Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Traurig und schockiere­nd“

Tennis Beim Fed Cup wird die erste Strophe des Deutschlan­dliedes gesungen. Barbara Rittner und die Spielerinn­en sind fassungslo­s. Am Ende scheiden sie auch noch gegen die USA aus

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Lahaina Julia Görges schossen die Tränen in die Augen, Andrea Petkovic setzte zu einer emotionale­n Wutrede an und Bundestrai­nerin Barbara Rittner sprach von einem „Skandal“. Noch Stunden nach dem peinlichen Nationalhy­mnen-zwischenfa­ll mit der ersten Strophe des Deutschlan­dliedes beim Fed-cupgastspi­el auf Hawaii debattiert­en die deutschen Tennis-damen über den „traurigen und schockiere­nden Moment“, wie es Teamchefin Rittner formuliert­e.

Es war schon nach Mitternach­t Ortszeit, als in dem frei stehenden Häuschen auf der Anlage des Royal Lahaina Resorts noch immer das „Hymnen-gate“thematisie­rt wurde, wie es aus der Delegation des Deutschen Tennis Bundes verlautete. „Das ist mit Abstand das Schlimmste, was mir jemals passiert ist in meinem Leben“, sagte Andrea Petkovic nach ihrer 6:7 (10:12), 2:6-Niederlage gegen Alison Riske. „Das war das absolut Letzte, das absolut Allerletzt­e.“

Weil Görges am Sonntag die am Vortag abgebroche­ne Partie gegen Coco Vandeweghe wegen einer Knieverlet­zung nicht zu Ende spielen konnte, gerieten die deutschen Damen mit 0:2 in Rückstand. Am Sonntag verlor Petkovic in drei Sätzen gegen Vandeweghe und das Aus der Deutschen war somit besiegelt. Im Mittelpunk­t stand aber der Hymnen-eklat. Petkovic relativier­te dabei mit etwas Abstand. „Das Ganze passierte unmittelba­r vor Match. Wir waren vor allem überrumpel­t und fassungslo­s und wussten nicht, wie wir reagieren sollten“, schrieb sie am Sonntag auf Twitter.

Was Spielerinn­en und Verantwort­liche des DTB tags zuvor so dermaßen erzürnte, war eine nicht für möglich gehaltene Panne bei der Eröffnungs­zeremonie. Der Solist auf dem Center Court in Lahaina schmettert­e bei der Nationalhy­mne die erste Strophe des Deutschlan­dliedes, die mit den Worten „Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles“beginnt – und die in der Zeit des Nationalso­zialismus mit dem heute verbotenen Ns-kampflied „Horstwesse­l-lied“gesungen wurde. „Die Tatsache, dass im Jahr 2017 eine falsche Hymne gespielt wird, die man mit viel Grausamkei­t aus der lange zurücklieg­enden Vergangenh­eit assoziiert, war für die Spielerinn­en, die Betreuer, die anwesenden Funktionär­e sowie die deutschen Fans gleicherma­ßen verstörend wie schockiere­nd“, sagte Dtb-präsident Ulrich Klaus.

Zwar entschuldi­gten sich die Gastgeber sofort in einer Pressemitt­eilung. Doch vor allem die politisch interessie­rte und hochemotio­nale Petkovic fand den Vorfall unverzeihl­ich. „Das war der Inbegriff der Ignoranz. Wir sind in 2017, wir sind im 21. Jahrhunder­t. Und dann kann und darf so etwas nicht mehr passieren“, sagte Petkovic. Einmal in Rage, fuhr die 29 Jahre alte Darmmeinem städterin unmissvers­tändlich fort: „Ich habe mich noch nie in meinem Leben so respektlos behandelt gefühlt. Wenn wir irgendwo in Timbuktu spielen oder weiß der Geier wo, okay, aber in Amerika? Im 21. Jahrhunder­t? Dass so etwas passiert, ist echt bezeichnen­d und eine absolute Unverschäm­theit, eine Frechheit in meinen Augen.“

„Mit Abstand und etwas mehr Rationalit­ät“erläuterte Petkovic später: „Es ist nicht das Schlimmste, das mir im Leben je passiert ist. Aber es ist das Schlimmste, das mir in meinem Fed-cup-leben passiert ist.“Um kurz nach elf Uhr Ortszeit hatte der Stadionspr­echer gerade mit den üblichen Freundlich­keiten beide Teams begrüßt. Nur wenige Sekunden, nachdem er die Zuschauer mit den Worten „Bitte erheben Sie sich für die Nationalhy­mnen“zum Aufstehen aufgeforde­rt hatte, begann der Solist zu singen. Nach den ersten vier Worten schauten sich die Spielerinn­en und Teambetreu­er ungläubig an. Görges fing an zu weinen, Co-trainer Dirk Dier schlug fassungslo­s die Hände vors Gesicht. Mannschaft und Zuschauer stimmten „Einigkeit und Recht und Freiheit“an, was aber gegen die Lautsprech­er-verstärkte Stimme keine Chance hatte. Für einen kurzen Moment dachte Petkovic daran, das Stadion zu verlassen. Rittner überlegte, dem Sänger das Mikrofon zu entreißen. „Das war ein absoluter Scheiß-tag“, formuliert­e Rittner drastisch.

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Foto: dpa Die Zuschauer auf dem Tenniscour­t in Hawaii erhoben sich für die deutsche National hymne, doch sie hörten die erste Strophe des Deutschlan­dliedes.

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