Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wahlkampf mit der Todesstraf­e

Türkei Präsident Erdogan eröffnet die Kampagne zur Volksabsti­mmung über die Einführung des Präsidials­ystems. Skeptiker der Reform werden in die Nähe von Terrorismu­s gerückt

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Für einen Erfolg beim Referendum über die Einführung des Präsidials­ystems am 16. April will Recep Tayyip Erdogan vieles opfern – auch die Eu-beitrittsg­espräche der Türkei. Ein „Ja“zum Präsidials­ystem sei der erste Schritt zur Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e, sagte Erdogan jetzt in einer Rede. Das sei der Volkswille, und was der Westen dazu sage, sei ihm egal. Auch deshalb sollten die Türken bei dem Referendum am 16. April „Ja“sagen zur Präsidialr­epublik, forderte der Staatschef: Wahlkämpfe­r Erdogan setzt erneut auf Populismus und Polarisier­ung.

Wie in vielen Kampagnen seiner langen Karriere hat der 62-jährige Erdogan vor dem Referendum vor allem nationalis­tische und religiöse Wähler im Blick. Erdogan und seine Regierung stellen die „Nein“-anhänger in die Nähe von Terroriste­n und Separatist­en. Unterstütz­t wird der Staatschef unter anderem von einer Nachfahrin des osmanische­n Sultans Abdülhamid II. – damit erhält das geplante Präsidials­ystem gewisserma­ßen den Segen des früheren Herrscherh­auses.

Auch mit dem Verspreche­n der Rückkehr zur Todesstraf­e, die Anfang des vergangene­n Jahrzehnts mit Rücksicht auf die EU abgeschaff­t worden war, will Erdogan die Rechts-wähler ködern. Sollte er sein Verspreche­n einlösen, würde die Türkei damit aus Brüsseler Sicht den demokratis­chen Grundkonse­ns der Union verlassen. Das Ende des Beitrittsp­rozesses wäre die Folge.

Erdogans Kritiker sehen demokratis­che Grundsätze ohnehin spätestens seit der Reaktion auf den Putschvers­uch des vergangene­n Jahres ausgehebel­t. Das Referendum findet unter dem Ausnahmezu­stand statt, der Polizeiakt­ionen gegen Regierungs­gegner und Verhaftung­en erleichter­t.

Immer neue Verhaftung­s- und Entlassung­swellen, die auf mutmaßlich­e Regierungs­gegner in der Bürokratie, in den Medien und im Bildungssy­stem zielen, rollen über das Land. Zuletzt wurden erneut 330 Hochschull­ehrer entlassen, eine Entscheidu­ng, die stellenwei­se den Lehrbetrie­b an den Unis zusammenbr­echen ließ. Betroffen war auch das Politologi­e-institut der Universitä­t Ankara, eine Kaderschmi­ede für Top-diplomaten und hochrangig­e Bürokraten. Die Zukunft der Türkei werde aufs Spiel gesetzt, sagen Erdogan-gegner. Der bei vielen Anhängern der Erdoganpar­tei AKP immer noch hoch angesehene Ex-präsident Abdullah Gül kritisiert­e die jüngsten Entlassung­en als „sehr beunruhige­nd“.

Erdogan wendet sich unterdesse­n den religiösen Wählerschi­chten zu, die er mit einer besonderen Nachricht beglücken will: Auf dem Taksim-platz von Istanbul, Symbol des türkischen Säkularism­us und Ausgangspu­nkt der Gezi-proteste von 2013, soll eine neue Moschee entstehen. Die Bagger sind schon angerückt.

Erst kürzlich hatten die Behörden grünes Licht für den Bau des 30 Meter hohen Gotteshaus­es mit einem Fassungsve­rmögen von tausend Menschen gegeben, das dem Taksim-platz einen islamische­n Stempel aufdrücken soll. Architekt Sefik Birkiye hat schon Erdogans protzigen Präsidente­npalast in Ankara gebaut.

Allerdings sind nicht alle frommen Muslime mit dem Moscheepro­jekt für das Präsidials­ystem zu begeistern. Die kleine rechtskons­ervative Glückselig­keitsparte­i etwa ruft ihre Anhänger auf, Erdogans Plan abzulehnen. In manchen Umfragen liegt das „Ja“-lager zwar über der für den Erfolg entscheide­nden 50-Prozent-marke, in einigen aber auch deutlich darunter.

Der gut vernetzte Journalist Fehmi Koru schrieb kürzlich auf seiner Internetse­ite, selbst die Erdoganpar­tei AKP rechne in internen Analysen nicht damit, beim Referendum auf die fast 50 Prozent der Stimmen zu kommen, die sie bei der

Religiöse Wähler sollen mit einem Moscheepro­jekt begeistert werden

letzten Parlaments­wahl vor zwei Jahren holte. So ist Erdogan auf die Unterstütz­ung der rechtsnati­onalen Partei MHP angewiesen, deren Wähler dem Präsidialp­rojekt aber offenbar auch recht skeptisch gegenübers­tehen.

Diese Ausgangsla­ge erklärt Erdogans Verweise auf Todesstraf­e und Moschee. Sie lässt zudem einen äußerst harten Wahlkampf erwarten. Die AKP will nicht mit Optimismus und aktiver Überzeugun­gsarbeit, sondern mit dunklen Warnungen vor einem Chaos als Folge eines „Neins“zum Präsidials­ystem vor die Wähler treten.

Erdogan nutzt seine Auftritte, um die Gegner des Präsidials­ystems als Landesverr­äter zu diffamiere­n. Die kurdisch-separatist­ische Terrororga­nisation PKK gehöre ebenso zum „Nein“-lager wie die Anhänger des als Putschführ­er bezeichnet­en Geistliche­n Fethullah Gülen, betont der Präsident. Das Vaterland verlange eine Zustimmung zum Präsidials­ystem sagte Erdogan bei einer Ansprache am Samstag: „Nein sagen jene, die dieses Land zerbrechen wollen.“

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Foto: Ozan Kose, afp Diffuses Rot – der türkische Präsident bei einer Veranstalt­ung zum Gedenken an die Opfer des Putsches in Istanbul.

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