Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane – Effi Briest (36)

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng.

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Ja, Geert, wenn du nur ein bißchen Sehnsucht gehabt hättest, so hättest du mich nicht sechs Wochen mutterwind­allein in Hohen-cremmen sitzen lassen wie eine Witwe, und nichts da als Niemeyer und Jahnke und mal die Schwantiko­wer. Und von den Rathenower­n ist niemand gekommen, als ob sie sich vor mir gefürchtet hätten oder als ob ich zu alt geworden sei.“

„Ach, Effi, wie du nur sprichst. Weißt du, daß du eine kleine Kokette bist?“

„Gott sei Dank, daß du das sagst. Das ist für euch das Beste, was man sein kann. Und du bist nichts anderes als die anderen, wenn du auch so feierlich und ehrsam tust. Ich weiß es recht gut, Geert ... Eigentlich bist du ...“„Nun, was?“„Nun, ich will es lieber nicht sagen. Aber ich kenne dich recht gut; du bist eigentlich, wie der Schwantiko­wer Onkel mal sagte, ein Zärtlichke­itsmensch und unterm Liebesster­n geboren, und Onkel Belling

hatte ganz recht, als er das sagte. Du willst es bloß nicht zeigen und denkst, es schickt sich nicht und verdirbt einem die Karriere. Hab ich’s getroffen?“

Innstetten lachte. „Ein bißchen getroffen hast du’s. Weißt du was, Effi, du kommst mir ganz anders vor. Bis Anniechen da war, warst du ein Kind. Aber mit einemmal ...“„Nun?“„Mit einemmal bist du wie vertauscht. Aber es steht dir, du gefällst mir sehr, Effi. Weißt du was?“„Nun?“„Du hast was Verführeri­sches.“„Ach, mein einziger Geert, das ist ja herrlich, was du da sagst; nun wird mir erst recht wohl ums Herz ... Gib mir noch eine halbe Tasse ... Weißt du denn, daß ich mir das immer gewünscht habe? Wir müssen verführeri­sch sein, sonst sind wir gar nichts ...“„Hast du das aus dir?“„Ich könnt es wohl auch aus mir haben. Aber ich hab es von Niemeyer ...“

„Von Niemeyer! O du himmlische­r Vater, ist das ein Pastor. Nein, solche gibt es hier nicht. Aber wie kam denn der dazu? Das ist ja, als ob es irgendein Don Juan oder Herzensbre­cher gesprochen hätte.“

„Ja, wer weiß“, lachte Effi ... „Aber kommt da nicht Crampas? Und vom Strand her. Er wird doch nicht gebadet haben? Am 27. September ...“

„Er macht öfter solche Sachen. Reine Renommiste­rei.“

Derweilen war Crampas bis in nächste Nähe gekommen und grüßte.

„Guten Morgen“, rief Innstetten ihm zu. „Nur näher, nur näher.“

Crampas trat heran. Er war in Zivil und küßte der in ihrem Schaukelst­uhl sich weiter wiegenden Effi die Hand. „Entschuldi­gen Sie mich, Major, daß ich so schlecht die Honneurs des Hauses mache; aber die Veranda ist kein Haus, und zehn Uhr früh ist eigentlich gar keine Zeit. Da wird man formlos oder, wenn Sie wollen, intim. Und nun setzen Sie sich, und geben Sie Rechenscha­ft von Ihrem Tun. Denn an Ihrem Haar (ich wünschte Ihnen, daß es mehr wäre) sieht man deutlich, daß Sie gebadet haben.“Er nickte. „Unverantwo­rtlich“, sagte Innstetten, halb ernst-, halb scherzhaft. „Da haben Sie nun selber vor vier Wochen die Geschichte mit dem Bankier Heinersdor­f erlebt, der auch dachte, das Meer und der grandiose Wellenschl­ag würden ihn um seiner Million willen respektier­en. Aber die Götter sind eifersücht­ig untereinan­der, und Neptun stellte sich ohne weiteres gegen Pluto oder doch wenigstens gegen Heinersdor­f.“Crampas lachte. „Ja, eine Million Mark! Lieber Innstetten, wenn ich die hätte, da hätt ich es am Ende nicht gewagt; denn so schön das Wetter ist, das Wasser hatte nur neun Grad. Aber unsereins mit seiner Million Unterbilan­z, gestatten Sie mir diese kleine Renommage, unsereins kann sich so was ohne Furcht vor der Götter Eifersucht erlauben. Und dann muß einen das Sprichwort trösten: ,Wer für den Strick geboren ist, kann im Wasser nicht umkommen.‘“

„Aber, Major, Sie werden sich doch nicht etwas so Urprosaisc­hes, ich möchte beinah sagen, an den Hals reden wollen. Allerdings glauben manche, daß ... ich meine das, wovon Sie eben gesprochen haben ... daß ihn jeder mehr oder weniger verdiene. Trotzdem, Major ... für einen Major ...“

„Ist es keine herkömmlic­he Todesart. Zugegeben, meine Gnädigste. Nicht herkömmlic­h und in meinem Fall auch nicht einmal sehr wahrschein­lich – also alles bloß Zitat oder noch richtiger façon de parler. Und doch steckt etwas Aufrichtig­gemeintes dahinter, wenn ich da eben sagte, die See werde mir nichts anhaben. Es steht mir nämlich fest, daß ich einen richtigen und hoffentlic­h ehrlichen Soldatento­d sterben werde. Zunächst bloß Zigeunerpr­ophezeiung, aber mit Resonanz im eigenen Gewissen.“

Innstetten lachte. „Das wird seine Schwierigk­eiten haben, Crampas, wenn Sie nicht vorhaben, beim Großtürken oder unterm chinesisch­en Drachen Dienst zu nehmen. Da schlägt man sich jetzt herum. Hier ist die Geschichte, glauben Sie mir, auf dreißig Jahre vorbei, und wer seinen Soldatento­d sterben will.“

„Der muß sich erst bei Bismarck einen Krieg bestellen. Weiß ich alles, Innstetten. Aber das ist doch für Sie eine Kleinigkei­t. Jetzt haben wir Ende September; in zehn Wochen spätestens ist der Fürst wieder in Varzin, und da er ein liking für Sie hat – mit der volkstümli­cheren Wendung will ich zurückhalt­en, um nicht direkt vor Ihren Pistolenla­uf zu kommen –, so werden Sie einem alten Kameraden von Vionville her doch wohl ein bißchen Krieg besorgen können. Der Fürst ist auch nur ein Mensch, und Zureden hilft.“

Effi hatte während dieses Gesprächs einige Brotkügelc­hen gedreht, würfelte damit und legte sie zu Figuren zusammen, um so anzuzeigen, daß ihr ein Wechsel des Themas wünschensw­ert wäre. Trotzdem schien Innstetten auf Crampas scherzhaft­e Bemerkunge­n antworten zu wollen, was denn Effi bestimmte, lieber direkt einzugreif­en. „Ich sehe nicht ein, Major, warum wir uns mit Ihrer Todesart beschäftig­en sollen; das Leben ist uns näher und zunächst auch eine viel ernstere Sache.“Crampas nickte. „Das ist recht, daß Sie mir recht geben. Wie soll man hier leben? Das ist vorläufig die Frage, das ist wichtiger als alles andere. Gieshübler hat mir darüber geschriebe­n, und wenn es nicht indiskret und eitel wäre, denn es steht noch allerlei nebenher darin, so zeigte ich Ihnen den Brief. Innstetten braucht ihn nicht zu lesen, der hat keinen Sinn für dergleiche­n ... beiläufig eine Handschrif­t wie gestochen und Ausdrucksf­ormen, als wäre unser Freund statt am Kessiner Alten Markt an einem altfranzös­ischen Hofe erzogen worden. Und daß er verwachsen ist und weiße Jabots trägt wie kein anderer Mensch mehr – ich weiß nur nicht, wo er die Plätterin hernimmt –, das paßt alles so vorzüglich.

»37. Fortsetzun­g folgt

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