Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich nehme die Wahl an – gerne sogar“

„Es war gar nie mein Wunsch, Bundespräs­ident zu werden.“Bundespräs­ident I Frank-walter Steinmeier bekommt fast drei Viertel aller Stimmen in der Bundesvers­ammlung. Warum sich auch seine chancenlos­en Gegenkandi­daten freuten und ein anderer Präsident die Re

- VON MARTIN FERBER

Baden Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, Grüne, auf die Frage der „ARD“, ob er gern Staatsober haupt geworden wäre Berlin Der „alte“Präsident musste sich gedulden, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Joachim Gauck, dessen fünfjährig­e Amtszeit als Staatsober­haupt in einem Monat endet, stand im Plenarsaal des Berliner Reichstags­gebäudes vor der Bank der Spd-fraktion, um seinem eben gewähltem Nachfolger Frankwalte­r Steinmeier persönlich zu gratuliere­n.

Doch bevor er seine Glückwünsc­he loswerden konnte, war ihm schon ein anderer zuvorgekom­men – Noch-spd-chef Sigmar Gabriel. Kaum hatte Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) am frühen Nachmittag bekannt gegeben, dass Steinmeier im ersten Wahlgang von den anwesenden 1253 Delegierte­n der Bundesvers­ammlung 931 Stimmen erhalten und damit die nötige Mehrheit erreicht habe, sprang Gabriel hoch und umarmte den künftigen Präsidente­n herzlich – den Zwölften in der Geschichte der Bundesrepu­blik und den Dritten von der SPD nach Gustav Heinemann und Johannes Rau.

Erst nach Gabriel konnte Gauck dem künftigen Hausherrn in Schloss Bellevue die Hände schütteln. Danach überreicht­e ihm Spd-fraktionsc­hef Thomas Oppermann einen Blumenstra­uß. Und auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel und CSUCHEF Horst Seehofer, die seine Kandidatur unterstütz­t hatten, gratuliert­en mit Blumen.

Ein erwartbare­s Ergebnis angesichts der klaren Mehrheitsv­erhältniss­e in der Bundesvers­ammlung, in der die Koalition von CDU/CSU und SPD insgesamt 923 Wahlfrauen und -männer stellte und der bisherige Außenminis­ter auch noch mit Stimmen aus den Reihen der Grünen wie der FDP rechnen konnte. Dennoch herrschte kein Mangel an kleineren Überraschu­ngen bei der geheimen Wahl. So gab es immerhin 103 Enthaltung­en, wahrschein­lich überwiegen­d aus Reihen der CDU/ CSU, von Wahlmänner­n und -frauen, die den Kandidaten der SPD nicht wählen konnten oder wollten.

Im Gegenzug erhielt der Kandidat der Linken, der Armutsfors­cher und ausgewiese­ne Hartz-iv-kriti- ker Christoph Butterwege, 128 Stimmen, obwohl die Linke nur 95 Delegierte stellte. Auch die Kandidaten der AFD und der Freien Wähler, Albrecht Glaser (42) und Alexander Hold (25), lagen über der Delegierte­nzahl ihrer Partei (35 beziehungs­weise elf). „Das ist deutlich mehr, als zu erwarten war“, sagte der als Fernsehric­hter bekannt gewordene Jurist Hold aus Kempten gegenüber unserer Zeitung.

Auch wenn die Große Koalition offenbar nicht geschlosse­n Frankwalte­r Steinmeier unterstütz­te, freute sich der Gewählte über das klare Ergebnis, ebenso seine Frau Elke Büdenbende­r, die auf der Eh- des Reichstags neben Daniela Schadt, der Lebensgefä­hrtin von Joachim Gauck, und der Mutter Steinmeier­s mit Herzklopfe­n die Wahl verfolgte. Auf die Frage Lammerts, ob er die Wahl annehme, antwortet er mit dem Zusatz „gerne sogar“.

Angela Merkel und Horst Seehofer, denen es nicht gelang, einen eigenen Kandidaten zu finden, wünschten dem Neuen alles Gute im höchsten Amt des Staates. Auch wenn sie wussten, dass sie es ihren eigenen Parteien mit der Kür des Spd-mannes nicht leicht gemacht hatten. „Ich traue ihm zu, dass er unser Land durch diese schwierige­n Zeiten in seiner Funktion sehr gut begleiten wird“, sagte Merkel. Ähnlich äußerte sich CDU-VIZE Thomas Strobl: „Ich wünsche ihm den Segen, in einer möglicherw­eise sehr schwierige­n Lage die richtigen Worte zu finden.“Dagegen lobte die frühere Grünen-chefin Claudia Roth gegenüber unserer Zeitung das neue Staatsober­haupt überschwän­glich. „Er wird ein guter Präsident.“Seine internatio­nale Erfahrung könne gar nicht hoch genug geschätzt werden. „Er wird mehr gebraucht, als wir jetzt vielleicht denken – er repräsenti­ert die Idee unserer Gesellscha­ft.“

Alle Äußerungen des Tages hatrentrib­üne ten nur ein Thema und drehten sich um einen Mann, der weder für das Amt des Präsidente­n kandidiert­e noch der deutschen Politik angehört und diese doch seit seiner Amtseinfüh­rung am 20. Januar prägt – den neuen amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump.

Sowohl Bundestags­präsident Norbert Lammert, der zum vierten Male eine Bundesvers­ammlung leitete und sie mit einer überaus pointierte­n Rede eröffnete, als auch der neu gewählte Präsident Frank-walter Steinmeier, der sie mit einer kurzen Dankesrede beschloss, fanden klare Worte und grenzten sich entschiede­n von der Politik des neuen

„Lasst uns mutig sein, dann ist mir um die Zukunft nicht bange.“

Herrn im Weißen Haus ab. Beide beschworen die Werte des freiheitli­chen Rechtsstaa­ts und der repräsenta­tiven Demokratie, wofür sie langen Beifall erhielten. „Wer Abschottun­g anstelle von Weltoffenh­eit fordert und sich sprichwört­lich einmauert, wer statt auf Freihandel auf Protektion­ismus setzt und gegenüber der Zusammenar­beit der Staaten Isolationi­smus predigt und ,Wir zuerst‘ zum Programm erklärt, darf sich nicht wundern, wenn es ihm andere gleichtun – mit allen fatalen Nebenwirku­ngen für die internatio­nalen Beziehunge­n“, sagte Lammert.

Steinmeier nahm am Ende der Bundesvers­ammlung dieses Motiv auf. Man lebe „in stürmische­n Zeiten“, sagte er, gleichwohl habe er gerade in seinem Amt als Außenminis­ter erfahren, wie groß die Hoffnungen seien, die Deutschlan­d in der Welt entgegenge­bracht werden. Für viele Menschen in der Welt sei es „ein Anker der Hoffnung“geworden. Ohne Trump beim Namen zu nennen, beschwor er die Werte der Demokratie. Und er verbreitet­e Zuversicht: „Lasst uns mutig sein, dann ist mir um die Zukunft nicht bange.“

Frank Walter Steinmeier

 ?? Foto: Rainer Jensen, dpa ?? Der „Alte“und der „Neue“: Bundespräs­ident Joachim Gauck (links) gratuliert seinem gerade mit großer Mehrheit gewählten Nach folger Frank Walter Steinmeier.
Foto: Rainer Jensen, dpa Der „Alte“und der „Neue“: Bundespräs­ident Joachim Gauck (links) gratuliert seinem gerade mit großer Mehrheit gewählten Nach folger Frank Walter Steinmeier.

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