögen wir Schilder, auf denen in geschwungener Schrift steht „Heute lebe ich, morgen putze ich – vielleicht“. Warum kaufen wir neue, weiß gekalkte Schränkchen, die aussehen, als wären sie 50 Jahre alt – nur, weil „Vintage“gerade in Mode ist? Warum stellen sich Leute Holzschriftzüge wie „Home“ins Wohnzimmer – wo doch keiner daran zweifelt, dass es ihr Zuhause ist?
Uwe Linke kann das erklären. Der Wohnpsychologe aus München sagt, dass es die Sehnsucht nach der guten alten Zeit ist, nach einer scheinbar heilen Welt, die diese Artikel bedienen. Einrichten, dekorieren, sagt er, habe auch immer etwas mit Emotion zu tun. „Der Handel versteht es, Dekorationen so zu gestalten, dass wir von Gefühlen überwältigt werden.“Vom „Cocooning“war noch vor Jahren die Rede, davon, dass die Deutschen sich in die eigenen vier Wände zurückziehen. Draußen Krise, drinnen Kuscheldecke. Und heute? Gilt das noch immer. Je unübersichtlicher die Welt wird, je unsicherer die Menschen sich fühlen, „desto mehr schaffen wir uns unsere eigene heile, kleine Welt. Darum kaufen wir Dekorationsartikel, die uns ein schönes, sorgenfreies Leben versprechen.“Dabei hält Wohnpsychologe Linke wenig von diesen austauschbaren Accessoires. „Dekorieren ist wie Schminken. Man erzeugt eine Illusion.“Und die, sagt er, kann so schnell dahin sein wie ein Blumenstrauß, der welkt.
Kundin Ulrike Gläser steht an der Kasse, die Geldbörse in der Hand und erzählt. Dass sie sich erst letzte Woche Tulpen geholt hat. Weil auch das dazu gehört, wenn der Frühling daheim einziehen soll. Dann geht sie, ein Lächeln im Gesicht. Sie freut sich – auf die neuen Kissen, den Tischläufer, aufs Dekorieren. Und sagt: „Das ist doch ein völlig neues Wohngefühl.“